Schutzraum SchuleFakten und Zahlen zur Kindeswohlgefährdung

Kindeswohlgefährdung bleibt oft unbemerkt. Wie erkennen Fachkräfte im Ganztag, wenn Kinder unter Gewalt und Vernachlässigung leiden? Wie reagieren sie fachgerecht? Ein Überblick.

Schutzraum Schule
© Ulrich Baumgarten - gettyimages.de

In der Schule – und gerade in der Ganztagsschule – verbringen Kinder den größten Teil des Tages. Lehr- und Fachkräfte werden zu wichtigen Bezugspersonen für die Mädchen und Jungen. Damit verbunden ist eine große Verantwortung für den Kinderschutz. Im Normalfall wollen die Eltern nur das Beste für ihren Nachwuchs und kümmern sich verantwortungsvoll um dessen Belange. Aber wie jeder Pädagoge und jede Pädagogin weiß, gibt es auch die anderen Fälle. Diese richtig zu erkennen und fachgerecht im Sinne des betroffenen Kindes zu reagieren, ist eine Herausforderung. Nur so kann die Einrichtung wirklich zu einem Schutzraum für diese Schülerinnen und Schüler werden.

Der Gesetzgeber hat den Kinderschutz in Deutschland mit einem Schwerpunkt auf die Vorsorge geregelt. Im Bundeskinderschutzgesetz sowie dem Kinder- und Jugendhilfegesetz ist deshalb von Kindeswohlgefährdung die Rede. Interventionen sind damit schon möglich, bevor ein Mädchen oder Junge Schädigungen erleidet. Der Bundesgerichtshof hat vor einigen Jahren definiert, dass es sich um eine Gefährdung handelt, wenn in der weiteren Entwicklung mit ziemlicher Sicherheit eine erhebliche Schädigung vorauszusehen ist. Das aber können Fachkräfte oft schwer einschätzen. Und die Hürden für einen Eingriff in die Familie liegen hoch. Elternverantwortung, Elternpflichten und Elternrecht – all das ist ebenfalls gesetzlich verbrieft. Mütter und Väter genießen hierzulande eine weitgehende Freiheit in der Erziehung. Das Bundesverfassungsgericht sieht in Eltern und ihrem Nachwuchs eine Schicksalsgemeinschaft: Kein Kind hat ein Recht auf bestmögliche Erziehung, sondern nur auf die Unterstützung, die Eltern nach Lage der Dinge geben können. Die Grenze verläuft da, wo das Kindeswohl gefährdet ist. Diese Linie sehen die Behörden immer häufiger überschritten: Seit Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes sahen die Jugendämter Jahr für Jahr häufiger das Kindeswohl gefährdet. Laut Statistischem Bundesamt stieg die Zahl der erfassten Fälle von fast 38.300 Fällen im Jahr 2012 auf mehr als 45.700 im Jahr 2017.
Entwicklungspsychologen unterscheiden mehrere Formen der Gefährdung, wobei ein Kind auch von mehreren Arten bedroht sein kann.

KÖRPERLICHE GEWALT

Die Zahl der bundesweit erfassten akuten körperlichen Misshandlungen ist zwischen 2012 und 2017 von jährlich knapp 5.000 auf 6.700 Fälle gestiegen. Dazu kommen jeweils fast so viele latente Fälle. Auch wenn seit dem Jahr 2000 das Recht auf gewaltfreie Erziehung in Paragraf 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuches festgelegt ist, verzichtete noch 2003 nach einer Studie des Bundesfamilienministeriums nur etwa ein Viertel der Eltern generell auf Körperstrafen. Allerdings kommt es nur in Extremfällen zu Prügel, Schlägen mit Gegenständen, Kneifen, Treten oder noch schlimmeren Übergriffen.

SEELISCHE GEWALT

Zu diesem Bereich zählen einerseits recht eindeutige Fälle: wenn eine Bezugsperson ein Kind niederbrüllt, es beschämt, ausgrenzt oder isoliert. Auch Handlungen, die ein Kind verängstigen, wiegen schwer. Andererseits fassen Fachleute aber auch passive Formen unter seelischer Gewalt: Wenn ein Kind etwa in Trennungsprozessen von einem Elternteil instrumentalisiert und gegen das andere in Stellung gebracht oder wenn es als Partnerersatz benutzt wird. Es kommt vor, dass Kinder die Eltern versorgen und damit eine Erwachsenenrolle einnehmen sollen, die ihrer Entwicklung schadet. „Dieser seelische Bereich wird oft nicht so wahrgenommen“, warnt der Psychologe Jörg Maywald (siehe Interview auf Seite 22). Mädchen und Jungen leiden auch, wenn sie sehen, dass sich ihre Eltern schlagen. „Wir wissen heute aus der Neurobiologie, dass sie solche Erlebnisse so verarbeiten, als wären sie selbst geschlagen worden“, sagt Maywald.

VERNACHLÄSSIGUNG

Statistisch ist dies die häufigste Form der Kindeswohlgefährdung. 2017 fielen unter diesen Bereich 61 Prozent aller 48.900 behördlich festgestellten Fälle. Hier verlaufen die Grenzen zwischen körperlicher und seelischer Gewalt fließend. Es geht um mangelnde Ernährung, fehlende Pflege oder unterlassene gesundheitliche Fürsorge. Aber Eltern können ihren Kindern auch Zuwendung, Liebe, Akzeptanz, Schutz oder Förderung verweigern und vernachlässigen sie damit seelisch. Gerade die fehlende Aufmerksamkeit kommt in allen Milieus vor, Vernachlässigung ist nicht nur ein Phänomen sozial belasteter Schichten.

SEXUELLE GEWALT

Rein statistisch haben die Behörden in diesem Bereich die wenigsten Fälle registriert, im Jahr 2017 zum Beispiel gut 2.000 der insgesamt 45.700 Gefährdungen. Fachleute schätzen die Dunkelziffer auf diesem Gebiet aber besonders hoch. Und im Unterschied zu den anderen Formen der Kindeswohlgefährdung begehen Bezugspersonen sexuellen Missbrauch in der Regel planvoll, oft über Jahre und sie steigern allmählich die Intensität. Die Täter sind in diesem Bereich überwiegend Männer oder männliche Jugendliche. Wie zahlreiche Untersuchungen zeigen, kommen sie vor allem aus dem sozialen, institutionellen oder familiären Umfeld. Beim Kindesmissbrauch geht es um sexuelle Handlungen, die ein Erwachsener oder ein älterer Jugendlicher an einem Kind gegen dessen Willen verübt. Das betroffene Kind ist dabei nicht in der Lage, die Situation zu kontrollieren. Oft verläuft sexuelle Gewalt mit Körperkontakt, es gibt aber auch Fälle ohne. Dazu zählen Exhibitionismus, Darbietung von Pornografie, sexualisierte Sprache und auch die Herstellung sowie der Handel mit Kinderpornografie.  

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