Herrin des Himmels – Auge des Re

Von Eva Lange-Athinodorou

Der große Tempel der Bastet in Bubastis heute. Blick nach Südwesten.
Der große Tempel der Bastet in Bubastis heute. Blick nach Südwesten.© E. Lange-Athinodorou, Tell Basta-Project

Der Kult der heiligen Katzen in Bubastis

Katzenmumien gehören zweifellos zu den am häufigsten gezeigten Exponaten altägyptischer Kultur. Im Zusammenhang mit den Äußerungen antiker Autoren über einen rätselhaft erscheinenden Tierkult der Ägypter entstand das heute noch populäre Bild von der heiligen ägyptischen Katze. Im Folgenden soll diese Vorstellung anhand einer kurzen Quellenübersicht geprüft werden. Hierzu wird zunächst ein religionshistorischer Abriss zur Göttin Bastet und ihrer Doppelnatur als Löwin bzw. Katze gegeben, gefolgt von einer Darstellung der Katzenfriedhöfe von Bubastis und verknüpft mit ihrer Einbettung in den lokalmythologischen Kontext von Bubastis.

«Die Katzen, wenn sie verstorben sind, werden zu den heiligen Gebäuden in der Stadt Bubastis gebracht, wo sie, nachdem sie einbalsamiert wurden, auch beigesetzt werden.» (Herodot II, 67)

Wie kaum ein anderes Tier ist die «heilige Katze» in der nachantiken Zeit zur Symbolfigur der altägyptischen Religion geworden. In ihrer Gestalt bündeln sich Exotik und Fremdheit dieser alten Hochkultur. Die vermeintliche Klarheit und Geschlossenheit des Bildes der göttlichen ägyptischen Katze, ja ihre strikte Ikonizität spiegelt jedoch keineswegs die komplizierte und schwer fassbare religionshistorische Realität wieder. Dies zeigt sich bereits, wenn man sich auf die Suche nach den Ursprüngen der Katzengöttin, im Altägyptischen «Bastet» genannt, und ihres Kultes macht.

Die Göttin Bastet – Löwin und Katze

Der Hauptkultort der Katzengöttin Bastet war die Stadt Bubastis im südöstlichen Nildelta. Hier wurde sie jedoch keineswegs zu allen Zeiten in der Gestalt einer Katze verehrt, sondern vielmehr zunächst als mächtige Löwin.
Als solche steht sie den Kulten anderer Löwengöttinnen des Nildeltas, wie denen der Sachmet und der Schesemtet, sehr nahe. Hierbei ist Bastet die älteste belegte Löwengöttin: In den Quellen erscheint sie bereits in der frühen dynastischen Zeit (2. Dyn., um 2800 v. Chr.) im Kreise der mit dem König verbundenen Götter der Residenz.

Als Hauptgöttin von Bubastis können wir sie aber erst ab Beginn der 6. Dynastie, also um 2270 v. Chr., greifen, als sie auf dem reliefierten Türsturz eines sog. Ka-Tempels des Königs Pepis I. in Bubastis als anthropomorphe Göttin mit Löwenkopf erscheint. In etwa dieselbe Zeit datieren Privatgräber der städtischen Elite, deren Inschriften Ämter der Grabbesitzer nennen, die mit der Verwaltung und Kult des lokalen Tempels dieser Göttin zusammenhängen. Daraus lässt sich erschließen, dass am Ende des Alten Reiches ein Tempel der Löwengöttin Bastet in Bubastis existierte, wie alt dieser jedoch zu dieser Zeit bereits war, ist schwer abzuschätzen.

Bronzestatue einer Katze mit goldenem Ohrring (7./6. Jh. v. Chr.).
Bronzestatue einer Katze mit goldenem Ohrring (7./6. Jh. v. Chr.). Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg. Foto P. Neckermann
Bastet empfängt ein Salbopfer des Königs. Relief aus dem Eingangshof des Bastet-Tempels in Bubastis (22. Dyn., um 900 v. Chr.).
Bastet empfängt ein Salbopfer des Königs. Relief aus dem Eingangshof des Bastet-Tempels in Bubastis (22. Dyn., um 900 v. Chr.). E. Lange-Athinodorou, Tell Basta-Project

Aus der Zeit ihrer frühesten Belegungen und auch noch später gibt es keine Darstellungen der Löwengöttin Bastet als Katze. Diese Erscheinungsform nimmt sie offenbar erst im Laufe des Neuen Reiches an. Die heute bekannten zahlreichen Katzenstatuen, vorwiegend in Bronze, Stein und auch Holz erhalten, stammen hauptsächlich aus der Zeit des späteren 1. vorchristlichen Jahrtausends.

