Erziehung und Bildung gehen Hand in HandErziehungsarbeit im Hort

Für Führungskräfte in Hort und Ganztag steht Erziehungsarbeit oft nicht an erster Stelle. Dabei ist das Thema wichtiger denn je. Wir sollten es nicht aus den Augen verlieren.

Ist Erziehung ein Leitungsthema? Ja, weil die Leitungen die Gesamtverantwortung für die Umsetzung des Erziehungsund Bildungsauftrags in der Schulkindeinrichtung tragen. Betrachtet man die Praxis, zeigt sich oft eine andere Realität. Die Schwerpunkte der Leitungstätigkeit liegen in Arbeitsbereichen wie Organisation und Sicherung des Betriebsablaufs, Personalführung, Bearbeitung von rechtlichen Themen, Kooperation mit der Schule, Beschwerdemanagement, Qualitätsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit, Gremienarbeit. Für Erziehungsarbeit dagegen bleibt im Alltag oft wenig Zeit. Der folgende Beitrag will Leitungen von Schulkind-Einrichtungen ermutigen, das Thema wieder mehr in den Blick zu nehmen.

Bildungsauftrag hat oft Vorrang

Vielfältige gesellschaftliche Entwicklungen und vor allem die PISA-Studie haben dafür gesorgt, dass bei der Arbeit in Kitas und Schulkind-Einrichtungen der Bildungsauftrag im Mittelpunkt steht. Der Erziehungsbegriff wird in der Regel im Zusammenhang mit dem Bildungsauftrag in den Blick genommen. Dass die Arbeit mit Bildungskonzepten wie den Bildungs- und Lerngeschichten, infans oder Early Excellence Centres vor allem in der frühen Bildung einen Qualitätsschub hervorgebracht hat, steht außer Frage.

Trotzdem: Etwas scheint aus dem Gleichgewicht geraten zu sein, vor lauter Bildung gerät die Umsetzung des Erziehungsauftrags in den Hintergrund. Durchaus mit Folgen. Über Erziehung, den Zusammenhang zwischen der eigenen Biografie und dem eigenen Erziehungshandeln, die Gestaltung und Qualität der Beziehung zwischen Erzieherin und Kind wird viel zu wenig oder gar nicht gesprochen. Dabei hätte die Beschäftigung mit Erziehungsthemen vielfältige positive Auswirkungen.

Der Alltag heterogener denn je

Für die pädagogischen Fachkräfte in der Schulkindbetreuung bestehen vielfältige Anforderungen und Herausforderungen. Die Kinder in den Gruppen zeigen sich in der Regel sehr verschieden – im Hinblick auf ihre Herkunft, auf den sozialen und kulturellen Hintergrund, aber auch im Hinblick auf die Einstellungen, das Verhalten, die Talente, Begabungen, die Lernbereitschaft. Diese Vielfältigkeit bedeutet dabei eine Chance und Ressource, gleichzeitig aber auch eine große Herausforderung, wenn es darum geht, den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden. Bezüglich des Inklusionsauftrags können dabei noch ganz andere Aufgaben und Anforderungen auf die Fachkräfte zukommen. Die Eltern zeigen sich ebenfalls sehr heterogen und mit ganz unterschiedlichen Erziehungsvorstellungen und Anforderungen an die Fachkräfte. Die Erzieherinnen müssen ihre Gruppe gut leiten und gleichzeitig die Bedürfnisse und Themen der einzelnen Kinder im Blick behalten. Im Alltag, oft bei Übergängen im Tagesablauf, kann es zu Konflikten kommen, die für Kinder und Erwachsene sehr anstrengend sind und, wenn es nicht gut läuft, auch noch eskalieren können. Die Beschäftigung mit dem Thema Erziehung kann helfen, diesen Alltag besser zu bewältigen.

Wir müssen uns klar sein, dass wir die Entwicklung der Kinder nur unterstützen und fördern können, wenn wir als Erwachsene unsere Erziehungsaufgaben sehen und annehmen. Provozierend formuliert: Erziehung ist mehr als die Formulierung von Erziehungs- und Handlungszielen. Erziehung ist vor allem auch das Handeln von und zwischen Personen – die Qualität unseres erzieherischen Handelns steht in einem Zusammenhang mit den Merkmalen der Entwicklung von Kindern (vgl. Ludwig Liegle 2006. S. 42 ff.). Erwachsene müssen sich im Klaren sein, dass ihr erzieherisches Handeln Auswirkungen hat, mehr, als man manchmal annimmt, und anders, als man beabsichtigt: wenn sie zum Beispiel Anforderungen an Kinder stellen, loben oder schimpfen, wenn sie Konsequenzen durchsetzen oder strafen wollen. Welche Erziehungsthemen können vor diesem Hintergrund in einer Schulkindeinrichtung in den Blick genommen werden?

