Moorleichen sind unter natürlichen Bedingungen in Hochmooren konservierte Leichen, deren Mumifizierung auf ihr spezifisches Liegemilieu zurückzuführen ist. Bislang sind aus Nordeuropa ca. 800 Moorleichen dokumentiert. Dabei handelt es sich um ganze Körper oder Teile davon, die meist zufällig beim Torfstechen entdeckt wurden. Hochmoore sind postglazial entstanden, haben meist keine Verbindung zum Grundwasser und bestehen aus abgestorbenen Resten von Torfmoosen (sog. Sphagnum-Arten). Sie zeichnen sich aus durch geringen Nährstoffgehalt, niedrigen pH-Wert (pH 3,6 – 4,0) und bieten auf Grund ihres Chemismus optimale Bedingungen für die Erhaltung organischen Materials. Unter Sauerstoffabschluss wirken Huminsäuren fäulnishemmend, die Gerbsäure Tannin lagert sich an die Kollagenfasern des Bindegewebes an. Die Haut wird gegerbt, Organe und Haare werden konserviert. Muskeln und Fettgewebe überdauern nicht. Knochen werden in der sauren Umgebung meist entkalkt und aufgelöst. Kleidungsstücke erhalten sich nur, wenn sie aus tierischen Materialien wie Wolle, Leder oder Fell bestehen. Die Mehrzahl der Moorleichen datiert in die Jahrhunderte um Christi Geburt, die ältesten ins Mesolithikum, die jüngsten sind (sub)rezent. Sie werden als Opfer von Hinrichtungen, rituellen Tötungen, Verunglückte oder entsorgte Mordopfer gedeutet und liefern differenzierte Hinweise zu Aussehen, Haar- und Barttracht sowie über erhaltene Mageninhalte oftmals Überreste der letzten Speisen der Betroffenen. Spuren von Gewalteinwirkungen lassen in einigen Fällen die Todesursache erkennen. Zu den bekanntesten gehören das „Mädchen von Windeby“ (Eckernförde) mit nur teilweise erhaltenem Haupthaar, der entmannte und geköpfte Mann von Dätgen, der Mann von Osterby mit seinem „Suebenknoten“, der erdrosselte „Tollund-Mann“, der durch Kehlschnitt getötete „Rote Franz“ (Meppen) sowie der 1984 in England gefundene, mehrfach traumatisierte „Lindow-Man“, der als Druidenfürst Opfer eines komplexen Rituals geworden sein soll.
Autor: Joachim Wahl