Den ganzen Tag, aber nicht täglichStudienergebnisse

Zwei aktuelle Studien beschäftigen sich mit dem Ausbau der Ganztagsschulen. Der kommt in den Bundesländern ganz unterschiedlich voran. Die Rolle der Betreuer wächst.

Ganztagsschule – das Wort täuscht einheitliche Standards vor, die es in Deutschland allerdings nicht gibt. Gut vier Milliarden Euro haben Bund und Länder seit 2003 in den Ausbau investiert. 60 Prozent der deutschen Schulen bieten mittlerweile ganztägige Betreuung an, mehr als doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Was die Einrichtungen aber leisten können, hängt von den jeweiligen Landesgesetzen und den finanziellen Zugeständnissen der Kommunen für die Ausstattung ab. So müssen Ganztags-Grundschulen zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen nur an drei Wochentagen sieben Stunden lang geöffnet sein. In Hamburg, Schleswig- Holstein, Bremen und Hessen gilt diese Vorgabe dagegen für alle Arbeitstage.
Manche Kommunen wiederum haben die Hortbetreuung so weit ausgebaut, dass die Schüler de facto den ganzen Tag unter pädagogischer Aufsicht sind, auch wenn sie pro forma nicht auf eine Ganztagsschule gehen. Dazu kommen die Unterschiede zwischen gebundener und offener Ganztagsschule – also entweder mit Unterricht und Freizeit im steten Wechsel zwischen 8 und 16 Uhr oder mit traditionellem Vormittags- Unterricht. Die Bertelsmann-Stiftung hat viele dieser Unterschiede in einer im Frühjahr veröffentlichten Studie zusammengetragen. Ko-Autor Dirk Zorn kritisiert den föderalen Flickenteppich aus unterschiedlichen Angeboten und Bestimmungen, etwa was Ausstattung mit Material und Personal anbelangt. „Alle Länder sollten einheitliche Standards festlegen“, empfiehlt er.

MEHR UNTERRICHT ODER MEHR FREIZEIT

Nicht zuletzt die Arbeitsbedingungen und Einsatzgebiete für Erzieher sind sehr unterschiedlich. „Für den Ausbau der Ganztagsbetreuung setzen manche Länder allein auf mehr Lehrer, andere vor allem auf Erzieher“, schildert Zorn. Auch die Kassenlage von Städten und Gemeinden spielt eine Rolle. Die Lehrer gehören zwar zum jeweiligen Landesdienst. Für die außerunterrichtliche Betreuung von Schulkindern dagegen sind die Kommunen zuständig. In erster Linie aber sieht Soziologe Zorn unterschiedliche pädagogische Konzepte als Ursache: „Mancherorts herrscht eine Vision von Ganztagsschule, die streng darauf ausgerichtet ist, mehr Unterricht anzubieten.“ Bayern zum Beispiel setzt für den Ausbau der Betreuung allein auf mehr Lehrkräfte. Viele Fachleute aber sehen den Vorteil der Ganztagsschulen nicht darin, noch mehr Schulstunden als bisher anzubieten. Sie plädieren stattdessen dafür, Unterricht und restliche Betreuungszeiten intelligent zu verschränken. So steht es auch im Ganztagsbeschluss der Kultusministerkonferenz von Bund und Ländern. Erzieherinnen oder Sozialpädagogen kommt hier eine wichtige Rolle zu. Meist sind sie es, die Förderangebote außerhalb des Unterrichts gestalten oder die Kinder bei den Hausaufgaben betreuen. Doch auch hier gelten bisher keine Standards: Von Lehrern und ausgebildeten Erziehern bis hin zu ehemaligen Lehramtsstudenten und ehrenamtlich tätigen Rentnern oder Trainern kommen in diesem Bereich viele Menschen zu Einsatz.

SCHÜLER SIND NICHT SCHLAUER, ABER SOZIAL KOMPETENTER

„Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass im Nachmittagsbereich pädagogisch qualifiziertes Personal tätig ist“, betont Katja Tillmann vom Institut für Schulentwicklungsforschung an der Technischen Universität Dortmund. Die Sozialwissenschaftlerin hat in den vergangenen Jahren an der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen StEG“ mitgearbeitet. Im jüngsten Bericht der seit 2005 laufenden Langzeituntersuchung von vier Forschungseinrichtungen lässt sich unter anderem nachlesen, dass die Ganztagsbetreuung nicht zu höheren fachlichen Kompetenzen bei den Kindern geführt hat.
Zu diesem Ergebnis kamen die Wissenschaftler, nachdem sie Lesefähigkeit und naturwissenschaftliche Kompetenz von Grundschülern aus der Ganztagsbetreuung mit den Kenntnissen von Schülern verglichen hatten, die nur den Unterricht besuchten. Unterschiede konnten sie dabei nicht feststellen. Stattdessen entfalten die Ganztagsangebote offenbar eine andere Wirkung: Sie sorgen bei den Schülern für höhere soziale Kompetenzen, eine bessere Lernmotivation und fördern ein positives Selbstbild. „Der große Vorteil ist, dass der Nachmittag im Ganztag befreit ist vom Leistungsdruck“, so Bildungsforscherin Tillmann. Dazu passt der Studienbefund, dass Schüler außerunterrichtliche Angebote positiver wahrnehmen, wenn diese anders als die Schulstunden gestaltet werden. Von solchen Angeboten für „soziales Lernen“ können besonders Kinder aus Problemfamilien oder mit Migrationshintergrund profitieren. Dirk Zorn von der Bertelsmann-Stiftung sieht aber auch Vorteile für Mittelschichtskinder, die im Ganztag andere Selbsterfahrungen machen können als im wohlbehüteten Heim. Wenn ein Projekt mal nicht so gut läuft, werde zum Beispiel der Umgang mit dem eigenen Scheitern trainiert und Frustrationstoleranz aufgebaut. Zu Hause hätten die besorgten Eltern das womöglich gar nicht zugelassen, sagt Zorn. Indirekt kann sich diese soziale Bildung, verbunden mit positivem Selbstbild und hoher Motivation, auch positiv auf die Unterrichtsleistung auswirken. Sowohl die Forscher von der Bertelsmann-Stiftung wie auch die am „StEG“- Projekt beteiligten Wissenschaftler sind sich einig: Das alles kann nur gelingen, wenn es an Ganztagsschulen nicht nur um mehr Betreuungsstunden geht, sondern auch weiter in die pädagogische Qualität investiert wird. (sk)

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