Von Geburt an haben neben den Genen auch die Kultur, die Umwelt und die Erziehung entscheidenden Einfluss darauf, was es bedeutet, Junge oder Mädchen zu sein. Welches Verhalten für welches Geschlecht in unserer Gesellschaft angemessen ist, welche Eigenschaften Männer und welche Frauen ausmachen, wird Kindern von klein auf nahegebracht: Kinder lernen von den Rollenmodellen in der eigenen Familie, aber auch aus den Medien und ihren Erfahrungen im Alltag: Nicht nur Väter und Mütter sind Vorbilder, sondern auch Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer.
KEINE GESCHLECHTERKLISCHEES
Es ist die Aufgabe aller Erwachsenen, Kindern vielfältige Identifikationsmöglichkeiten anzubieten. Dabei sollten sie sich an den Bedürfnissen jedes einzelnen Kindes orientieren – und nicht an seinem Geschlecht. Zumal inzwischen sogar der Gesetzgeber offiziell anerkannt hat, dass es Menschen gibt, die sich nicht eindeutig als Mann oder Frau identifizieren lassen.
Ist doch in ihrer Einrichtung selbstverständlich, mögen Sie jetzt einwenden. Typisch Junge, typisch Mädchen – das gibt es ohnehin schon lange nicht mehr. Oder? Noch immer sind Beschäftigte in Grundschulen, Horten und offenen Ganztagsschulen in der Überzahl weiblich, was auf die Gestaltung des Alltags sowie auf die Erfahrungsmöglichkeiten der Kinder Einfluss hat. Zudem halten sich auch unter Erzieherinnen und Erziehern hartnäckig stereotype Rollenzuschreibungen und Erwartungshaltungen.
Mal ehrlich: Spielen alle Jungs in ihrer Nachmittagsbetreuung wirklich gerne Fußball? Tragen alle Mädchen gerne Kleider? Wem sehen Sie es eher nach, dass sie laut sind und herumzappeln – den Mädchen oder den Jungs? Eine geschlechtersensible Arbeit erfordert bestimmte Voraussetzungen – unter anderem eine kritische Reflexion über das eigene Verständnis von Frauen- und Männerbildern. Diskutieren Sie in Ihrem Team die eigene geschlechtsspezifische Sozialisation und die Einstellungen Ihrer Kolleginnen und Kollegen, denn sie beeinflussen ihr Handeln im Alltag.
Folgende Fragen können dabei hilfreich sein:
- In welchen Situationen verhalte ich mich als pädagogische Fachkraft rollenkonform? Was bedeutet „typisch weiblich“ und „typisch männlich“ für mich?
- Welches Verhalten der Mädchen und der Jungen empfinde ich als unerwünscht und welches fördere ich und wie?
- Was erwarte ich von Mädchen, was von Jungen in meiner Gruppe in Konfliktsituationen?
- Wie verhalte ich mich selbst in Konfliktsituationen mit Mädchenn und wie mit Jungen? Gibt es Unterschiede? Wenn ja, welche und warum?
- Welche Kinder spreche ich an, wenn ich Hilfe brauche? Eher Mädchen oder eher Jungs?
- Welche Hilfe fordere ich dann ein und wie ist meine Ansprache? Benutze ich klischeehafte Adjektive und Zuweisungen wie „ich brauche jetzt zwei starke Jungs, die …“ oder „ich brauche ein fleißiges Mädchen, das …“?
- Wie ist mein Verhalten, wenn Kinder untereinander Hilfe benötigen? Wen spreche ich wie an? Von welchen Kindern erwarte ich mehr Toleranz und Rücksichtnahme anderen Kindern gegenüber?
Wenn Sie sich über all diese Fragen Gedanken gemacht haben, können Sie weiter gehen und darüber nachdenken, wie „geschlechtstypisch“ die Gruppen- und Funktionsräume gestaltet sind. Oder wie die Planung von Angeboten aussieht: Richten sie sich in erster Linie an Kinder oder spezifisch an Mädchen oder Jungs? Und wie Sie als Vorbild agieren: Welche Möglichkeiten habe ich als Frau, als Mann, den Kindern alternative Erfahrungen zu bieten?
Die Auseinandersetzung mit der Geschlechtszugehörigkeit ist, biologisch wie kulturell, grundlegender Bestandteil der Identitätsentwicklung jedes Kindes. Insbesondere in der Grundschulzeit werden dafür wichtige Weichen gestellt: Denn dann verstärkt sich die Phase der gleichgeschlechtlichen Cliquen – und die Gruppenerfahrungen unterstützten die Entwicklung der Geschlechtsidentität. Die Auseinandersetzung mit dem Thema ist spannend und verändert auf Dauer Ihre Arbeit. Hand drauf.