Leben mit den Toten

Beitrag aus dem Heftthema »Graffiti« der ANTIKEN WELT 2/21

Panorama von Baja
pektakuläre Lage und Ausgrabungsareale des über 9000 Jahre alten Dorfs von Ba`ja, fast unzugänglich in der südjordanischen Bergwelt von Petra gelegen.© Ba’ja Neolithic Project, Foto: Gebel

Textauszug des Beitrags von Marion Benz.

Ausgrabungen in Jordanien zeugen von engen Verbindungen steinzeitlicher Dorfbewohner zu den Toten 

Die jungsteinzeitliche Siedlung Ba`ja im Süden Jordaniens zählt zu den faszinierendsten Fundorten des späten vorkeramischen Neolithikums (ca. 7500−6800 v. Chr.). Auf einer Hochfläche in den Bergen lebten die Menschen hier auf engstem Raum mit den Toten. Dank eines von der DFG-geförderten Projektes an der Freien Universität Berlin konnten die Forscher tiefere Einblicke in den Alltag vor 9000 Jahren gewinnen. 

Pioniere der Landwirtschaft 

Seit ihrer Entdeckung 1983 und dank der seit 1997 durchgeführten Ausgrabungen unter der Leitung von Hans Georg K. Gebel (s. ANTIKE WELT 3/2001) zählt die jungsteinzeitliche Siedlung Ba`ja zu den faszinierendsten Fundorten des vorkeramischen Neolithikums . Die versteckte Lage, umgeben von tiefen Schluchten und hohen Felsen, hat zur außergewöhnlich guten Erhaltung der Siedlung beigetragen. In jedem Grabungsareal wurden Reste von Häusern gefunden. Bis zu vier Meter hohe Mauern haben sich unter den Schuttmassen und Sedimentablagerungen erhalten. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass um 7000 v. Chr. das gesamte Plateau dicht bebaut war. Etwa 800 m² dieser ca. 1,5 ha großen Siedlung wurden bislang freigelegt. Trotz der begrenzten Gesamtfläche zählt Ba`ja zum Phänomen der sog. Megasites, den weltweit frühesten großen Bauerndörfern. Wie die Tierknochen verraten, aßen die steinzeitlichen Bewohner v. a. das Fleisch von Schafen und Ziegen.

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Laut einer aktuellen Studie bietet eine verzierte Halskette aus einem Kindergrab in Ba’ja im alten Jordanien neue Einblicke in die soziale Komplexität der neolithischen Kultur in der Region. Körperschmuck hat eine bedeutende symbolische Bedeutung und vermittelt kulturelle Werte und individuelle Identitäten, was ihn für die Untersuchung antiker Gesellschaften von großem Wert macht.

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Den Toten so nah 

Die Bestattungen, die in den letzten vier Jahren in Ba`ja ausgegraben wurden, weisen auf einen komplexen und differenzierten Umgang mit den Toten hin. Neun Grabgruben und ein großes Kollektivgrab wurden während der neuen Ausgrabungen freigelegt. Die meisten Gräber waren in die ältesten Fußbodenschichten eingetieft worden. Für das 2018 entdeckte Kollektivgrab wurde jedoch ein ganzer Raum als Totenstätte umgenutzt. Babys, Kinder, Erwachsene: ungeachtet des Sterbealters wurden in der südlichen und östlichen Raumecke die Toten deponiert. Heute gleicht diese Ansammlung von Leichenteilen einem Durcheinander aus Knochen. Fragmente von Steinschalen, rote Pigmentreste und Muschelschmuck legen aber nahe, dass auch diese Bestattungen zumindest teilweise dem lokalen Ritus folgten und sorgsam mit den Toten umgegangen wurde.  

Bei den meisten anderen Bestatteten handelt es sich um Babys und Kinder. Manche von ihnen wurden in so kleine Gruben gelegt, dass kaum Platz für den Leichnam war, andere erhielten ein stattliches Grab aus Sandsteinplatten. Bis zu vier Kinder wurden in Mehrfachbestattungen gemeinsam beigesetzt. Erwachsene fanden sich hingegen fast nur in Kollektivgräbern. Eine Ausnahme ist das Grab eines jungen Mannes. Es wurde bereits im Sommer 2016 entdeckt und zählt zu den herausragenden Bestattungen der südlichen Levante. Wie üblich war die Grube in den Fußboden eingetieft worden, doch der Grabbau und die Abdeckung mit drei großen Sandsteinplatten, Kies und Kalkverputz waren extrem aufwendig.

Neben Perlen aus Türkis, Amazonit und Karneol fand sich ein zerschlagener Keulenkopf in seinem Grab. Beide Oberarme des Toten waren mit Ringen aus Perlmutt und Mergel geschmückt. In der Grababdeckung lag neben anderen Beigaben ein Feuersteindolch. Bislang gibt es keine Hinweise, dass diese qualitätvollen Dolche in der Siedlung angefertigt wurden. Sie waren das Werk von Spezialisten. Nur zwei weitere, vollständig erhaltene Exemplare wurden bisher in anderen Gräbern in Ba`ja gefunden. 

