Der zweijährige Luan findet im Körbchen des Schlafraums mit Streicheleinheiten von seiner Bezugserzieherin Marie-Luise in den Schlaf, die dreijährige Ludmilla verkriecht sich mit ihrem Kuschifant in die Höhle und döst dort einige Minuten, der vierjährige Ben schaut auf dem Schoß von Lisa ein Bilderbuch an und die fünfjährige Ada steckt hinter dem Sofa versonnen ein Puzzle zusammen. Diese Beispiele zeigen: Jedes Kind schläft und ruht anders – und das ist auch gut so.
Wie ruhen und schlafen junge Kinder überhaupt?
Das Schlaf- und Ruhebedürfnis von Kindern ist individuell verschieden und kulturell geprägt. So schläft bspw. ein zweijähriges Kind in einem Zeitraum von 24 Stunden zwischen zehn und 14 Stunden. In den ersten eineinhalb Lebensjahren nimmt die Anzahl der Tagesschläfe dann ab und der Nachtschlaf wird zunehmend länger. Mit zunehmendem Alter regeln die Kinder ihren Gesamtschlafbedarf, indem sie nachts eine lange Schlafphase und tagsüber eine kurze Schlafphase haben, wie bspw. einen Mittagsschlaf. Während des Schlafens durchläuft ein Kind mehrere Schlafzyklen. Laut der Kindheitspädagogin Maren Kramer (2018) gliedern sich diese in unterschiedliche Schlafphasen:
- Halbschlaf
- Leichter Schlaf
- Tiefschlaf
- REM-Schlaf
REM steht für Rapid-Eye-Movement, benannt nach den raschen Augenbewegungen, die insbesondere während dieser Traumschlafphase – auch „aktive Schlafphase“ genannt – stattfinden. In dieser Phase ist die Atmung etwas unruhiger und flacher, der Körpertonus in leichter Anspannung. Ein schlafendes Kind ist in der REM-Phase relativ leicht zu wecken. Phasen und Zyklen bilden zusammen die Schlafarchitektur. Der Schlafzyklus eines dreijährigen Kindes kann zwischen 70 bis 110 Minuten dauern.
Schlafende Kinder sind gesunde Kinder
Wenn ein Kind ausreichend schläft oder ruht und sich dabei gut erholen kann, dann beeinflusst dies in hohem Maße seine physische Gesundheit und sein psychisches Wohlbefinden. Einfach gesagt: Wer gut schläft oder ruht, der bleibt gesund und gedeiht. Bereits kurze Zeit nach dem Einschlafen sinken die Werte des Stresshormons Cortisol, es finden Erholungsprozesse statt und der Körper repariert seine Zellen. Während des Schlafs verarbeiten Kinder viele Eindrücke und Informationen, die sie während des Tages sammeln. In der Tief schlafphase schüttet der Körper zudem die für das Längenwachstum benötigten Wachstumshormone aus. Kinder wachsen im wahrsten Sinne des Wortes im Schlaf, stellt Kinderarzt und Wissenschaftler Herbert Renz-Polster dazu treffend fest. Schlafwissenschaftler/-innen betonen, dass insbesondere Tiefschlafund REM-Schlafphasen eine hohe Bedeutung für Gedächtnisleistung und Emotionsregulation haben. Was geschieht, wenn Kinder zu wenig schlafen und/oder ruhen? Unzureichende Schlafqualität führt bei Kindern bspw. zu Stimmungsschwankungen, Quengeln und/ oder Weinerlichkeit. Manche Mädchen und Jungen überspielen ihre Müdigkeit auch durch motorische Unruhe und drehen regelrecht auf. Sie sind unkonzentriert und nehmen – übermüdungsbedingt – nicht mehr alles wahr, ihre Sinne sind entschärft. Schlafmangel erhöht die Unfallneigung, ebenso das Risiko für Infektionskrankheiten und Lernschwierigkeiten.
