Es gab Zeiten, in denen die Lehrerinnen die Türe hinter sich zuziehen konnten, um zu unterrichten, und die Erzieherinnen getrennt davon die Betreuung am Nachmittag übernahmen. Damals trafen Eltern im Elterngespräch nur die Lehrerin oder nur die Erzieherin. Jeder war so ziemlich alleine mit seinem „Blick aufs Kind“. Es war eine Zeit, in der es schon einmal Sätze gab wie: „Zuhause ist das gar kein Problem“ – „Nachmittags ist der Junge ein einziger Sonnenschein“ – „Bei mir im Unterricht passiert das nicht“. Eine Zeit, die längst vorbei ist.
„Heute arbeiten wir eng verzahnt zusammen“, sagt Ute Zimmermann, stellvertretende Schulleiterin der Grundschule KIWEST. 240 Kinder individuell zu fördern und fordern – das geht nur im Zusammenspiel aller Beteiligten. 80 Prozent der Kinder an ihrer Schule, schätzt Ute Zimmermann, stammen aus belasteten Verhältnissen: Armut oder Arbeitslosigkeit bestimmen mitunter das Familienleben. Andere Eltern kämpfen mit mangelnden Sprachkenntnissen, Entwurzelung oder anderen widrigen Lebensumständen. Aber auch Kinder aus sehr behütenden Elternhäusern besuchen die Grundschule KIWEST. Jungen und Mädchen, deren Eltern sie ganz bewusst hier angemeldet haben, damit sie alle Facetten des Lebens kennenlernen.
ZWEI TEAMTREFFEN PRO WOCHE
„Wir sind für die Kinder oft Heimat“, sagt Ute Zimmermann. „Sie verbringen häufig mehr Zeit bei uns als zu Hause.“ Da fällt dann in der Schule schon mal etwas auf, das Eltern gar nicht bemerken. Dass ein Kind aggressiv ist, weil es nicht richtig hört. Oder morgens schnell gereizt reagiert, weil es nichts im Bauch hat. „Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist uns sehr wichtig“, betont Ute Zimmermann. „Was zu Hause nicht klappt, können wir auch in der Schule nicht lösen.“
„Viele Eltern übertragen negative Erfahrungen mit Schule aus ihrer Kindheit auf ihre Kinder“, beobachtet Ganztagsleiterin Petra Mersch-Hunke. „Sie müssen erst einmal merken, dass Schule heute anders aufgestellt ist.“ Auf ganz verschiedenen Wegen kommt die Grundschule KIWEST mit den Müttern und Vätern in Kontakt (siehe Infoboxen auf der rechten Seite). Bevor Eltern Rückmeldung über ihre Kinder erhalten, tauschen sich die Beteiligten an der Schule intensiv aus: Mehrmals in der Woche sitzen Lehrer und Lehrerinnen, Erzieher und Erzieherinnen, der Schulsozialarbeiter sowie weitere Akteure des Ganztags zusammen und sprechen über die Entwicklung einzelner Kinder. Gespräche, die sicherstellen, dass die Ganztagsschule gegenüber den Eltern mit einer Stimme spricht: „Für Mütter und Väter ist es wichtig zu erfahren: Was für eine Meinung hat die Schule an sich“, sagt Petra Mersch-Hunke. „Nicht: Was sagen die Lehrer und was die Pädagogen des Ganztags?“
ELTERN NICHT EINSCHÜCHTERN
Entsprechend intensiv tauschen sich Erzieher und Erzieherinnen, Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen sowie die Lehrerschaft aus. Gemeinsam wird auch entschieden, welche möglichen weiteren Fachkräfte in schwierigen Situationen hinzugezogen werden sollten. Ob es beispielsweise das Jugendamt braucht, die Kinderpsychologin oder den Amtsarzt. Und es wird geklärt, wie die beste Hilfe für ein Kind aussehen kann. Und ob man ein Elternpaar zu einem Runden- Tisch-Gespräch bitten muss.