Durch sie wird für uns ein Wandel religiöser Anschauungen sichtbar: An die Seite der gefährlichen Löwengöttin tritt nun die Katzengöttin, die zwar immer noch gefährliche, unberechenbare Züge aufweisen kann, offenbar jedoch nun auch eine dem Menschen zugänglichere Seite der Felidengottheit verkörpert.

Die triumphierende Göttin – Das Fest der Bastet in Bubastis

Der griechische Schriftsteller Herodot (um 450 v. Chr.) widmet dem Kult der Bastet eine ausführliche Beschreibung:
In seiner Erzählung von den orgiastischen Festen zu ihren Ehren, zu denen Menschen aus dem ganzen Land nach Bubastis reisten, berichtet er von Trinkgelagen und anderen Ausschweifungen. Das Fest der Bastet reicht nach den uns bekannten Zeugnissen zumindest bis in die Zeit des Neuen Reiches (18. Dynastie, um 1370 v. Chr.) zurück, könnte aber auch bedeutend älter sein.

In der Forschung werden diese Kultfeste zumeist mit der hohen Fertilität der Katzen und ihrem auffälligen Verhalten während der Paarungszeit in Verbindung gebracht. Die Festteilnehmer boten somit der Katzengöttin nicht nur einfach ihre kultische Verehrung dar, sondern suchten damit auch an ihrer Fruchtbarkeit und Fürsorge (abgeleitet vom gut zu beobachtenden Fürsorgeverhalten der Katzen für ihre Jungtiere) zu partizipieren. Hinzu tritt der Rausch als Ausdruck der Normüberschreitung. Dieser wurde als Ausdruck der Hingebung an die göttliche Sphäre angesehen und galt besonders ägyptischen Göttinnen als wohlgefällig – ähnliches ist auch für den Kult der Göttin Hathor überliefert.

«Auge des Re»

Löwengöttinnen waren dem ägyptischen Sonnengott Re eng verbunden. So bezeichnen ihre Beinamen sie häufig als «Auge des Re» oder auch «Tochter des Re». Im sog. Mythos vom Sonnenauge aus dem 2. Jh. n. Chr. wird berichtet, dass die Tochter des Re in Gestalt einer wilden Katze aus Zorn auf ihren Vater fern von ihm in Nubien lebt. Der Sonnengott sandte daher den Gott Thot in Gestalt eines Hundsaffen aus, sie zu besänftigen und wieder zurück zu ihm zu geleiten. Um die temperamentvolle Göttin in guter Stimmung zu halten setzte der Affe Alkohol und Gesang ein. Denn wenn sie in Wut geriet, war sie fürchterlich:

«Sie verwandelte sich in die Gestalt einer wütenden Löwin (…). Ihr Gesicht hatte den Glanz der Sonne. Ihre Augen waren feurig. Ihre Blicke loderten wie eine Flamme, indem sie Feuer aussandten wie die Mittagshitze im Sommer».

Der große Tempel der Bastet in Bubastis heute. Blick nach Südwesten.
Der große Tempel der Bastet in Bubastis heute. Blick nach Südwesten.

Überlieferung im Papyrus pBrooklyn

Das Fest der Bastet in Bubastis scheint jedoch noch weitere Dimensionen besessen zu haben, die eine aus dem 7. Jh. v. Chr. stammende Quelle erhellt: In pBrooklyn 47.218 wird über Bubastis und die Hauptgöttin des Ortes berichtet. Hier agiert Bastet, versehen mit dem Namen Horit, als Tochter des Horus und Siegerin über Seth. Bei Horus und Seth aber handelt es sich um zwei Götter, die sich nach dem ägyptischen Heilsmythos per se, d. h. dem «Kampf zwischen Horus und Seth» im gewalttätigen Zwist um die Herrschaft über Ägypten befanden. Nachdem Seth dem Horus ein Auge ausgeschlagen hatte, errettete Bastet nach diesem Lokalmythos das Auge des Horus, das Seth nach Bubastis getragen hatte.

Anschließend erschien Bastet in ihrer Götterbarke auf den ihren Tempel umschließenden See (ägyptisch: Ischeru) in einer Triumphfahrt: «Und man rudert sie in der Oryx-Antilope im Ischeru im Moment, in dem sie das Udjat-Auge vor ihm rettet, als Seth seine Gestalt erschuf, beim Stehlen des Udjat-Auges in Mehet».