Schlafen und Ruhen: Ein Aufgabenfeld für die Kita
In der professionellen Betreuung von Kindern gehören „Ruhen und Schlafen“ zu den grundlegenden Schlüsselkriterien und Qualitätsmerkmalen einer Kita. Kindern im Tagesablauf entspannte Ruhephasen und Schlafmöglichkeiten zu bieten, ist eine anspruchsvolle und komplexe Aufgabe. Um Kinder täglich in ihren Ruhe- und Schlafsituationen angemessen zu begleiten, ist es notwendig, dass alle Beteiligten gut aufeinander abgestimmt kooperieren. Dazu zählen:
- Fachkräfte, die über schlafwissenschaftliche und medizinische Kenntnisse verfügen, zudem über die Ruhebedürfnisse von Kindern und deren individuelle Schlafgewohnheiten informiert sind und in der Kita eine schlafförderliche Umgebung gestalten,
- Hauswirtschaftskräfte, die die Wäsche pflegen und die Schlafräume reinigen,
- die Leitung, die Pausen regelt, ausreichend Personal einsetzt und den Dienstplan gestaltet,
- Eltern, die über spezielle Informationen über ihr Kind verfügen, evtl. besondere Anliegen und Sorgen haben, und
- Gesundheitsämter, die per Gesetz vor Infektionen schützen und Hygienerichtlinien vorgeben.
Zu Hause und in der Kita schlafen oder ruhen
Für Fachkräfte ist es wichtig, die familientypischen Schlaf- und Ruhemuster sowie Schlafund Ruhearrangements der Kinder gut zu kennen. Kinder, die neu in die Kita kommen, stehen vor der Herausforderung, andere Schlafgewohnheiten entwickeln zu müssen. Das bedeutet u. a., dass sie:
- neue Wertehaltungen, Schlafarrangements, Schlafkulturen erfahren,
- mit anderen Erwartungen und Verhaltensformen konfrontiert werden,
- neue Schlaforte, Abläufe und Rituale kennenlernen,
- zusammen mit anderen Kindern in einem Raum schlafen,
- in der Schlafsituation fremden Erwachsenen vertrauen.
Durchdacht gestaltete Räume für ruhige Momente
Schlaf- und Ruheräume für Kinder sind dann bedürfnisgerecht gestaltet, wenn sie die Ergonomie, die motorische Entwicklung, die sinnliche Wahrnehmung und die individuellen Schlafbedürfnisse von Kindern berücksichtigen. Denn: Die räumlich-materielle Umgebung hat einen entscheidenden Einfluss darauf, ob und wie sich Kinder beteiligen und autonom sein können, um sich schließlich als selbstwirksam erleben zu können. Für die Gestaltung von Ruhe- und Rückzugsorten sowie Schlafräumen gilt, dass sie „ruhig“ gestaltet sein sollten, d. h. die Sinne sollten hier zur Ruhe finden können. Das Motto „Weniger ist mehr“ ermöglicht eine Auszeit für die Sinne. Verzichten Sie in diesen Räumen deshalb auf starke Farbakzente, aufwühlende Muster und einen kunterbunten Materialmix zugunsten einer monochromen Farbgestaltung. Verwenden Sie bspw. einheitlich unifarbene Bettwäsche, gestalten Sie die Wandflächen schlicht und verzichten Sie auf üppige Dekoration.
- Orte zum Ausruhen: Für Kinder ist es wichtig, dass sie sich bei Bedarf jederzeit zurückziehen, ausruhen, dösen, bei sich sein und schlafen können. Hierfür sollte es im Gruppenraum einen geschützten Ort geben, z. B. ein Sofa, einen geräumigen Sessel, ein Nestkörbchen, eine Hängematte oder eine kleine Höhle. Solche Orte können die Kinder eigenständig aufsuchen und wieder verlassen. Vielen Kindern genügt es, eine Viertelstunde abzutauchen, um sich anschließend wieder gestärkt den Anforderungen des Kita-Alltags zu stellen.
- Orte zum Schlafen: In Krippen schließt der Schlafraum idealerweise an den Gruppenraum an, sodass ein Kind sein Ruheund Schlafbedürfnis selbst regulieren und dabei in Kontakt mit den vertrauten All tagsgeräuschen, der Kindergruppe und den Erwachsenen bleiben kann. Weil Kinder individuelle Schlafgewohnheiten haben, sollte der Schlafraum unterschiedliche Schlafmöglichkeiten bieten: Gemeinsames Schlafen auf einem Podest, separates Schlafen in einem Nestkörbchen oder Bettchen. Gitter- und Stockbetten, die Kinder daran hindern, ihr Bett selbstständig aufzusuchen und zu verlassen, sind nicht empfehlenswert. Der Raum sollte vor dem Schlafen gut gelüftet, nicht wärmer als 18 °C und etwas abgedunkelt sein.
