Zusammen wachsen in PhasenGruppendynamik

Gruppendynamische Prozesse beeinflussen nicht nur das soziale Klima innerhalb der Klasse, sondern auch das Lernverhalten.

Zusammenwachsen in Phasen
© jarmoluk - Pixabay

Sie kommen aus unterschiedlichen Kindergärten oder waren bisher sogar noch nie in einer Betreuungseinrichtung: Aus ganz verschiedenen Kindern wird zu Beginn der ersten Klasse eine neue Gruppe, in der jeder erst seinen Platz finden muss. Für Pädagogen und Erzieher bedeutet dies eine anspruchsvolle Aufgabe. Denn vom Gruppenklima wird in den kommenden Jahren vieles abhängen.
Wie gut jeder Einzelne in seiner Klasse wirklich ankommt, das hat auch Einfluss auf seinen Lernerfolg. Darüber hinaus wirkt es sich auf die persönliche Entwicklung der Kinder aus: In Schule und Hort lernen sie, auf sich aufmerksam zu machen, von anderen gehört und akzeptiert zu werden, sich durchzusetzen, Kompromisse zu schließen. Und sie erfahren, was Zuverlässigkeit und Aufrichtigkeit bedeuten. Wie gut die Schüler all das lernen, hängt auch von der Atmosphäre in der Klasse ab. Nicht nur Lehrer, sondern ebenfalls die Fachkräfte in der Betreuung sollten deshalb darauf achten, dass die Kinder von Anfang an zu einer guten Gruppe zusammenwachsen. Orientierung dafür bietet das Modell der Gruppendynamik von Bruce Tuckman. Der US-amerikanische Psychologe hat in den 1960er-Jahren die Entstehung eines Teams in vier Phasen beschrieben. Das Modell zielt auf die Arbeitswelt ab und wird bis heute vor allem auf Managementschulungen vermittelt. Aber es lässt sich ebenso auf Kindergruppen anwenden. Im Einzelnen geht es um folgende Abschnitte:

  • Forming: die Einstiegs- und Findungsphase
  • Storming: die Auseinandersetzungs- und Streitphase
  • Norming: die Regelungs- und Übereinkommensphase
  • Performing: die Arbeits- und Leistungsphase

Am Anfang (Forming) sollen auf der einen Seite die Kinder untereinander Bekanntschaft schließen, andererseits die Pädagogen die Schülerinnen und Schüler kennenlernen. Dabei haben die Erwachsenen die Aufgabe, richtige Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Psychologin Mechthild Schäfer von der Ludwig- Maximilians-Universität München hat in ihren Studien festgestellt, dass sich in einer Klasse sehr schnell eine stabile Struktur bildet, in der jeder seine feste Rolle hat. In den Monaten zwischen Einschulung und Jahresende würden sich die sozialen Strukturen festigen, sagt sie. Danach werde es immer schwerer, das Klassenklima zu verändern. Kindern, die in dieser frühen Phase eine führende Rolle erobern, sei diese meist über eine lange Zeit sicher.
In der folgenden Auseinandersetzungs- und Streitphase (Storming) brechen häufiger als zu Beginn Konkurrenzkämpfe zwischen verschiedenen Grüppchen aus. In dieser Phase der Gruppenbildung sind Betreuer und Pädagogen stark gefordert. Sie müssen Konflikte begleiten und moderieren. Oft verlaufen Auseinandersetzungen entlang der Geschlechtergrenzen, aber auch innerhalb von Mädchen- und Jungengruppen geht es am Ende der ersten und Beginn der zweiten Klasse heiß her. Mechthild Schäfer zufolge zeigen sich in der Grundschule überwiegend zwei Strategien, mit denen Kinder versuchen, eine Bestimmerrolle in der Gruppe zu erobern: Manche Mädchen und Jungen treten kooperativ auf, um Sympathien zu gewinnen. Sie unterstützen andere, treten für Gerechtigkeit ein oder verteilen Geschenke.
Im Gegensatz dazu setzen manche Kinder auf die „zwingende Strategie“: Sie fordern aggressiv ihren Willen – und sind damit durchaus erfolgreich: Auch solche Kinder werden von den Altersgenossen respektiert. Beliebt unter den Mitschülern aber, darauf verweist Psychologin Schäfer ebenso, seien in der Grundschule eher die kooperativen Kinder.
In der dritten Phase (Norming) etablieren sich bestimmte Hierarchie- und Interaktionsstrukturen innerhalb der Gruppe. Die Bestimmer kontrollieren die Ressourcen der Klasse. Das heißt, sie sind populär, bekommen viel Aufmerksamkeit und haben gute Kontakte zu Lehrern und Mitschülern. „Wir vermuten, dass diese Kinder ein besonderes Gespür dafür haben, was die Gruppe insgesamt will“, erläutert Schäfer.
Die einflussreichsten Kinder bestimmen in der Performingphase nicht nur das soziale Klima, sondern wesentlich die Lerneinstellung der gesamten Klasse. Auch das ergab eine gemeinsame Studie Schäfers mit ihrem Kollegen Sebastian Schwanke. Dominante Schülerinnen und Schüler stellen für andere einen Referenzpunkt dar. Zudem neigen Gruppenmitglieder dazu, die eigene Einstellung dem Verhalten der anderen anzugleichen. Nach und nach pegeln sich deshalb alle Schüler nahe der Einstellung ihrer Anführer ein.
Gruppendynamik verläuft nicht linear. Wenn Nachzügler im Herbst oder Winter in die Klasse kommen, durchläuft die Kindergruppe möglicherweise alle vier Phasen noch einmal (Reforming). Darauf müssen sich Lehrer und Erzieher einstellen. 

