Auf der Suche nach UrsachenFortbildung

Sich fortbilden, Verhalten analysieren, neue Ansätze ausprobieren: drei Erfahrungsberichte aus der Praxis.

Präsent sein, die Selbstkontrolle bewahren

„Herausforderndes Verhalten begegnet uns relativ häufig. Ich arbeite an einer Grundschule für Erstbis Viertklässler. Momentan sind die zwei größten Baustellen ADHS-Problematiken und aggressive Verhaltensweisen.
Manchmal drängt das Jugendamt darauf, dass Kinder in den Hort kommen, weil das kostengünstiger ist als eine Jugendhilfeeinrichtung. Auch von Lehrerinnen und Lehrern bekommen wir solche Anfragen, wenn sie mitkriegen, dass eine Familie zusätzliche Unterstützung benötigt. Das Problem ist: In einer Gruppe sind zwanzig Kinder mit zwei Betreuerinnen. Ein Kind mit herausforderndem Verhalten ist da machbar. Wenn es vier oder fünf sind, sprengt das unsere Rahmenbedingungen.
Wir bemühen uns derzeit stark darum, neue Ideen zu entwickeln. Konkret versuchen wir, eine zusätzliche Person für den Nachmittag zu bekommen. Auch Prävention ist ein Thema: Wie gehen wir damit um, wenn es irgendwo zu explodieren droht? Und wir analysieren unsere Räumlichkeiten: Wie sind die beschaffen, was fehlt? Außerdem haben wir bereits zwei pädagogische Tage zum Thema durchgeführt und uns speziell mit dem Ansatz ‚Stärke statt Macht‘ des israelischen Psychologen Haim Omer beschäftigt. Dabei geht es viel um Präsenz. Wie schaffe ich es, innerlich und körperlich präsent zu sein? Wie bewahre ich die Selbstkontrolle?
Manchmal kommt man trotzdem an den Punkt, der nicht mehr tragbar ist. Weder für das betroffene Kind noch für die Mitschüler. Wichtig ist dann, dass man sich vorher vernetzt hat. Wir arbeiten sehr eng mit der Schule zusammen, die wiederum ein unterstützendes Fach- Team aus Sozialarbeitern und Heilpädagogen hat. Zum Glück ist es die Ausnahme, dass wir Kinder aus dem Hort nehmen müssen.
Es gibt nämlich auch tolle Erfolgsgeschichten, bei denen wir es gemeinsam hinkriegen, mit viel Engagement und einer guten Beziehung. Für mich ist das das Ideal – dass alle im Hort bleiben können und hier die Unterstützung bekommen, die sie brauchen.“

Fortbildung und Deeskalationstraining

„Herausforderndes Verhalten begegnet uns vor allem in Situationen, in denen die Kinder Frust aushalten müssen. Wenn sie beim Spielen verlieren oder wenn sie geärgert werden. Oft kommen die Kinder aus einem anstrengenden Vormittag. Dann reicht es, wenn ein anderes Kind bei der Essensausgabe mehr kriegt. Wir sind in engem Kontakt mit den Lehrern, die sagen Bescheid, wenn es morgens schon schlecht lief. Dann können wir uns darauf einstellen. Das herausfordernde Verhalten selbst ist vielfältig: Es reicht von Schreien über Schimpfworte bis zu bitterlichem Weinen.
Durch Fortbildungen wissen wir mittlerweile viel besser, wie wir darauf reagieren können. Weil ich selbst Deeskalationstrainerin bin, kann ich mein Team auch regelmäßig nachschulen. Das gibt Sicherheit. Wiederholungen sind meiner Meinung nach sehr wichtig. Denn jeder steckt in dem Muster drin, das er mal gelernt hat. Früher wurde bei uns manchmal aus dem Bauch heraus agiert, heute gehen wir weitaus methodischer vor. Wir fragen: Was steckt dahinter, wie handle ich? Wir beobachten mehr, suchen mehr nach Ursachen. Nachgespräche mit den Kindern sind dabei ein wichtiges Instrument.
Durch das Training können wir die allermeisten Situationen auffangen, bevor es zu einer Eskalation kommt. Das hat sich sehr zum Positiven verändert. Für uns Fachkräfte macht das das Arbeiten leichter und angenehmer, weil man die Kinder wieder mit anderen Augen sieht. Außerdem hilft uns das Training auch beim Umgang mit herausfordernden Eltern, die hier sehr geladen auftauchen und aus unterschiedlichen Gründen Ausbrüche haben. Misserfolge kommen dennoch vor. Deeskalationsmanagement ist ein tolles Handwerkszeug, aber es gibt Kinder und Familien, denen ist damit allein nicht geholfen. Für sie haben wir vor Ort ein starkes Netzwerk mit vielen Akteuren – und das braucht es auch.“

Sprache und Körpersprache prüfen

„Ich leite Fortbildungen und mache Coachings zum Thema Konflikte, Gewalt und Mobbing. Dass heute mehr Grundschüler herausforderndes Verhalten zeigen, kann ich nicht bestätigen. Die Sensibilität ist größer – aber auch der Druck auf die Kinder, im Alltag funktionieren zu müssen. In den Seminaren geht es darum, das eigene Handlungsrepertoire zu erweitern, Haltungen zu reflektieren und sich klarzumachen: Jedes Verhalten, das Menschen zeigen, hat einen Sinn. Wer das berücksichtigt, kann genauer hinschauen. Was bringt es einem Kind, sich auf eine bestimmte Art zu verhalten? Wichtig ist, dass die Pädagoginnen und Pädagogen sich bewusst machen, dass das Verhalten nicht gegen sie persönlich gerichtet ist. Auf diese Weise bleibt man handlungsfähig, behält die Distanz und kann sich eine sinnvolle pädagogische Intervention überlegen.
Sprache und Körpersprache sind dabei wichtige Aspekte: Wie stelle ich mich hin, wie formuliere ich Anweisungen, ist meine Sprache klar – oder nutze ich ständig ‚hätte‘, ‚wäre‘, ‚könnte‘? Wenn man etwas durchsetzen möchte, muss man das auch körpersprachlich ausdrücken. Je mehr eine Situation bereits eskaliert ist, desto mehr befinden sich die Beteiligten im Tunnel. Die Wahrnehmung ist massiv eingeschränkt. Dann braucht es deutliche Ansprachen mit kurzen, knappen Worten. Man muss Kontakt herstellen und halten.
Je intensiver man sich dabei mit Kolleginnen und Kollegen abstimmt, desto besser. Kein Konflikt sollte allein ausgetragen werden, das ist einer meiner Merksätze. Es sollte selbstverständlich sein, sich gegenseitig zu unterstützen. Ich erlebe manchmal Fachkräfte, die das nicht wollen, weil sie denken, es schwäche ihre Autorität. Das sehe ich nicht so. Im Gegenteil, Teamarbeit stärkt die Autorität der Institution. Weil die Kinder merken, dass es einen sicheren Rahmen gibt und alle an einem Strang ziehen.“

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