Die Beziehung zwischen Kind und Fachkraft

„Man kann niemanden beeinflussen, wenn nicht zuvor eine freundliche Beziehung hergestellt worden ist“, schreibt der Psychologe und Pädagoge Rudolf Dreikurs in seinem Klassiker „Psychologie im Klassenzimmer“. Unser Verhalten, unsere Beziehungsgestaltung hat Folgen – positiv oder negativ. Gerade in schwierigen Erziehungssituationen. Erzieherinnen überlegen (zu) oft, wie konsequent oder streng sie sein sollen, wie Konsequenzen oder Strafen ausgesprochen werden müssen, wenn das Zusammenleben nicht funktioniert. Dabei wird manchmal ein wesentlicher Aspekt des Erziehungsgeschehens außer Acht gelassen: Erziehung, auch das Durchführen von Konsequenzen, funktioniert vor allem dann (natürlich langsam und auch mal mit Rückschritten), wenn die Beziehung zwischen pädagogischer Fachkraft und Kind stimmt. Wenn eine gute sozial-emotionale Beziehung besteht, wenn die Erwachsenen Grundhaltungen wie Wertschätzung, Echtheit und Empathie (vor-)leben, wenn Vertrauen besteht, die Kinder Sicherheit spüren. Dies sind dann Grundbedingungen, die dafür sorgen, dass Kinder lernen, sich an Regeln halten, Kritik annehmen oder auch Konsequenzen akzeptieren. Reflektieren wir unsere Beziehungen zu den Kindern – auch mit Kolleginnen und Kollegen?

Gut kommunizieren

Gut erziehen bedeutet auch, auf der Grundlage einer tragfähigen Beziehung, gut miteinander zu reden. Eine gute professionelle Kommunikation fördert die Beziehung zwischen Kind und Erwachsenen. Unsere Sprache, unsere verbale und non-verbale Kommunikation, ist von grundsätzlicher Bedeutung und hat viel mehr Auswirkungen auf die Beziehung zum Kind und auf die gesamte Atmosphäre in der Einrichtung, als wir annehmen. Wir lernen und kennen die Themen alle, setzen wir diese aber auch gut um? Kommunizieren wir gewaltfrei, ohne Anklage und Moralisierung? Wie oft kommt die eigene Wut, Ohnmacht und Hilflosigkeit durch? Gut erziehen heißt auch, mit Ich-Botschaften zu kommunizieren, Gefühle zu spiegeln und vor allem, wenn es stressig wird, sich nicht in Diskussionen mit Kindern verwickeln zu lassen, sondern An- und Aufforderungen ruhig und knapp zu formulieren. Das ist alles nicht einfach, muss trainiert werden und funktioniert nicht immer. Wann aber holen wir uns Feedback ein über unsere Sprache, wann trainieren wir unsere Sprache? Wann wurde das letzte Mal im Team über Erziehung und die Bedeutung der eigenen Kommunikation gesprochen?

Im Team über Erziehung reden

Im Team muss aus gutem Grund viel organisiert und abgesprochen werden. Viel Zeit hat man nicht. Gleichzeitig: Nicht nur die Kindergruppen, auch die Teams werden in Hinsicht auf Ausbildung und Herkunft der Kolleginnen immer heterogener. Jede Fachkraft erzieht nach bestem Wissen und Gewissen, bringt dabei ihre eigene, auch kulturell bedingte Biografie und Persönlichkeit mit ein. Jede hat ihre eigenen Erfahrungen und entwickelt daraus ihre Erziehungsvorstellungen. Daraus ergibt sich die Frage nach dem jeweiligen persönlichen Erziehungsstil und dem Erziehungsstil in der Einrichtung. Viele Diskussionen und auch Konflikte im Alltag können durchaus auf dieses Thema zurückgeführt werden. Zum Beispiel wenn diskutiert wird, wie viel geregelt werden muss, wie viel Freiheit und Autonomie gelassen wird oder ob gestraft werden soll. Und: Manchmal, gerade in stressigen Situationen, verhalten wir uns gegenüber den Kindern so, wie wir es selbst als Kind ungut erlebt haben. Die eigene Biografie muss reflektiert werden, damit wir es dann in der aktuellen Situation besser machen können. Wann, wo und wie reflektieren wir unsere Erziehungserfahrungen, die sich auf unser Erziehungshandeln auswirken?

