Was vom Ende bleibt – Jenseitsvorstellungen und Totenrituale der Griechen

Zahlreiche archäologische Funde in unseren Museen – nicht selten die schönsten und besterhaltenen – stammen aus Gräbern. Beigaben und Trachtbestandteile, die die Verstorbenen auf ihrer letzten Reise begleiten, sowie der Bildschmuck auf Grabvasen geben Aufschluss über die Jenseitsvorstellungen und Totenrituale der Griechen.

Ängstlich nähert sich die Verstorbene dem Fährmann. Weißgrundige Lekythos des Thanatos-Malers, um 450 v. Chr.
Ängstlich nähert sich die Verstorbene dem Fährmann. Weißgrundige Lekythos des Thanatos-Malers, um 450 v. Chr.© Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München. Fotografiert von Renate Kühling

Die alten Griechen glaubten nicht an ein Leben nach dem Tod oder eine Art von Erlösung. Wichtiger war, die Verstorbenen in Erinnerung zu behalten. Sie wurden als ideale Vorbilder präsentiert und ihre Gräber regelmäßig besucht. Sowohl bei diesen Ritualen als auch bei den Beigaben zeigen sich gesellschaftliche Erwartungen und persönliche Hoffnungen auf ein bleibendes Erinnern der Angehörigen. 

Hiermit beschäftigt sich „Was vom Ende bleibt – Tod und Erinnern in Griechenland“, die aktuelle Sonderschau im Pompejanum in Aschaffenburg. Objekte der Staatlichen Antikensammlungen München und eine Leihgabe des Museums für Abgüsse Klassischer Bildwerke werden präsentiert. 

Jenseitsvorstellungen und Bestattungen 

Besonders schöne Zeugnisse stammen aus dem klassischen Athen des 5. Jahrhunderts v. Chr. Dort und anderswo in Griechenland war eine ordnungsgemäße Bestattung die Voraussetzung dafür, dass die Toten ihre Ruhe fanden. Während ihr Körper verginge, löse sich die unsterbliche Seele (psyche) von ihm, werde von Hermes psychopompos (dem Seelengeleiter) in die Unterwelt geführt und schließlich von Charon über die Unterweltsflüsse gefahren (Abb. 1). Dieser verweigerte seinen Dienst jedoch, wenn der Körper der Seele nicht den Riten entsprechend bestattet wurde, sodass sie die Hinterbliebenen heimsuchte. 

 Die Angehörigen stellen ihre Trauer um den aufgebahrten Toten offen zur Schau. Attisch-rotfigurige Loutrophore nahe dem Neapler Maler, um 440 v. Chr.
Die Angehörigen stellen ihre Trauer um den aufgebahrten Toten offen zur Schau. Attisch-rotfigurige Loutrophore nahe dem Neapler Maler, um 440 v. Chr. Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München. Fotografiert von Renate Kühling

Bestattungen, Gräber und Totengedenken spielten zwar auch damals vor allem im Rahmen der Familie – des oikos – eine wichtige Rolle, waren aber deutlich öffentlicher als heute. Die Verwandten bahrten die Verstorbenen zunächst zu Hause auf (prothesis) (Abb. 2). Er oder sie wurde gesalbt, geschmückt und von der versammelten Familie und Freunden mit Wehklagen und Haareraufen verabschiedet. Am dritten Tag nach dem Tod brachten sie den Leichnam in einem Umzug zur Nekropole (ekphora). Dort fand die eigentliche Beerdigung statt; sowohl Körper- als auch Brandbestattungen wurden praktiziert, die jeweils unterschiedlich aufwendig ausgeführt werden konnten. 

Grabbeigaben 

Die Grabbeigaben in Griechenland waren (anders als in Ägypten) kein Vorrat für das Jenseits und nur ein kleiner Teil der Gräber war überhaupt mit ihnen ausgestattet. Zu Beginn und Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. ist etwa jedes zehnte Grab Attikas mit besonderen Gefäßen ausgestattet, den weißgrundigen Lekythen. Diese sind Ölfläschchen, in denen das für die Salbung, Bestattung und Trankspenden wichtige (Duft-)Öl aufbewahrt wurde.

