Kyprisch bezeichnet in der Sprachwissenschaft den altgriechischen Dialekt Zyperns, Eteokyprisch (mit griech. eteos) die «echte, wahre, eigentliche» Sprache Zyperns (Abb. 1). Wer sind dann aber «Eteokyprier» und was ist am kyprischen Griechisch dann «uneigentlich»? Zypern wird heute von Reiseanbietern als Insel der Aphrodite angepriesen, eine in der Antike griechische Insel, wenn auch geographisch schon zum Orient gehörend. Das ist durchaus richtig, aber erst ab einer bestimmten Zeit. In den dialektalen griechischen Inschriften Zyperns ist eine dominierende weibliche Gottheit tatsächlich reichlich belegt, nur heißt sie dort so gut wie nie Aphrodite, sondern wird meist mit dem Titel «Herrin» (Wánassa) angerufen.

Eine Liebesgöttin Aphrodite wurde erst von den Griechen importiert und machte dann große Karriere durch ihre Verschmelzung mit der vorgriechischen Göttin. Dies geschah nach und nach ab etwa 1000 v. Chr., nachdem die Bronzezeit mit dem Zusammenbruch der mykenischen Palaststaaten zu Ende gegangen war und ein Teil der Griechen sein Glück im Orient suchte. Zyperns «eigentliche» Sprache ist daher nicht die griechische Sprache, sondern das Vorgriechische der «Eteokyprier».

Zypernkarte mit den wichtigsten Fundorten eteokyprischer Texte (Amathus und Golgoi).
Abb. 1: Zypernkarte mit den wichtigsten Fundorten eteokyprischer Texte (Amathus und Golgoi). P. Palm, Berlin

Es gab auf Zypern somit einheimische Familien, die ihre Sprache neben dem Griechischen noch über Jahrhunderte gepflegt haben. Dies fügt sich gut zu dem auch sonst festzustellenden Miteinander verschiedener Kulturen auf Zypern, dem von Eteokypriern, Griechen und Phöniziern. Auch letztere hatten Gebiete Zyperns unter ihre Herrschaft gebracht, waren aber nicht so erfolgreich wie die Griechen. In einem Bereich ist es den Griechen sogar gelungen, im Verhältnis zu den Phöniziern als Einheimische zu erscheinen, nämlich in dem der Schrift. Eteokyprisch und Kyprisch wurden beide in einer sog. ägäischen Silbenschrift geschrieben (Abb. 2. 3), denn in der Späten Bronzezeit hatten Zyprioten etwa um die Mitte des 2. Jts. v. Chr. nach der Vorlage des kretischen Linear A eine eigene Schrift geschaffen. Diese kyprische Silbenschrift wurde dann über mehr als ein Jahrtausend verwendet. Den älteren, nicht entzifferten kyprominoischen Texten folgen die der kyprogriechischen Schrift, die von den Griechen um 1000 v. Chr. ein weiteres Mal angepasst wurde. Die meisten dieser Texte sind also griechisch und konnten daher entziffert werden, einige sind aber eteokyprisch. Diese können wir also durchaus lesen, aber nicht verstehen.

Eteokyprische Inschriften wurden so ziemlich überall auf Zypern gefunden. Präzise Angaben sind allerdings nicht möglich, da bei kurzen oder fragmentarischen Inschriften häufig nicht zu entscheiden ist, um welche Sprache es sich handelt. Eine genaue Lesung eteokyprischer Wörter ist sowieso nicht möglich, da die Natur der Silbenschrift mit Zeichen für Vokale und solchen für Konsonant + Vokal bei Konsonantengruppen notgedrungen die Schreibung nicht zu sprechender Vokale mit sich bringt. Auch wissen wir nicht, wie nahe unsere auf dem Griechischen beruhende Lesung der Zeichen derjenigen der eteokyprischen Laute kommt. Eine Bilingue vom Ende des 4. Jhs. v. Chr. erlaubt aber immerhin, ein morphologisches Element zu erkennen: In nicht mehr dialektalem Griechisch, und daher im Alphabet, ehrte die Stadt Amathus einen Arístōn, Sohn des Aristowánaks (Aristōna Arist naktos: Akkusativ und Genitiv). Diese griechischen Namen wurden eteokyprisch a-ri-si-to-no-se a-ra-to-wa-na-kaso-ko-o-se geschrieben. Dies dürfte einem Aristōn -o-se Artowanaks -o-ko-o-se entsprechen, wobei der Name des Vaters phonetisch jeweils anders abgenutzt ist.

Die griechischen Nominative scheinen einfach übernommen zu sein und eteokyprische grammatische Elemente sind angehängt. Das verwandtschaftliche Verhältnis, welches griechisch durch den Genitiv ausgedrückt wurde, ist eteokyprisch mit dem Element -o-ko-o- bezeichnet. Die ältesten Inschriften stammen aus Paphos, viele aus Golgoi, die meisten aber aus Amathus (vgl. Abb. 1). Paphos scheint der Ort der Reform von kyprominoischer zu kyprogriechischer Silbenschrift gewesen zu sein. Golgoi bleibt uns fast unbekannt und war wohl hauptsächlich ein Kultort. Amathus ist eine Neugründung vom Beginn des 1. Jts. v. Chr., in der die eteokyprische Tradition am besten bewahrt wurde. Sie mag mit den «kyprominoischen» Orten Kalavasos-Ayios Dhimitrios und Maroni zu verbinden zu sein.

Alabastervase aus Golgoi mit zweizeiliger eteokyprischer Inschrift.
Abb. 2 Alabastervase aus Golgoi mit zweizeiliger eteokyprischer Inschrift. Massimo Perna. Mit freundlicher Erlaubnis des British Museum, London
Schreibtafel mit Griff, wohl aus Amathus.
Abb. 3 Schreibtafel mit Griff, wohl aus Amathus. Massimo Perna. Mit freundlicher Erlaubnis des Cabinet des Médailles, Paris

In der Silbenschrift scheint das Pfeilzeichen (~ ti) am Wortende im Eteokyprischen und im Kyprominoischen bei Eigennamen die Funktion eines besitzanzeigenden Genitivs zu haben. Dies ist der stärkste Hinweis darauf, dass sich hinter beiden Termini nichts anderes als die durchgehende, vorgriechische sprachliche Tradition verbirgt. Erst die Eingliederung Zyperns in den ptolemäischen Diadochenstaat am Ende des 4. Jhs. v. Chr. hat dieser ein Ende bereitet. Zahlreiche Gelehrte aus Zypern und Alexandria schrieben damals über die Geschichte und Kultur der Insel, der berühmte Geograph Eratosthenes etwa ein Werk über die Stadt Amathus. Es ist ein Jammer, dass sich von all dem fast nichts erhalten hat.

| von Prof. Dr. Markus Egetmeyer

Adresse des Autors
Prof. Dr. Markus Egetmeyer
Université Paris-Sorbonne (Paris IV)
29 bis, Avenue de la Motte-Picquet
F-75007 Paris

Literatur
M. EGETMEYER, Sprechen Sie Golgisch? – Anmerkungen zu einer übersehenen Sprache, in: P. Carlier (Hrsg.), Études Mycéniennes 2010. Actes du XIIIe colloque international sur les textes égéens (2012) 427–434.
P. M. STEELE, Eteocypriot, in: A linguistic history of ancient Cyprus. The non-Greek languages and their relations with Greek, c. 1600–300 BC (2013) 99–172.

Aus: ANTIKE WELT 6/2016. Mumien, S. 6−7.

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