Auch eine Yoga-Grußformel kann laut und blechern klingen – „Namasté!“ quietscht es aus den Lautsprechern eines Roboters. Der hört auf den Namen Nao, ist etwa 60 Zentimeter groß, hat zwei leuchtende LED-Augen und kann mit vier eingebauten Mikrofonen in alle Richtungen lauschen. Insgesamt 21 kleine Motoren sorgen dafür, dass er Arme, Beine, Kopf und Hände bewegen kann. Diese Gelenkigkeit braucht der kleine Kerl für die Aufgabe, die jetzt vor ihm liegt.
Er steht auf einer blauen Matte vor Kindern der Klasse 2a in der Friedrichshagener Grundschule. Hier am Stadtrand von Berlin beginnt gleich ein ganz besonderer Kinderyoga-Kurs. Heute wird nicht wie üblich Erzieherin Martina Kunze die Übungen zeigen, stattdessen ist Nao gefragt. Noch steht er aufrecht und knarzt: „Mal bin ich groß.“ Kurze Pause, dann folgt: „Mal bin ich klein.“ Langsam, aber mit flüssigen Bewegungen geht der Automat in die Knie. Die fast 20 Kinder machen eifrig mit, auch als Nao sich anschließend wieder auf die Füße stellt und seine Arme in die Höhe reckt: „Und mal will ich ein Baum sein.“
Erzieherin Martina Kunze hatte Kinderyoga einst eingeführt, um Schüler mit körperlichen Handicaps, mit Lernschwächen oder Konzentrationsproblemen gut in die Gruppenarbeit einbinden zu können. Eigens dafür absolvierte die Integrationserzieherin eine Zusatzausbildung zur Yogalehrerin. „Ich habe nach Methoden gesucht, wie ich Integrationskindern das Gefühl gebe: Sie sind wichtig und sie können etwas“, erinnert sich Kunze. „Das sollte nicht schulmäßig sein, sondern die Kinder sollten sich dabei konzentrieren und entspannen können.“ Aber die Yogastunde nutzt auch allen anderen Kindern. Sie kommen nach dem Unterricht und den Hausaufgaben zur Ruhe, bevor sie sich ins nachmittägliche Spielplatz-Getümmel stürzen.
DER ROBOTER KANN ERZIEHER NICHT ERSETZEN
Einem ganz ähnlichen Ansatz folgt jetzt der Einsatz des Roboters. Der ersetzt nicht etwa die Erzieherin, sondern er soll bei den Kindern zusätzliche Aufmerksamkeit erzeugen. „Wir wollen Lust und Neugier wieder anstacheln, emotionale Begeisterung bei Kindern und Erwachsenen wecken“, sagt Lutz Geißler. Der Ingenieur, der eigentlich in einem IT-Unternehmen arbeitet, hatte die Idee zu diesem Pilotprojekt. Und er betreut es ehrenamtlich, kümmert sich etwa um die Programmierung des humanoiden Computers. Schulleiterin Yvonne Dunkel, die als Techniklehrerin modernen Entwicklungen ohnehin aufgeschlossen gegenübersteht, hatte zu Projektbeginn vor allem den Gedanken, ein autistisches Kind mit dem Roboter zu erreichen. Das ist nicht in der Lage, Gefühlsregungen anderer Menschen zu erkennen, und reagiert entsprechend reserviert. „Der Erfolg war riesig“, berichtet sie. „Der Nao ist viel schneller und dichter an das Kind herangekommen als manche Pädagogen es in wochenlanger Arbeit schaffen.“ Zwar gibt es schon an vielen Schulen in Deutschland ähnliche Roboter. Üblicherweise aber werden sie genutzt, um Programmierkenntnisse zu vermitteln. Ein Punkt, der an der Berliner Grundschule keine Rolle spielt. „Es ist der erste Einsatz dieses Modells außerhalb des Unterrichts im sozialpädagogischen Bereich an einer Grundschule“, sagt Geißler.
Während die Mädchen und Jungen den Yoga-Figuren des Roboters folgen, sitzt der Ingenieur am Rand hinter seinem Laptop. Die Maschine besitzt keine künstliche Intelligenz, sondern tut nur exakt das, was Geißler zuvor programmiert hat. Am Ende der Yogastunde prasseln die Fragen der aufgeregten Kinder auf ihn ein: „Wie kann der Roboter sprechen?“, „Warum können seine Augen in verschiedenen Farben leuchten?“, „Kann der uns auch hören?“ Der Ingenieur beantwortet alles geduldig und weist darauf hin, dass Nao nur das macht, was die Menschen sich vorher ausgedacht haben. Praktische Computerbildung, ganz beiläufig.