Sichtbares Zeichen der Trauer sind kurzgeschorene Haare und die Klage der Frau. Weißgrundige Lekythos des Sabouroff-Malers, 450/440 v. Chr.
Sichtbares Zeichen der Trauer sind kurzgeschorene Haare und die Klage der Frau. Weißgrundige Lekythos des Sabouroff-Malers, 450/440 v. Chr. Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München. Fotografiert von Renate Kühling

Die schlanke Form und die polychrome Bemalung auf weißem Grund sind zwar bereits im späten 6. Jahrhundert bekannt, werden nun aber miteinander verbunden und ausschließlich für den Totenkult verwendet. Daher nehmen ihre Bilder hierauf Bezug: Häufig sind die Seelen der Verstorbenen dargestellt, die in die Unterwelt geleitet werden oder sich ihren Verwandten am Grab zeigen (Abb. 3). Der regelmäßige Besuch des Grabes gehörte zum obligatorischen Totengedenken, wobei Kränze oder Gefäße an das Grabmal gelegt oder dieses mit Binden geschmückt wurden. Wie noch heute zeigen solche vergänglichen Gaben, dass kürzlich der Toten gedacht wurde. 

Dieses reiche Grabensemble stammt aus der Sammlung des Diplomaten Hans von Schoen, der es 1957 den Antikensammlungen schenkte.
Dieses reiche Grabensemble stammt aus der Sammlung des Diplomaten Hans von Schoen, der es 1957 den Antikensammlungen schenkte. Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München. Fotografiert von Renate Kühling

Auf den Lekythen stehen um das Grabmal meist zwei Personen, die sich jedoch kaum wahrzunehmen scheinen. In ihnen können Hinterbliebene und Verstorbene erkannt werden: Die Sphären der Lebenden und Toten treffen sich am Grab; die Grenze zwischen den Welten kann jedoch nicht überwunden werden. Beide Menschen sind einander im Bild so nah, und dennoch durch den Tod voneinander getrennt. Rührend sind Szenen von Müttern, die vergeblich die Hand nach ihren Kindern ausstrecken. 

Ideale Bürger

Ansonsten sind die Personen am Grab nur allgemein charakterisiert: Die Verstorbenen wurden weniger als Individuen, sondern vielmehr als Vertreter und Angehörige ihrer Familien verstanden. Es sind ideale Bürger, die durch nichts als Angehörige einer bestimmten sozialen Schicht, eines Berufstandes oder Amts- und Würdenträger gekennzeichnet sind. Lekythen des frühen 5. Jahrhunderts zeigen ideale Frauen bei der Wollverarbeitung oder junge Männer als Athleten. Im ausgehenden 5. Jahrhunderts sitzen oder stehen junge Krieger im Kreis ihrer Familie – zu dieser Zeit litt Athen unter dem Peloponnesischen Krieg (431–404 v. Chr.). 

Wenig bedrohlich, eher verklärend wirkt dieser Aufbruch ins Jenseits. Weißgrundige Lekythos des Phiale-Malers, 440/430 v. Chr.
Wenig bedrohlich, eher verklärend wirkt dieser Aufbruch ins Jenseits. Weißgrundige Lekythos des Phiale-Malers, 440/430 v. Chr. Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München. Fotografiert von Renate Kühling

Die Bilder idealisieren die Rollen der Verstorbenen und Hinterbliebenen. Demnach sind es keine individuellen Familienbilder: In Gräbern von Frauen finden sich beispielsweise Lekythen, die männliche Verstorbene zeigen und umgekehrt. Obwohl die Beigaben nur selten individuell für den einzelnen Toten gefertigt wurden, sind viele von ihnen doch bis heute eindrucksvolle Zeugnisse intimer Trauer. 

