Wenn eine Erzieherin oder ein Erzieher einen Verdacht haben, müssen sie das nötige Vorgehen für eine Intervention kennen. Denn alle Mitarbeitenden der Jugendhilfe – und damit auch die Fachkräfte in der Schulkindbetreuung – sind im Unterschied zu Lehrkräften verpflichtet, bei einem solchen Verdacht tätig zu werden. Das legt Paragraf 8a des VIII. Sozialgesetzbuchs fest. Die folgenden Schritte gelten nicht für die dramatischen Fälle. Wenn es geboten ist, müssen sofort das Jugendamt, vielleicht sogar Polizei oder ein Krankenhaus kontaktiert werden. In den meisten Verdachtsfällen aber ist ein schrittweises Vorgehen zu empfehlen:
Das Vier-Augen-Prinzip
Eine der goldenen Regeln im Kinderschutz lautet: Niemals allein handeln. Sorgt sich eine Fachkraft um ein Kind, sollte sie darüber immer mit einer Kollegin, einem Kollegen oder der Teamleitung sprechen. So können Einschätzungen abgeglichen, Informationen gesammelt und strukturiert sowie das Vorgehen besprochen werden.
Die „insoweit erfahrene Fachkraft“
Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen sind gesetzlich verpflichtet, bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung eine „insoweit erfahrene Fachkraft“ zurate zu ziehen. Das ist in der Regel eine externe Expertin in Sachen Kinderschutz, die vom Jugendamt vermittelt wird. Sie schätzt die Situation mit ihrer Sachkenntnis sowie dem Blick von außen ein und berät die Erzieherinnen und Erzieher zum weiteren Vorgehen. Je nach Fall leiten die Fachkräfte dann weitere Schritte ein.
Gespräch mit dem Kind
Das kann eine Möglichkeit sein, um mehr zur Situation zu erfahren. Der auf Kinderschutz spezialisierte Psychologe Jörg Maywald rät, den Kindern gut zuzuhören (Interview ab Seite 22). Oft geben sie Hinweise, ohne dass Erwachsene diese registrieren. Ein Gesprächsangebot an Kinder kann sein: „Du kannst mir etwas erzählen, wenn du das möchtest.“ Die Kinder sollten nicht gedrängt werden – das bewirkt meist, dass sie sich abschotten, statt sich zu öffnen. Denn sie stecken in einer Loyalitätsfalle: Trotz aller eventueller Vorkommnisse lieben sie ihre Eltern und sind auch auf diese angewiesen.
Gespräch mit den Eltern
Sollten sich die Vermutungen der Fachkräfte erhärten, müssen sie die Eltern zu einem Gespräch in die Einrichtung bitten. Zu einem solchen Termin, der anders als ein normales Elterngespräch abläuft, sollten zwei Fachkräfte anwesend sein. Schon im Gesprächsaufbau soll sich zeigen, dass die Erzieherinnen oder Erzieher beunruhigt sind. Ohne um den heißen Brei herumzureden, kann eine der Fachkräfte direkt beginnen: „Vielen Dank, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind. Der Grund für unser Gespräch liegt darin, dass wir uns um Ihr Kind sorgen. Wir möchten von Ihnen wissen, ob Sie dies nachvollziehen können.“ Dann schildert die zweite Fachkraft sehr sachlich und konkret den Grund für die Sorgen.
Die Reaktion der Eltern bestimmt den weiteren Gesprächsverlauf. Vielleicht berichten sie von privaten Dingen, die in der Einrichtung bisher unbekannt waren, aber zum Beispiel die plötzliche Verhaltensänderung eines Kindes erklären können. Oder das Problem wird aus einem anderen, familiären Blickwinkel deutlich. Am Ende sollte darüber gesprochen werden, was die Schule und was die Eltern tun können, um die Situation zu verbessern. Die Fachkräfte können fragen, ob auch Dritte etwas dazu beitragen können – eine Erziehungsberatungsstelle oder therapeutische Hilfe etwa.
Das Jugendamt kontaktieren
Es hängt vom Gesprächsverlauf ab, ob die Fachkräfte die Erklärungen der Eltern akzeptieren. Das ist möglich, solange es nicht um eine Gefährdung geht und die Fachkräfte den Eindruck haben, dass ihre Sorgen den Eltern wichtig sind. Die Betreuungseinrichtung hat ebenso wie Mutter und Vater eine Verantwortung für das Wohlergehen des Kindes. Deshalb können die Erzieherinnen und Erziehern den Eltern klar sagen: „Bei einer Gefährdung Ihres Kindes sind wir verpflichtet, das Jugendamt einzuschalten. Wir können uns dort zu einem gemeinsamen Gespräch treffen. Wenn Sie das nicht möchten, müssen Sie damit rechnen, dass das Jugendamt Sie besuchen wird, um sich ein Bild von der Situation zu machen.“
Eltern haben das Recht, die Einschätzung der Fachkräfte zurückzuweisen und die Art ihres Umganges mit den Kindern zu verteidigen. Wird der Konflikt über die unterschiedliche Einschätzung zur Gefährdungslage auch vor dem Jugendamt nicht beigelegt, muss am Ende ein Gericht entscheiden. Deshalb sollten Fachkräfte alle Schritte dokumentieren. (SK)