Ein solches Elterngespräch bereitet die Schule dann unter Mitwirkung aller Beteiligten vor. Es gibt ein Ziel fürs Gespräch. Einen Leitfaden, was angesprochen werden muss. Und die Entscheidung, wer zwingend am Elterngespräch teilnehmen muss. „Wir wollen die Eltern nicht einschüchtern“, sagt Schulsozialarbeiter Felix de l‘Espine. Deshalb sitzen nur die wichtigsten Akteure am runden Tisch. Andere Beteiligte geben ihre Anliegen nur als Auftrag mit. Mit Kaffee werden solche Gespräche eröffnet und die Eltern werden willkommen geheißen. Damit wird eine für sie angenehme Atmosphäre geschaffen, auch wenn der Inhalt mancher Gespräche sehr schwierig ist. Es werden Vereinbarungen getroffen, protokolliert und bisweilen auch per Unterschrift bestätigt. „Wir brauchen die Eltern als Partner“, sagt Felix de l‘Espine. „Denn nur so werden wir den Kindern besser gerecht.“
Angebote für Eltern
ELTERNECKE
Mit einer Elternecke hat die Grundschule Kinderhaus-West einen Ort für Eltern mitten in der Schule geschaffen: Gemütliche Klubsessel und Tischchen mit Blumen laden zum Verweilen ein. Fotowände zeigen ihre Kinder im Schulleben. An einer Infowand hängen alle wichtigen Dinge im Überblick: etwa neue Angebote des Ganztags oder aktuelle Termine.
GRUPPENFEST FÜR ELTERN
In schulischen Gremien sind zumeist gebildete Elternschichten aktiv. Das schreckt Eltern, die kaum Deutsch sprechen, häufig ab. Um gezielt diese Eltern anzusprechen, organisiert das Kinderhaus-West regelmäßig „Auffanggruppenfeste“ für Mütter und Väter, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen. Jeder bringt aus seiner Heimat etwas zu essen mit, denn Essen verbindet. Dann werden landestypische Aktionen veranstaltet, etwa Tänze: Eltern bringen Musik mit und zeigen, wie man in ihrem Land dazu tanzt.
BEHÖRDENUND LEBENSHILFE
Wie füllt man ein amtliches Formular aus, wenn man kaum Deutsch spricht? Wenn man gar nicht lesen und schreiben kann? Kinderhaus-West hat eigens eine Sozialpädagogin im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes als Helferin dafür im Team. Gemeinsam wird dann beispielsweise der Antrag auf einen Mittagessenszuschuss oder eine finanzielle Unterstützung der Klassenfahrt ausgefüllt. Ein Angebot, das sehr gut ankommt. Sind die Eltern erst einmal in der Schule, können bisweilen auch Anliegen der Schule thematisiert werden. Dann kommen schon mal Lehrer oder Lehrerinnen sowie Erzieher oder Erzieherinnen mit zum Termin.
ELTERNKONTAKT AM FRÜHSTÜCKSTISCH
Ab sieben Uhr morgens können Kinder im Kinderhaus-West frühstücken. Eltern sind ausdrücklich eingeladen, sich mit an den Tisch zu setzen und eine Tasse Kaffee zu trinken. In solchen informellen Situationen entstehen Gespräche, die Vertrauen schaffen. Auch erhalten Erzieherinnen wichtige Information nebenbei. Und nicht zuletzt sind praktische Fragen der Eltern rasch beantwortet, sei es zur nächsten Klassenfahrt oder zum Essenszuschuss.
FUSSBALLTURNIER
Wie bekommt man viele verschiedene Elternpaare in eine Gemeinschaftsaktion? Mit Fußball. Ein Spiel, bei dem weder Sprache noch Status eine Rolle spielen. Damit Eltern wirklich kommen, dürfen nur die Kinder am Turnier teilnehmen, die einen Elternteil dabeihaben. Und der darf freilich auch mitkicken.