Feier einer Hochzeit, die nie stattfand 

Besonders reich ausgestattet scheinen Gräber jung Verstorbener zu sein, wie ein Grabensemble der Münchner Antikensammlungen zeigt (Abb. 4). Der Tod Unverheirateter scheint ein besonders schwer zu verarbeitendes Schicksal gewesen zu sein. Sowohl für Männer als auch Frauen war die Hochzeit bedeutend. Laut attischem Bürgerrecht konnten nur Verheiratete attische Bürger legitimen Nachwuchs zeugen und waren erbberechtigt. Mit der Hochzeit wurden sie vollständig in die Stadtgemeinschaft der Polis aufgenommen. Folglich war die Hochzeit von zahlreichen Ritualen begleitet: einer Brautwaschung mit dem Wasser aus einer Loutrophore (einem besonders geformten Gefäß mit überlangem Hals), dem Ablegen und Weihen von Puppen in Heiligtümer oder einem Hochzeitszug zum Haus des Ehemanns. Blieb die Hochzeit im Leben aus, so verweisen Grabbeigaben auf sie. So finden sich in Gräbern von Frauen Puppen aus Terrakotta, wie sie sonst in Heiligtümer geweiht wurden, oder Loutrophoren wurden als Grabbeigaben verwendet oder auf Grabsteinen dargestellt. 

Wenig bedrohlich, eher verklärend wirkt dieser Aufbruch ins Jenseits. Weißgrundige Lekythos des Phiale-Malers, 440/430 v. Chr.
Wenig bedrohlich, eher verklärend wirkt dieser Aufbruch ins Jenseits. Weißgrundige Lekythos des Phiale-Malers, 440/430 v. Chr. Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München. Fotografiert von Renate Kühling

Obwohl die Puppe aus Terrakotta auf eine junge Frau verweist, die hier bestattet wurde, zeigt eine der Lekythen zwei Männer. Dies beweist erneut, dass die Beigaben nicht ausschließlich auf die oder den Verstorbenen zu beziehen sind, sondern ideell auf die gesamte Familie. Die Statuette einer Korbträgerin, wie sie bei Kulthandlungen vorkommt, ist eine individuelle Beigabe, denn sie ist nur in diesem Grab bekannt. Sie kann somit auf die Rolle der Verstorbenen als Kultdienerin anspielen. Schmuckdöschen und Glasflacon verweisen auf Schönheit und Reichtum der Verstorbenen und ihrer Familie. 

Eine besondere Lekythos 

Unter den Lekythen sticht eine Vase hervor, auf der eine junge und reich gekleidete Frau einem sitzenden Mann gegenübersteht (Abb. 5). Während sie den Kopf gesenkt hat und ihr Diadem zurechtrückt, weist der Mann ihr mit einer lässigen Handbewegung den Weg. Beide wirken gedankenverloren und ruhig, sodass eine verklärende Stille über ihrer Begegnung liegt. 

Als Hermes erkennen wir den Mann erst bei genauerem Hinsehen – denn er trägt nicht den üblichen Reisehut oder Schuhe, die mit Flügeln versehen sind, sondern nur seinen Heroldsstab. Was auf den ersten Blick wie eine Abschiedsszene wirkt, ist der Aufbruch in die Unterwelt. Offensichtlich hat Hermes jedoch keine Eile, die Verstorbene ins dorthin zu geleiten und lässt sie sich zurechtmachen. Auf ihr Schicksal verweist das Grabmal, das hier hinter ihr an den Rand des Bildes gedrängt wird. Der Schauer, den andere Bilder mit Hermes oder Charon hervorrufen, fehlt hier. So spendet das Bild den Angehörigen Trost, denn die Tote ist in guten Händen.  

Autor:
Rolf Sporleder 
Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München 
Katharina-von-Bora Straße 10 
80333 München 

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