Kunstvermittlung im Museum TinguelyDrei Fragen an Sarah Stocker und Lilian Steinle

Sarah Stocker bei einem Drop-In Workshop an einem Familiensonntag
Sarah Stocker bei einem Drop-In Workshop an einem Familiensonntag© Matthias Willi

Sie arbeiten im Museum Tinguely als Kunstvermittlerinnen. Was stellt das Museum aus?
Lilian Steinle (LSt) und Sarah Stocker (SSt): Das Museum beherbergt die weltweit größte Sammlung von Skulpturen und Arbeiten auf Papier des Schweizer Künstlers Jean Tinguely und verfügt über ein Archiv von Fotos, Filmen und Dokumenten. Mindestens die Hälfte der Ausstellungsfläche ist stets für die Präsentation der Sammlung reserviert. Daneben organisiert das Museum ein vielseitiges Programm von Wechselausstellungen, die zentrale Themen aus dem Werk Tinguelys aufgreifen: kinetische Kunst, das Verhältnis Mensch/Maschine, Interaktion, Interdisziplinarität auf der Achse Kunst – Musik – Theater – Performance, die Zusammenarbeit mit anderen Kunstschaffenden und die menschlichen Sinne.

Wie sieht die Arbeit einer Kunstvermittlerin aus? Was machen Sie konkret? Wie arbeiten Sie mit Kindern?
LSt und SSt: Wie die Besuchenden des Museum Tinguely den Impuls für die Bewegung der Werke liefern – sie drücken einen großen pilzförmigen Knopf, woraufhin sich das Werk bewegt –, bieten wir als Kunstvermittlerinnen in unseren Workshops Impulse an. Diese lösen ihrerseits eine Reihe von Beobachtungen, Sichtweisen und weiterführenden Ideen aus. Unsere Workshops gliedern sich in zwei Teile: Vor den eigentlichen Öffnungszeiten und daher ungestört durch andere Besuchende, widmen wir uns in einem dialogisch aufgebauten Rundgang den wichtigsten Ideen, Prinzipien und Arbeitsweisen Tinguelys. Doch nichts soll und darf bloße Theorie bleiben. Im praktischen Teil in den Ateliers vertiefen und festigen die Workshopteilnehmenden ihr gewonnenes Wissen und ihre Eindrücke. Tinguelys Experimentierfreude steckt an, ungewöhnliche Wege werden beschritten, schräge Ideen finden ihren Platz, wie auch Diskussionen, Toleranz und Verständnis gefördert werden. Da wir im praktischen Teil des Workshops das Experiment in den Vordergrund stellen, entfällt der alltägliche Erfolgsdruck und Hemmungen werden abgelegt. Wir führen Workshops für Kitas, Kindergärten, Primarschulen, Gymnasien und Berufsschulen durch; andere Vermittlungsangebote richten sich besonders an Erwachsene oder Seniorinnen und Senioren. Als Labelträger von „Kultur Inklusiv“ setzen wir uns außerdem dafür ein, dass Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen das Museum zugeschnitten auf ihre Bedürfnisse erleben und genießen können. So gibt es spezifische Führungen mit einem Tastwagen für Menschen mit Sehbehinderungen, Führungen in Gebärdensprache oder aber eine Gruppe von Schauspieler:innen mit Trisomie 21 bringen Besuchenden die Werke näher. 

Dass es durch unsere Vermittlungstätigkeit im Museum gelingt, Kunst in das Leben zu integrieren und damit zu einem Bestandteil des Alltags werden zu lassen, zeigt sich zweifellos bei vielen unserer Kinderclubmitgliedern: Der Mittwochnachmittag von 14 bis 17 Uhr ist reserviert, dann nämlich findet der Kinderclub statt. Einige nehmen dieses Angebot für Kinder ab acht Jahren rege wahr und haben den Club bereits über hundertmal besucht. Jede Woche lassen wir uns von einem Kunstwerk für unsere Themenwahl inspirieren und beschreiben das Angebot in einem Flyer. Im Museum beobachten, diskutieren und philosophieren wir, im Atelier gestalten, bauen und experimentieren wir mit Heißleimpistolen und Hämmern, mit Nägeln, Korkzapfen, Papier, Karton, Schachteln, Blechen, Federn, Farben, diversen ausgedienten Gegenständen und vielem mehr – mal einzeln, mal in Gruppen.