Geschmückt für die Ewigkeit 

Noch prächtiger waren einige Kinder für die Bestattung geschmückt worden. Ein vermutlich 8-jähriges Mädchen, dessen Grab 2018 freigelegt wurde, trug ein Collier aus mehreren Kettensträngen mit fast 2600 Perlen. Die meisten davon sind winzige rotbraune Ringperlen aus eisenhaltigem Kalkstein. Sie wurden kombiniert mit weißen länglichen Muschelperlen. Nur fünf Türkis- und zwei Hämatitperlen sowie zwei Perlen aus einem bislang unbestimmten Material durchbrachen dieses anmutige rot-weiße Farbenspiel. Auf der Brust des Kindes lag ein mehrfach durchbohrter Perlmuttring, an dem die Kettenstränge einst befestigt waren, und im Nacken wurden sie in einer schwarzen Schließe aus Hämatit zusammengehalten. Hala Alarashi, Spezialistin für neolithischen Schmuck aus dem Vorderen Orient, konnte dank einer Zusatzfinanzierung durch die DFG und die Franz-und-Eva-Rutzen-Stiftung dieses außergewöhnliche Meisterstück steinzeitlicher Kunst im Labor des CEPAM in Nizza rekonstruieren.

Leben mit den Toten Collier einer Bestattung in Baja
Die Rekonstruktion des 9000 Jahre alte Colliers nach den Grabungsplänen erforderte viel Zeit, Geduld und Fingerspitzengefühl. Ba’ja Neolithic Project, Foto: Benz

An der Akademie der Bildenden Künste von Stuttgart wurden die zerbrechlichsten Perlen von Kalk- und Sandverkrustungen befreit und konserviert. Viele zeigen starke Abnutzungsspuren, sie müssen also über längere Zeit getragen worden sein. Für ein Kind war dieses Collier jedoch fast zu groß und zu schwer. Dennoch waren ähnliche Perlmuttringe bislang immer nur bei Kindern gefunden worden. Wurde diese Kette möglicherweise erst für die Bestattung des Mädchens neu aufgefädelt? Das wird sich wohl nicht mehr klären lassen. Wer immer sie hergestellt oder getragen hatte – sie dem Kind mit ins Grab zu geben, zeugt von einem emotional bewegenden Akt, der sicherlich bestehende Verbindungen der Lebenden mit den Toten bestärkte. 

Gleich und doch verschieden? 

Obwohl manche Bestattungen so herausragend sind, zeigen sie dennoch lokale Traditionen. Ein fast identischer Perlmuttring wie aus dem Mädchengrab lag unter dem Schädel eines Neugeborenen in einem der Kollektivgräber, das bereits im Jahr 2001 in Ba`ja ausgegraben worden war. Auch bei den anderen Toten wurden während der letzten beiden Grabungskampagnen vereinzelt ähnliche Perlen und Muschelschmuck in geringerer Zahl gefunden. Die Grabbeigaben belegen nicht nur die engen Beziehungen der Bewohner untereinander, sondern auch zu anderen Siedlungen in der Region. Einen knappen Tagesmarsch entfernt, in der zeitgleichen Siedlung von Basta, trugen die Bewohner ähnlichen Schmuck. Wie aber lassen sich diese unterschiedlichen Bestattungen mit dem Bild von eher egalitären frühen Bauerngemeinschaften vereinen, das viele Forscher zeichnen? 

In der Architektur der frühneolithischen Häuser sind kaum Unterschiede festzustellen, und wenn man große Gebäude fand, wurden diese als Gemeinschafts- oder Kultbauten interpretiert. Die Kollektivbestattungen von Ba`ja, in denen nur wenige Beigaben gefunden wurden, schienen diese Vorstellung zu bestätigen. Im Laufe des neuen Projekts häuften sich jedoch Hinweise, dass es bereits in den ersten Bauerndörfern im Nahen Osten verstärkt zu sozialen Differenzierungen kam. Die Indizien genügen aber nicht, um von einer Hierarchisierung der Gesellschaft, also von institutionalisierten Rangunterschieden, zu sprechen. Denn die Gründe für soziale Unterschiede können sehr vielfältig sein.

Warum waren es ausgerechnet Kinder, die so prächtig bestattet wurden? Ba`ja ist da kein Einzelfall. In vielen Siedlungen des frühen Neolithikums sind es v. a. die Jüngsten, die reich geschmückt ihre «letzte Reise» antraten. Auch in der berühmten Steinzeitsiedlung von Çatalhöyük in der heutigen Türkei waren einige wenige Kinder regelrecht in Perlenketten eingewickelt beerdigt worden, als wollte man durch diese sorgsamen Bestattungen noch einmal die Wertschätzung und Einbindung dieser Kinder in die Gemeinschaft über den Tod hinaus betonen. 

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in: ANTIKE WELT 2/2021 »Graffiti«

Antike Welt. Zeitschrift für Archäologie und Kulturgeschichte 2/2021

Ganz nah an die Äußerungen antiker Menschen kommt man mit Graffiti heran. Sie entstanden als mehr oder weniger spontane Aufzeichnung und waren, da oft bildlich und ohne Schrift auskommend, nicht einmal von der Alphabetisierung des Urhebers abhängig. Standesgrenzen und vermutlich auch Geschlechtergrenzen spielten – ganz im Gegensatz zu den meisten anderen Quellengattungen – keine Rolle.

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