Literatur und Adressen

Bücher

  • Claudia Dierkes-Hartwig, Bernd Groot-Wilken: Der Übergang von der Kita in die Grundschule: mit Checklisten und Kopiervorlagen. Herder, Freiburg 2017. 96 Seiten, 20 Euro. ISBN 978-3-451-34830-3
  • Johanna Otto, Karolin Migas, Nora Austermann und Wilfried Bos: Integration neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher ohne Deutschkenntnisse: Möglichkeiten, Herausforderungen und Perspektiven. Waxmann Verlag, Münster 2016. 80 Seiten, 20,90 Euro. ISBN 978-3-8309-3518-6
  • Daniela Braun (Hrsg.): Von der Kita in die Grundschule. Den Übergang professionell vorbereiten und begleiten. Cornelsen Verlag, Berlin 2015. 103 Seiten, 19,95 Euro. ISBN 978-3-589-24623-6
  • Melanie Eckerth, Petra Hanke: Übergänge ressourcenorientiert gestalten: Von der KiTa in die Grundschule. Kohlhammer, Stuttgart 2015. 135 Seiten, 22,99 Euro ISBN 978-3-17-024244-9
  • Download Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Hanne Shah: Flüchtlingskinder und jugendliche Flüchtlinge in der Schule. Eine Handreichung. Stuttgart 2015. 38 Seiten. Kostenloser Download unter www.km-bw.de

Programme

  • Aktion zusammen wachsen. Das vom Bund geförderte Projekt fördert Bildungspatenschaften und Mentoringprogramme für Kindergarten- und Schulkinder aus Zuwandererfamilien. Mehr Infos unter www.aktion-zusammen-wachsen.de
  • Willkommen bei Freunden. Das Bundesprogramm unterstützt Landkreise, Städte und Gemeinden dabei, geflüchtete Kinder und Jugendliche gut aufzunehmen und zu betreuen. Infos für Schulen unter www.willkommen-bei-freunden.de/themenportal/ schule

Film

Von Syrien ins Oderbruch: Seit Mai 2015 leben drei aus Syrien geflüchtete Kinder mit ihren Familien im brandenburgischen Golzow. Zwei TV-Reporter haben sie für den Rundfunk Berlin-Brandenburg ein Jahr lang begleitet. Michael Lietz, Markus Woller: Golzows neue Kinder, Reportage, 28 Minuten. Bis 10.09.17 abrufbar unter mediathek.rbb-online.de

Ankommen kompakt

  • Der Übergang von der Kita in die Grundschule ist ein zentrales Ereignis in der Kindheit. Lehrer und Erzieher haben die Aufgabe, die Kinder dabei gut zu begleiten.
  • Schulanfänger müssen sich der neuen Situation anpassen und dabei Entwicklungsaufgaben in relativ kurzer Zeit bewältigen. Solche Übergänge nennt man Transition.
  • Auch für die Familien bedeutet der Schulanfang große Veränderungen.
  • Kooperationen der Bildungseinrichtungen Kita, Schule und Hort helfen Eltern und Kindern, den Übergang gut zu bewältigen.
  • Familien mit Flüchtlings- und Migrationshintergrund brauchen oft besondere Unterstützung.
  • In vielen Herkunftsländern funktioniert Schule anders als in Deutschland. Zum Beispiel wird oft wenig mit den Eltern zusammengearbeitet.
  • Schule und Hort sollten daher rechtzeitig und niedrigschwellig informieren, was sie von den Eltern erwarten.
  • Nach der Einschulung durchlaufen Klassen und Hortgruppen gruppendynamische Prozesse, die Pädagogen und Fachkräfte moderieren müssen.

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