Nah am Wasser gebaut bin ich eigentlich nicht. Beruflicher Stress, familiärer Streit, persönlicher Frust, das alles sorgt bei mir so gut wie nie für Tränen. Ganz anders, wenn ich eine Schulaula betrete. Egal ob es sich um Einschulungen, Weihnachtsfeste, Schulkonzerte handelt: Kaum sind Kinder in Kombination mit Instrumenten im Spiel, sollte mein Sitznachbar besser Taschentücher gezückt halten. Ich heule, noch bevor die erste Strophe zu Ende gesungen ist. Und spätestens beim Refrain tropft mir die Nase.
Mein jüngstes Kind ist kürzlich aufs Gymnasium gekommen. Damit ist das Kapitel Grundschule nun für immer für mich abgeschlossen. Zum Abschied traf sich die Klasse – Kinder, Eltern, Erzieher und Klassenlehrerin – im Park neben der Schule zum Picknicken. Es gab Wiener und Kartoffelsalat. Briefumschläge mit Dankeskarten wurden überreicht. Die Kinder hatten eine kleine Darbietung vorbereitet, genauer gesagt ein einziges Lied. Es war die „Ode an die Freude“ aus Beethovens 9. Sinfonie.
Wie sie da im Kreis zusammenstanden, diese quirligen, lebenslustigen Viertklässler, auf dem runtergetretenen Rasen, ohne Playback oder sonstige Begleitung, und wie sie dann alle zusammen, die einen lauter, die anderen leiser, die einen melodiöser, die anderer kakofoner, den zwischenmenschlichen Zusammenhalt beschworen – „... deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt ...“ – ja, da musste ich wieder mal schnell in meiner Handtasche kramen. Da steht es, das junge Europa, dachte ich. Unsere Zukunft. Unsere Hoffnung.
Es geht nicht darum, das Lernen zu lernen
An dem Tag hat sich biografisch ein Kreis geschlossen. Denn auch mein allererster Tag als Grundschulmama war ein tränennasser. Meine älteste Tochter wurde damals als Vorschulkind an einer Grundschule in unserer Nachbarschaft aufgenommen. Ein Jahr sanftes Hinübergleiten von Kita zur 1. Klasse, ein Jahr Zeit, um Klassenraum, Erzieherinnen, Lehrerinnen und Mitschüler kennenzulernen. Mittlerweile gibt es diese Vorschulklassen an Berliner Grundschulen nicht mehr. Damals begrüßte uns die Schulleiterin in kleiner Runde mit sehr persönlichen Worten. Es gehe in der kommenden Zeit nicht um Leistung, um Schreiben oder Rechnen, erklärte sie. Nicht um Zahlen oder Buchstaben, nicht um frühen Fremdsprachenerwerb. Nicht mal darum, das Lernen zu lernen. Nein. Es gehe vor allem darum, dass die Kinder zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen. Sodass aus vielen Einzelnen eine starke Gruppe wird, die allen Raum gibt, alle einschließt und in der sich alle sicher aufgehoben fühlen.
Es hat an dem Tag ausnahmsweise kein Lied gebraucht, um mich zu Tränen zu rühren.
Die Schulleiterin ist mittlerweile pensioniert, meine älteste Tochter hat Abitur gemacht. Aber wir denken an diese Zeit in der Grundschule sehr dankbar zurück. Weil ein sanfter Flügel weilte. Weil Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit herrschten. Auch dieses Heft war eine Gemeinschaftsproduktion. Entstanden in einer Berliner Büro-Etage, gelayoutet von Freiburger Kreativen, getragen von Freiberuflern und Freiberuflerinnen, die – obwohl per definitionem Einzelkämpfer – über viele Jahre der vertrauensvollen Zusammenarbeit zu Freunden geworden sind. Und auch wenn die Geschichte von klasseKinder! hier endet, der Glaube an die bergeversetzende Kraft der Gemeinschaft endet nicht. Weil wir es nur zusammen durch die Schule, durchs Leben schaffen können. So, und wenn Sie jetzt nicht heulen, dann weiß ich auch nicht.