Das Thema Konsequenzen

Kinder entwickeln sich, probieren Dinge aus und machen manchmal nicht das, was die Erwachsenen wollen. Gerade im Betreuungsalltag führt dies zu stressigen Situationen, die für alle Beteiligten anstrengend sind. Immer wieder wird sehr viel Zeit darauf verwendet, darüber zu reden und zu diskutieren, wie Konsequenzen für ein Fehlverhalten aussehen sollen. Zum Beispiel wenn nicht aufgeräumt wird, wenn ein Kind einer Aufforderung nicht folgt, wenn geschlagen wird.

Zeigen Kinder herausforderndes Verhalten, entwickeln sich entmutigende Kreisläufe, aus denen es scheinbar keinen Ausweg mehr gibt. Doch lohnen sich diese Diskussionen im Team wirklich? Gerade wenn es schwierig wird, wenn Kinder nicht das machen, was die Erzieherin oder der Erzieher sagt, wenn Kinder sich nicht an Regeln halten, ist es besser, die Ruhe zu bewahren und den Fokus auf den Erziehungsauftrag zu legen. Es kann sich lohnen, zu fragen, was das Kind lernen soll, statt zu viel Energie darauf zu verschwenden, wie eine Konsequenz oder Strafe aussehen soll. Wissen wir überhaupt, was unser Erziehungsziel mit Blick auf das Kind ist, was es lernen soll? Zum Beispiel in Ruhe zu essen oder mitzukommen. Formulieren wir das gut oder sind wir nur sauer, wenn es nicht funktioniert (was das Kind natürlich wahrnimmt und entsprechend in den Widerstand gehen lässt)? Reflektieren wir diese Situationen vor diesem Hintergrund? Denken wir über unser eigenes Erziehungsverhalten nach, das großen Einfluss auf das kindliche Verhalten hat? Und wird im Team konstruktiv über Erziehungsmaßnahmen diskutiert – auch über ihren Sinn und Unsinn, über die negativen Folgen von Strafen? Letztere werden leider noch viel zu häufig eingesetzt und tun nur eines: die Beziehung zum Kind schädigen.

Fazit

Das Erziehungsgeschehen in einer Schulkindeinrichtung ist dynamisch, vielfältig und hat in der Einrichtung vielfältige Auswirkungen. Für die Leitung ergeben sich viele Themen und damit Einflussmöglichkeiten, um die Arbeit, die Qualität der Erziehungsarbeit und die Atmosphäre in der Einrichtung insgesamt verbessern zu können. Leitungsaufgabe ist es unter anderem, das Feedback im Team in Bezug auf das Erziehungsverhalten und die Kommunikation der Erzieherinnen zu fördern. Ebenso sollte über Erziehungsmittel, also Konsequenzen, Ermutigung, Lob etc. gesprochen werden. Beratung und Unterstützung im Umgang mit Kindern, die ein herausforderndes Verhalten zeigen, muss eine Leitung selbst leisten oder organisieren. Das Coaching ihrer Mitarbeiterinnen bei Erziehungsfragen gehört ebenso dazu. Und für die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie, mit Erziehungsstilen und -vorstellungen sollte im Rahmen der Teamarbeit Platz gefunden werden.

Zum Schluss: Beachten wir, dass die beste Einflussmöglichkeit immer noch wir selbst sind. Wir haben eine unglaublich wichtige Vorbild-Funktion inne, und dies gilt in besonderem Maße für die Leitung als Vorbild für pädagogische Fachkräfte. Und beachten wir gleichzeitig die Grenzen im Erziehungsgeschehen: Die Kinder gestalten eigenaktiv ihre Entwicklung, sie sind „Werk ihrer selbst“, wie der Pädagoge Ludwig Liegle sagt (Liegle 2006, S. 42), und zeigen uns manchmal die eigenen Grenzen auf. Haben wir dafür Verständnis und arbeiten gleichzeitig an Beziehung und Erziehung!

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