Schädeldeformationen haben natürliche oder künstliche Ursachen, sie entstehen beim Lebenden im Zuge von Wachstumsstörungen, pathologischen Veränderungen oder anthropogenem Einfluss und bei bodengelagerten Skelettresten u.U. als postmortale Verformungen. Artifizielle Schädeldeformationen sind z.B. von den Inkas, Mayas, nordamerikanischen Indianern sowie aus dem alten Ägypten, aber ebenso aus der Völkerwanderungszeit Mitteleuropas (z.B. Burgunder und Alamannen) überliefert. Entsprechende Belege finden sich in den meisten frühmittelalterlichen Friedhöfen, deren Belegung bis in die zweite Hälfte des 5. und das frühe 6. Jh. zurück reicht. Es ist anzunehmen, dass diese Sitte mit der Expansion der Hunnen nach Europa kam. Als Kernraum des westlichen Verbreitungsgebietes gelten das Karpatenbecken und angrenzende Regionen. Dort können Anfang und Mitte des 5. Jh. eine größere Zahl Erwachsener beiderlei Geschlechts sowie Kinder und Jugendliche mit deformierten Schädeln nachgewiesen werden. In Mitteleuropa handelt es sich dagegen ausnahmslos um Erwachsene, in der Mehrzahl um Frauen, die vielleicht als Versprengte aus dem thüringisch-böhmischen oder donauländischen Gebiet oder per Einheirat in die Alamannia kamen. Der Brauch selbst wurde von den Alamannen nicht übernommen. Schädeldeformationen sind eine der zahlreichen Formen, den Körper bleibend zu verändern, vergleichbar z.B. den Lippentellern der Kondefrauen in Zentralafrika, den eingeschnürten Füßen vornehmer Chinesinnen oder heutigen Tattoos und Piercings, die am ehesten mit einer bewussten ethnischen oder sozialen Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen zu erklären ist. Ebenfalls diskutiert werden ästhetische oder rituell-sakrale Motive. Die überlieferten Techniken sind unterschiedlich. Entscheidend ist, dass der Kopf vom Säuglingsalter an durch entsprechende Bandagen oder Brettchenkonstruktionen eingeschnürt und in eine bestimmte Wachstumsrichtung gedrängt wird. In Nordamerika dürften die sog. cradleboards einen ähnlichen Effekt gehabt haben.
Autor: Joachim Wahl