AUCH DIE MASCHINE WECKT EMOTIONEN
Und die Menschen hier in der Schule haben für den Androiden mehr als nur die Turnübungen vorgesehen. Er soll mit den Kindern auch Rechnen üben. Deshalb sitzt einen Tag nach der Yogastunde Max-Ole aus der Klasse 2a der Maschine gegenüber. In der Hand hält er einen Stapel kleiner Zettel mit Additionsaufgaben. Etwas weitschweifig erklärt Nao, wie man mit ihm reden muss – denn das unterscheidet sich vom normalen, impulsiven Kindergespräch. Es dauert immer einen Moment, bis der Roboter vom Sprechen ins Zuhören umschaltet. Erst nach einem kurzen Piepton sind die Mikrofone eingeschaltet. Deshalb gibt es zunächst ein paar Verständigungsprobleme, aber trotzdem hat Max-Ole sichtlich Spaß an den Mathe-Übungen. Er liest jeweils die Aufgabe vor, dann fragt der Roboter „… ist gleich?“, woraufhin der Schüler die Lösung sagt. Ist die richtig, turnt Nao ab und zu als Belohnung eine Yoga-Figur vor. Und für den Fall, dass ein Ergebnis nicht stimmt, hat Geißler ermutigende Worte einprogrammiert.
Emotionale Bindungen spielen in der Pädagogik eine wichtige Rolle, Roboter aber sind kalte Maschinen. Trotzdem haben die Erzieherinnen im Pilotprojekt bemerkt, dass Nao bei den Mädchen und Jungen Gefühle wecken kann. Nicht zuletzt, weil er so aussieht, wie man sich ein niedliches Roboterkind vorstellt. „Die Kinder können ihn als Freund annehmen“, berichtet Martina Kunze. „Und was sehr gut ist: Sie wissen ganz genau, was er nicht kann. Einige Kinder können auch manche Dinge nicht. Dann bemerken sie: Man muss nicht alles können. Aber etwas kann ich, und das stärkt mich.“ Ihre Kollegin Janina Gadegast hat beobachtet, dass viele Kinder den Roboter gerne umarmen würden: „Dieses Berühren ist ganz wichtig. Die Kinder würden auch gerne mit ihm spielen. Das geht leider nicht, weil die Technik empfindlich und teuer ist. Aber ich glaube trotzdem, dass eine Bindung ganz schnell hergestellt wird.“
HOHE KOSTEN FÜR DIE TECHNIK
Schulleiterin Dunkel möchte das Projekt gerne fortsetzen. Dafür allerdings muss erst die Finanzierung gesichert werden. Zwischen 7.000 und 8.000 Euro kostet der Roboter. Aus dem normalen Budget ist das nicht zu stemmen, deshalb will sich die Schule jetzt auf die Suche nach Sponsoren machen. Für die teure Technik ist ein sicherer Aufbewahrungsraum nötig. Und die Pädagogen brauchen einen technischen Spezialisten, der sich unter anderem um die Programmierung des Androiden kümmert. Ein ambitionierter Kollege kommt dafür ebenso in Frage wie ein ehrenamtlicher Helfer nach dem Vorbild Lutz Geißlers.
Generell weckt das Thema nicht nur Begeisterung, sondern auch Ängste vor einer Roboterbetreuung in der technisierten Zukunft. Deshalb betont der Ideengeber, es gehe nicht darum, künftig Erzieherinnen und Erzieher zu ersetzen. Daran glauben – trotz der Digitalisierungswelle in allen Lebensbereichen – auch viele Fachleute nicht. Pädagogen seien gerade mit Blick auf „emotionales Lernen“ künftig mehr gefragt denn je, sagte Bildungsexperte Thomas Schmidt erst kürzlich auf einem Zukunftsforum des Bundesbildungsministeriums zum Thema. Der Soziologieprofessor Michael Jäckel verwies auf der Veranstaltung darauf, dass nicht nur Maschinen in vielen Bereichen immer menschenähnlicher agieren. Mittlerweile würden sich Menschen in Teilen auch so verhalten wie ein Computer, warnte der Präsident der Universität Trier. „Da muss man über Grenzen nachdenken, wo das hinführen soll.“
Erzieherin Janina Gadegast an der Berliner Grundschule arbeitet zwar gerne mit dem Androiden Nao. Doch auch sie ist ganz entspannt, was ihre berufliche Zukunft angeht. „Dass der Roboter unsere Arbeit übernimmt, sehe ich nicht. Da fehlt dann viel an Emotionen, die wir einfach mitbringen. Die hat so ein Roboter nicht, und die wird man ihm hoffentlich auch nie einprogrammieren können.“
Lernroboter
werden eigentlich entwickelt, um den Schülern technisches und naturwissenschaftliches Wissen zu vermitteln. Im Berliner Pilotprojekt nutzen Sozialpädagogen die Fertigkeiten von Roboter Nao aber in der Betreuung. Dieser kann laufen, sich setzen, tanzen – und sogar wieder aufstehen, wenn er mal hinfällt. Für diese Bewegungsfähigkeit sorgen 21 Motoren im Zusammenspiel mit Sensoren und einer komplexen Software. Der Roboter blickt durch zwei Kameras auf die Welt und kann über eingebaute Mikrofone und Lautsprecher kleine Gespräche führen.
www.nao-in-der-schule.de