Wut hat einen kurzen SchaltkreisEmotionale Entwicklung

Kindern fällt es schwer, starke Gefühle zu regulieren. Das liegt an ihrem Vernunftzentrum im Gehirn, dem präfrontalen Cortex. Er ist noch nicht ausgereift.

Er gilt als Steuerzentrale, als Sitz der Persönlichkeit, als Vernunftzentrum: der präfrontale Cortex. Dieses Hirnareal im Stirnbereich, auch Stirnhirn oder Frontallappen genannt, steuert Gedanken, Gefühle und Emotionen und ist Sitz des motorischen Sprachzentrums. Dank ihm können wir die Konsequenzen einer Handlung voraussehen, die Zukunft planen und uns längerfristig auf eine bestimmte Sache konzentrieren. Fertig ausgebildet ist der Frontallappen erst mit etwa 25 Jahren. Das erklärt, warum bis in die Pubertät hinein Kinder und Jugendliche Schwierigkeiten haben, mit Wut und Ärger umzugehen.
Wut und Zorn, genauso wie Angst und alle anderen Emotionen, entstehen im sogenannten limbischen System, einem evolutionär sehr alten Bereich unseres Gehirns. Wichtig für das limbische System und mit ihm eng verbunden sind der Hypothalamus, das Steuerzentrum für Hormone, und der Thalamus, das Tor zum Bewusstsein. Ein passender Name, denn der Thalamus fungiert als Filter. Dort entscheidet sich, welche Informationen – also das, was wir sehen, hören oder fühlen – zur Großhirnrinde weitergeleitet werden und ins Bewusstsein rücken.

WENN DIE AMYGDALA ÜBERNIMMT

Was passiert nun im Gehirn, wenn wir etwas Bedrohliches sehen oder hören? Zunächst wird dieser Reiz im Thalamus registriert. Dieser schickt die Reizinformation auf zwei Bahnen weiter: Auf der einen Bahn wandert der Reiz in die Großhirnrinde, zum präfrontalen Cortex. Und auf der anderen, deutlich schnelleren Bahn ins limbische System, genauer gesagt, in die Amygdala, einer mandelförmigen Ansammlung von Nervenzellen.
Wenn Mensch sich bedroht fühlt, reagiert die Amygdala sofort: Sie setzt den hemmenden Stirnbereich außer Kraft und aktiviert über den Hypothalamus das Alarmsystem des Körpers. Die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin und andere Nerven-Botenstoffe werden ausgeschüttet. Die Folge: Der Blutdruck steigt, der Herzschlag beschleunigt sich und das Blut rauscht in die Muskeln, damit wir fliehen oder kämpfen können, je nachdem, was die Situation erfordert. Daher explodieren wir erst einmal vor Wut oder erstarren vor Angst, wenn wir zum Beispiel einen Gegenstand erblicken, der wie eine Schlange aussieht. Der Thalamus schickt die Reizinformation zwar auch an die Großhirnrinde. Weil diese Bahn aber langsamer ist als das limbische System, kommt der Reiz erst später beim Stirnhirn an. So dauert es einige Zeit, bis der präfrontale Cortex wieder versuchen kann, die Gefühle zu kontrollieren und die Lage rational einzuschätzen. Und das klappt bekanntlich nicht immer.

NEUER SAMMELBEGRIFF: EXEKUTIVE FUNKTIONEN

Lernen, mit Wut und anderen starken Gefühlen umzugehen, ist also ein schwieriger Prozess. Ein Kind muss zunächst erkennen, dass es wütend ist: weil das Herz schneller schlägt, die Fäuste geballt sind. Dann muss es herausfinden, warum es so fühlt: weil der Sitznachbar ihm gerade das Lineal in den Bauch gestoßen hat. Und schließlich der schwierigste Gang von allen: Es gilt, die spontane Reaktion zurückzuhalten und möglichst durch eine sozial adäquate Reaktion zu ersetzen.
Für all diese Mechanismen, die vom präfrontalen Cortex gesteuert werden und die es uns erlauben, Gedanken und Gefühle zu koordinieren und zu kontrollieren, hat sich in der Hirnforschung und Neuropsychologie ein neuer Sammelbegriff etabliert: exekutive Funktionen. Sie umfassen verschiedene kognitive Fähigkeiten:

  • Ein gutes Arbeitsgedächtnis. Das bedeutet, dass sich die Kinder Regeln merken oder eine Aufgabe selbstständig erledigen können.
  • Impulskontrolle. Das ist kurz gesagt die Fähigkeit, erst „zu denken, dann zu handeln“, also spontanen Impulsen zu widerstehen.
  • Geistige Flexibilität: So nennt man die Fähigkeit, eine Situation aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und sich auf neue Anforderungen schnell einzustellen.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass den exekutiven Funktionen eine Schlüsselrolle sowohl hinsichtlich des Lern- und Schulerfolges als auch in Bezug auf die sozial-emotionale Entwicklung zukommt. Wer sein angestrebtes Ziel nicht aus den Augen verliert, flexibel reagiert und sich nicht allzu leicht ablenken lässt, lernt erfolgreicher. Wer in der Lage ist, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse auch mal hintanzustellen, andere Meinungen zu akzeptieren und sein Verhalten bei Frust zu kontrollieren, kommt in sozialen Situationen besser zurecht. Daher sind die exekutiven Funktionen auch für die pädagogische Praxis interessant.

Das Gehirn

Unser Denkorgan ist ein unglaublich komplexes System mit fast 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen), die wiederum über Billionen Synapsen verbunden sind. Ständig verknüpfen sich Neuronen über Synapsen miteinander. Der Prozess dauert ein Leben lang, den größten Sprung macht das Gehirn aber nach der Geburt. Im ersten Lebensjahr wächst es um das Dreifache. Mit drei Jahren besitzen Kinder doppelt so viele Synapsen wie Erwachsene. Die meisten verschwinden wieder, nur diejenigen überleben, die aktiv genutzt werden. Diesen verschwenderischen Umgang mit Nervenzellen und Synapsen leistet sich das Gehirn bis in die Pubertät. Auf diese Weise lernen wir zwar langsamer, werden aber immer schlauer und anpassungsfähiger.  

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