Die Gestalt der Barke

Die besondere Gestalt ihrer Barke, im Text «Oryx-Antilope», bezeichnet die Antilopenform des Götterschiffes und ist als deutliche Bezugnahme auf den Gott Seth zu sehen, als dessen Symboltiere unter anderem die im «sethischen» Refugium der Wüste lebenden Antilopen galten. Somit wird die Erniedrigung und Unterwerfung des Seth durch Bastet ausformuliert.

Diese mythologische Erzählung beleuchtet für uns, wie oben erwähnt, also ein weiteres wichtiges Motiv des großen jährlichen Festes der Bastet in Bubastis. Dort ging es vermutlich ganz dezidiert um die festliche Wiederholung des heilbringenden Moments des Sieges der Göttin über den Widersacher des Horus. Es ist sehr gut vorstellbar, dass die triumphale Ausfahrt der Kultstatue der Bastet in ihrer Barke auf dem Tempelsee den Kern des Feiergeschehens ausmachte, die von ihren Anhängern gebührend unter Freudenbekundungen, wozu eben auch Weingelage und Orgien gehörten, begleitet wurden. Bemerkenswert ist hierbei, dass Bastet in ihrem bubastischen Kernmythos keineswegs als sanfte, sondern vielmehr als kriegerische Göttin erscheint.

Bastet als Herrin von Bubastis. Relief aus dem Sanktuar des Bastet-Tempels in Bubastis (22. Dyn., 900 v. Chr.).
Bastet als Herrin von Bubastis. Relief aus dem Sanktuar des Bastet-Tempels in Bubastis (22. Dyn., 900 v. Chr.). E. Lange-Athinodorou, Tell Basta-Project

Katzenfriedhöfe in Ägypten

Spätzeitliche Katzenfriedhöfe gab es nicht nur in Bubastis, sondern auch in anderen Kultzentren und Nekropolengebieten Ägyptens, so z. B. in Theben, Dendera, Abydos, Achmim, Assiut, Beni Hassan, Sakkara und Tanis. Auch Löwennekropolen sind bekannt, jedoch weniger zahlreich, der bekannteste Friedhof dieser Art befand sich in Leontopolis (heute Tell Moqdam), dem Hauptkultort des löwengestaltigen Sohnes der Göttin Bastet, Mahes, im Nildelta.

Die Katzennekropole von Bubastis

Die felidengestaltigen Inkorporationstiere der Bastet, zuallermeist Katzen, wurden offenbar am Tempel der Göttin selbst gehalten und in einer speziellen Nekropole bestattet. Bei seinen Grabungen in Bubastis hat Edouard Naville 1889 etwa 200 m nordwestlich des Tempels der Bastet einen solchen, vermutlich in die Spätzeit der ägyptischen Kultur zu datierenden Tierfriedhof entdeckt. Er beschrieb ihn folgendermaßen:

«Die Knochen sind in großen unterirdischen Gruben, deren Böden und Wände aus Ziegeln oder gehärtetem Lehm bestehen, aufgehäuft.
Neben jeder Grube befand sich der Ofen, in dem die Körper der Tiere verbrannt worden waren. Seine roten oder auch geschwärzten Ziegel belegen deutlich den Vorgang der Verbrennung, der auch durch den Umstand bestätigt wird, dass die Knochen mit der Asche und Holzkohle ein Konglomerat bildeten.»

Naville gelang es, einige Skelette dem berühmten Berliner Arzt und Anthropologen Rudolf Virchow zur Untersuchung zu schicken; dieser stellte fest, dass es sich bei den verbrannten Tieren zumeist um die Spezies Felis maniculata (Nubische Falbkatze) handelte. Eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Schädeln jedoch war überraschenderweise Ichneumonen zuzuordnen. Ihre Anwesenheit erklärt sich aus ihrer Verbindung mit dem Schöpfergott Atum, der in Bubastis als Gemahl der Bastet einen Gastgötterkult genoss. 1970 grub Ahmed el-Sawi unweit des von Naville aufgefundenen Katzenfriedhofes eine weitere Nekropole dieser Art aus. Hier waren die Katzen in Tongefäßen beigesetzt worden, zudem fand sich hier eine Stele mit der Darstellung der oben beschriebenen kultischen Bootsfahrt der Bastet.