Ein Tipp für Kitas: Welche fünf einfachen Präsentationsmöglichkeiten gibt es, Kinderwerke in Szene zu setzen und für andere sichtbar zu machen?

  • Kinderausstellung plus Vernissage in der Kita, inkl. Umzug/Parade mit Kunstwerken
  • Werk der Woche fotografieren und temporär in die E-Mail-Signatur einbinden
  • Fenster der Kita als Schaufenster umfunktionieren
  • Kunstwerke kopfüber von der Decke hängen lassen, die Erwachsenen müssen von unten nach oben schauen (wie es sonst oft die Kinder müssen)
  • Fotogalerie des gestalterischen Prozesses zeigen, denn bei der kreativen Betätigung soll nicht immer ein „schönes“ Werk das Ziel sein.

Das Soundsurium des Museums Tinguely, ein Projekt aus ausgedienten Alltagsobjekten als Klangmaschinen
Das Soundsurium des Museums Tinguely, ein Projekt aus ausgedienten Alltagsobjekten als Klangmaschinen Matthias Willi

 

Mein Name ist Sarah Stocker.

Ich arbeite als Kunstvermittlerin im Museum Tinguely (www.tinguely.ch)

Das kann ich besonders gut: Die Fragen von Kindern aufnehmen und ihnen darauf spontan spannende Dinge zeigen und erzählen.

Deshalb arbeite ich im Museum Tinguely: Weil es ein Museum ist, das sehr viele unterschiedliche Menschen besuchen, nicht nur sogenannte Kunst-Kenner:innen.

Mein Lieblingskunstobjekt im Museum Tinguely ist das „Relief sonore“. Es hat feine Draht-Zahnräder, darauf sind lustige Formen montiert, die nicht perfekt sind und sie bringen Alltagsgegenstände zum Klingen. Es hat einen munteren und frechen Charakter.

Wenn ich selbst kreativ bin, entsteht dabei meistens etwas Collageähnliches aus meinen vielen gesammelten Papierschnipseln.

Als Kind, habe ich an diesem Ort besonders gern gespielt: In meinem Zimmer, weil ich es mir da so gemütlich einrichten konnte und ich gern an meinem Pult etwas machte, z. B. Briefe schreiben, zeichnen, Schule spielen usw.

Meine Lieblingsbeschäftigungen heute sind: in der Natur sein, Zeit mit lieben Menschen verbringen, singen im Chor, lesen, Kaffee trinken …

Das letzte Museum, das ich besucht habe, war das Museum Kultur und Spiel in Riehen. Da sind die Ausstellungen sehr liebevoll gemacht und meine Kinder können sich da lange sehr selbständig unterhalten.

Diese Frage stelle ich bei Rundgängen durchs Museum besonders häufig: „Was entdeckst du?“

In einem Workshop mit Kindern habe ich diese tolle Erfahrung gemacht, die ich nie vergessen werde: Was für die Kinder alles Kunst ist …! Auf die Frage, ob sie schon mal etwas gesehen haben, das Kunst ist, sagte ein Kind mal voller Staunen: Einen toten Fisch!

Dieses Kunstwerk sollte jede pädagogische Fachkraft schon einmal gesehen haben: Die „Grosse Méta Maxi Maxi Utopia“, ein riiiesiges Kunstwerk, in das man hineingehen kann.