Tagesstruktur: Aktiv sein und ruhen gleichermaßen
Damit Kinder gesund bleiben, sollte ein Tag in der Kita so gestaltet sein, dass sich bewegungsreiche Aktivphasen und ruhigere Entspannungsphasen abwechseln. Zunehmend mehr Kitas gehen dazu über, eine sog. Mittagsruhe einzurichten. In diesem Zeitfenster ist es nicht möglich, Kinder abzuholen, das Telefon ist ausund der Anrufbeantworter eingeschaltet, der Besucherverkehr ist weitgehend eingeschränkt. Ein Teil der Kinder schläft, während andere sich ausruhen. Für manche Kinder kann es jedoch eine Qual sein, still zu liegen und sich ausruhen zu müssen. Deshalb ist es wichtig, im Team über Wahlmöglichkeiten nachzudenken. Alternative ruhige Tätigkeiten wie Vorlesen, Klangmassagen oder Fantasiereisen nehmen Kinder i. d. R. gern an.
Übergänge behutsam gestalten
Sie als pädagogische Fachkraft gestalten die täglichen kleinen Übergänge (sog. Mikrotransitionen), zugleich sind Sie Vorbild. Sie zeigen den Kindern, wie sie zur Ruhe kommen können. Auch der Übergang zum Schlafen und Ruhen bedarf eines wohlüberlegten Handlungsablaufes (Skripts). Die Kinder vollziehen dabei nicht nur einen Wechsel von einer Aktivität zur nächsten, sondern sie wechseln meist auch den Raum und die Betreuungsperson. Eine sensible Phase, die Sie mit den folgenden Fragen gut vorbereiten können:
- Wie ist unsere zeitliche Struktur? Wie viel Zeit planen wir für welche Aktion (z. B. Aufräumen, Umziehen, Weg in den Schlafraum) ein?
- Wie beteiligen wir die Kinder (bspw. tragen die Kinder ihr Körbchen zum Schlafplatz)?
- Welche akustischen Signale (z. B. Klangschale, leise Musik) setzen wir ein?
- Welche visuellen Signale (z. B. Handpuppe, Schlaflampe anschalten) kommen zum Einsatz?
- Benötigen die Kinder einen Ankerplatz (z. B. einen runden Teppich, auf dem sie sich versammeln)?
- Sind Wegweiser notwendig, bspw. bei Raum- und Etagenwechseln?
- Wie überbrücken wir lästige Wartezeiten sinnvoll (z. B. mit einem Fingerspiel oder Bilderbuch)?
- Wie sieht unsere Arbeitsteilung aus?
- Wie bereiten wir eine ruhe- und schlafförderliche Umgebung vor?
Das gewählte Handlungsmuster (Skript) ist nur dann wirksam, wenn alle Fachkräfte im Team dieses Muster gleichbleibend praktizieren. Eine verlässliche äußere Struktur gibt den Kindern Orientierung und Sicherheit. Sie ermöglicht ihnen, eine innere Struktur aufzubauen. Haben Kinder das Skript verinnerlicht, erleben sie sich als autonome, selbstwirksame Subjekte.
Schlafen und Ruhen achtsam begleiten
Wenn Kinder müde sind, suchen sie meist die Nähe eines vertrauten Erwachsenen, der ihnen Schutz und Sicherheit gibt. Insbesondere junge Kinder und Kinder während einer Eingewöhnungsphase sind anhänglich, d. h. sie aktivieren und zeigen Bindungsverhalten. Dieses kindliche Bedürfnis – nämlich vertrauensvoll einschlafen, entspannt schlafen, sanft aufwachen und wieder in den Tag hineinfinden können – einfühlsam zu beantworten, ist eine dringliche Aufgabe von pädagogischen Fachkräften. Diese beinhaltet bspw.:
- beim Aus- und Umziehen und in der Pflege zu assistieren,
- spannungsabbauende Regulationshilfen anzubieten,
- kindliche Selbstregulationsstrategien, wie z. B. Nuckeln am Daumen, zu unterstützen und
- viele Berührungsmomente anzubieten, z. B. in den Arm nehmen und streicheln.
Sie als Fachkräfte stimmen Unruhe, Stress- und Spannungszustände für jedes Kind individuell ab und reduzieren diese ko-regulierend. Dabei sollten Sie Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen, sodass sich die Kinder sicher und geborgen fühlen.