Gruppendynamik auf zu kleinen StühlenKolumne

Partizipation ist gut. Aber nicht jeder eignet sich für alle Aufgaben. Das zeigt sich insbesondere am Elternabend.

Gruppendynamik auf zu kleinen Stühlen
© Matthias Wieber, Freiburg

In der Grundschule, die meine Kinder besuchen, gibt es seit einigen Jahren ein Maiund ein Halloweenfest. Beide werden mit großem Aufwand vorbereitet und durchgeführt. Die Schule platzt jedes Mal aus allen Nähten.
Blöd nur, dass meine Kinder nicht sonderlich auf Menschenansammlungen und Trubel stehen. Mit den Jahren ist es besser geworden, aber als Erstklässler hat ihnen der halbjährliche Zirkus überhaupt keinen Spaß gemacht. Kaum war ich an der Schule eingetroffen, wollten sie eigentlich schon nach Hause gehen. Krallten sich an meiner Hand fest, ließen sich zu keinem Spiel überreden. Einmal hat sich mein Sohn sogar mit einer Erzieherin in eine Ecke zum Lesen verkrochen. Das war sein persönlicher Party- Boykott.
Ich finde das nicht schlimm. Es gibt in jeder Gruppe solche und solche. Solche, die es laut, und solche, die es lieber leise mögen. Euphorische und Gleichgültige. Trällernde und Brummige. Überdrehte und Unterkühlte. Das ist nicht nur bei Kindern so. Elternabende führen mir regelmäßig die ganze Bandbreite menschlicher Partizipationslust vor Augen. Nirgendwo kann man die Chancen und Risiken von Basisdemokratie besser beobachten als in stickigen Klassenräumen, in denen Erwachsene stundenlang auf zu kleinen Stühlen ausharren.

EHRET DIE SCHWEIGSAMEN

Da sind erst mal die, die grundsätzlich nie kommen. Sozusagen die notorischen Nichtwähler. Es juckt sie nicht, was an der Schule ihrer Kinder passiert. Sie wollen nicht mithelfen, nichts voranbringen, sich nirgendwo engagieren. Oder sind sie einfach zu allein, zu gestresst, zu überfordert, als dass sie auch noch mit Schulgedöns ihre Zeit vertrödeln könnten? Wer weiß. Die Gruppe zieht sie trotzdem mit durch, schreibt fleißig Protokolle und verschickt sie anschließend per Mail. Soll keiner sagen können, er hätte nicht Bescheid gewusst.
Dann: die Schweiger. Menschen mit großer innerer Ruhe oder von ausgeprägter Zurückhaltung – ich rate nur, denn beide Eigenschaften sind mir persönlich leider fremd. Sie kommen immer, sagen aber jahrelang kein Wort. Dafür tragen sie sich brav in alle Kuchenlisten ein oder tun Dienst am Grillstand. Man sollte sie ehren und schätzen. Sie halten den Laden nicht mit unnötigen Diskussionen auf, drücken sich aber auch nie davor, ihren Teil am Gemeinschaftsleben beizutragen.
Der großen Gruppe der Schweigsamen steht die kleine Gruppe der Redseligen gegenüber. Eltern, die einen unglaublichen Mitteilungsdrang haben. Der kann sich auf ihre Kinder und deren Fortschritte, Gefühle, Talente, Hobbys oder Spielgewohnheiten beziehen. Oder es geht um die Qualität des Schulessens. Ist das eigentlich bio? Und kontrollieren die Erzieherinnen und Erzieher, ob die Kinder die Kartoffeln auch aufessen? Ach so, und dann wegen der Pausenzeiten: Wie sind die noch mal? Geht die Klasse raus auf den Hof? Und wann und wo werden eigentlich die Hausaufgaben gemacht?
So viel, was diese Eltern sagen und erfragen wollen. Augenrollend erträgt die Gruppe das. Bis einer oder eine dem Monolog schließlich ein Ende setzt. „Können wir jetzt mal zur Tagesordnung zurückkehren?“ Ja, bitte! Jetzt übernimmt endlich die Fraktion der Pragmatiker die Macht im Klassenraum. Das sind die wahren Helden jeder Gruppe. Die, die sich freiwillig in die Festkomitees und Schulausschüsse wählen lassen. Und dort für uns alle die Arbeit machen.  

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