Warum sollte jedes Kind die Möglichkeit haben, mindestens einmal im Leben ein Kunstmuseum zu besuchen? Weil es da sehen kann, wozu verschiedenste Menschen die große Freiheit der Kunst genutzt haben, und dabei eintauchen kann in visuelle Welten, welches seine Fantasie anregen.

Mit diesen Baumaterialien und Werkzeugen sollte jedes Kind in Berührung kommen können: Aus dem Abfall gefischte Gegenstände, Holz und Draht, Bohrmaschine, Zange – und los geht’s!

Mein Name ist Lilian Steinle.

Ich arbeite als Kunstvermittlerin im Museum Tinguely (www.tinguely.ch).

Das kann ich besonders gut: Andere mit meiner Begeisterung anstecken.

Deshalb arbeite ich im Museum Tinguely: Es ist eine sehr vielfältige und abwechslungsreiche Arbeit, die mich seit rund 20 Jahren mit großer Freude erfüllt.  Die unterschiedlichen Bedürfnisse und Wünsche unserer Besuchenden sorgen dafür, dass wir uns stets neu erfinden und ich immer wieder Neues lerne und entdecke.

Mein Lieblingskunstobjekt im Museum Tinguely ist „Lola T 180 – Mémorial pour Joakim B.“. Einer von Jean Tinguelys Freunden war der Rennwagenpilot Joakim Bonnier, der beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans tödlich verunglückte. Jean Tinguely baute ihm ein Denkmal aus Rennwagen-Chassis, Tierschädeln, einem schmiedeeisernen Herz und vielem mehr. Durch die genaue Betrachtung der verwendeten Materialien und des Kunstwerks reimen sich die Betrachtenden die traurige Begebenheit zusammen. Sobald sich das riesige Werk in Bewegung versetzt, wird aus Traurigem Friedvolles und Verspieltes.

Wenn ich selbst kreativ bin, entstehen dabei im Moment gerade Adventskränze oder Möbel.

Als Kind habe ich an diesem Ort besonders gern gespielt: Auf und unter einer alten Feuerwehrleiter auf der Kunsteisbahn in Basel, weil ich dort aufregende Geschichten erfand und lebte und wir danach eislaufen gingen.

Meine Lieblingsbeschäftigung(en) heute ist (sind), mit Familie und Freunden Zeit zu verbringen, Golf zu spielen und kreativ zu sein.

Das letzte Museum, das ich besucht habe, war das Schaulager in Basel.

Diese Frage stelle ich bei Rundgängen durchs Museum besonders häufig: „Welche Materialien hat Jean Tinguely in diesem Kunstwerk verwendet?“

In einem Workshop mit Kindern habe ich diese tolle Erfahrung gemacht, die ich nie vergessen werde: Wenn unsere erwachsen gewordenen Kinderclubkinder uns besuchen und uns erzählen, wie sie ihren eigenen Weg gefunden haben – inspiriert durch Jean Tinguelys: „Der Traum ist alles – die Technik kann man lernen“.

Dieses Kunstwerk sollte jede pädagogische Fachkraft schon einmal gesehen haben: Die „Grosse Méta Maxi-Maxi Utopia“ von Jean Tinguely. Jean Tinguelys Kunst lässt den Betrachter zu wichtigen Bestandteilen der Kunstwerke werden. Das größte Kunstwerk im Museum ist sogar begehbar!

Warum sollte jedes Kind die Möglichkeit haben, mindestens einmal im Leben ein Kunstmuseum zu besuchen: Da die Kunstwerke im Original noch viel wunderbarer und spannender sind, als auf einer Abbildung in einem Buch. Besonders bei Jean Tinguely, der sein Credo: „Bewegung ist alles. Stillstand gibt es nicht!“ in seiner Kunst auslebt.

Mit diesen Baumaterialien und Werkzeugen sollte jedes Kind in Berührung kommen können: Ausgediente Alltagsgegenstände und Heißleim.

Die Fragen stellte Monika Janzer.

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