Katzen wurden getötet

Während jedoch der bereits erwähnte «Mythos vom Sonnenauge» ausführlich das behütete Leben solcher Tempeltiere thematisiert, die dem Text zufolge mit Fisch, Geflügel, Rindfleisch und Milch gefüttert und von vielen Dienern umsorgt wurden, zeichnet die Untersuchung der Katzenüberreste ein anderes Bild: In Übereinstimmung mit Befunden von anderen Katzenfriedhöfen in Ägypten zeigt sich, dass die beigesetzten Katzen nicht etwa an Altersschwäche starben, sondern in noch sehr jungem Alter getötet wurden. Zumeist wurden sie stranguliert oder es wurde ihnen das Genick gebrochen, danach wurden sie teils mumifiziert, teils in Tongefäßen beigesetzt oder eben auch verbrannt.

Katzenmumie, ptolemäische/römische Zeit (nach 305 v. Chr.)..
Katzenmumie, ptolemäische/römische Zeit (nach 305 v. Chr.). Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg. Foto P. Neckermann
CT-Aufnahme der Katzenmumie.
CT-Aufnahme der Katzenmumie. Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg. Foto P. Neckermann

Die archäologischen Befunde geben uns somit ein Rätsel auf. Aus welchem Grund wurden die heiligen Inkorporationstiere der Bastet in großer Zahl grausam getötet und dann beigesetzt? Wie lässt sich diese historische Realität vereinen mit dem von den Textquellen gezeichneten Bild heiliger Tiere, die Anbetung und hingebungsvolle Pflege erfuhren? Zunächst einmal machen uns die Quellen vor allem deutlich, dass der sog. ägyptische Tierkult ein sehr komplexes und vielschichtiges religiöses Phänomen ist, bei dessen Erfassung wir noch am Anfang stehen.

Hochkomplexes Kultgeschehen

Dieter Kessler, der über viele Jahrzehnte intensiv über die ägyptischen Tierkulte geforscht hat, vertritt die Ansicht, dass diese kultische Tiertötung, die sich auch bei anderen Arten beobachten lässt, Teil eines hochkomplexen Kultgeschehens war, in dessen Mittelpunkt die Verjüngung des Königs und sein Schutz vor Gefahren stand. Die Tempeltiere übernähmen nach dieser Theorie temporär die Rolle von Göttern, um wirkmächtig agieren zu können. Im Falle der Katzen, die in pharaonischer Zeit als im Vergleich zur heutigen Hauskatze größere, kräftigere und nur halbdomestizierte Tiere vorzustellen sind, sorgt der ihnen zugeschriebene gefährliche, dämonische Aspekt dafür, dass diese Tiere als besonders wirkmächtige apotropäische Schutzmächte angesehen wurden.

Katzenmumien

Wie radiologische Untersuchungen an zahlreichen Katzenmumien in ägyptischen Sammlungen ergaben, enthalten Katzenmumienbündel oftmals tatsächlich gar keine mumifizierte Katze, sondern nur vereinzelte Knochen, teilweise sogar nur Lehm und Steine. Andererseits sind auch Katzenmumien, die aus den Skeletten von bis zu sechs Einzeltieren bestehen, bekannt.
Die zoologische Zuordnung zu den in Altägypten belegten beiden Spezies Felis chaus (Wildkatze) und Felis silvestris libyca (domestizierte Katze) ist sehr schwierig, da hierfür meist nur die Knochen sehr jung getöteter Tiere zur Verfügung stehen.

Adresse der Autorin
Dr. Eva Lange-Athinodorou
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Institut für Altertumswissenschaften
Lehrstuhl für Ägyptologie
Residenzplatz 2 / Tor A
D-97070 Würzburg

Literatur
D. KESSLER, Herodot II, 65–67 über heilige Tiere in Bubastis, Studien zur Altägyptischen Kultur 18 (1991) 265−289.
E. LANGE, The Lioness Goddess in the Old Kingdom Nile Delta: A Study in Local Cult Topography, in: M. Stadler / S. Lippert (Hrsg.), Sapientia Felicitas. Festschrift für Günter Vittmann zum 29. Februar 2016, CENiM 14 (2016) 301–323.
E. NAVILLE, Bubastis (1887−1889), Memoir of the Egypt Exploration Fund 8 (1891).
A. EL-SAWI, Preliminary report on Tell Basta excavations. Seasons 1969, 1970, 1971, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 104 (1977) 127−131.
M. A. STADLER, Wege ins Jenseits. Zeugnisse ägyptischer Totenreligion im Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg (2005) 72−77.

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