Es liegt auf der Hand, dass das Zusammensein mit anderen Kindern für die soziale, emotionale, aber auch für die körperliche und geistige Entwicklung eine große Bedeutung hat. Kinder, die etwa gleich alt sind, begegnen sich auf gleicher Höhe, regen sich zu Wachstum und Weiterkommen an. Sie schließen sich zusammen und grenzen sich gegenüber jüngeren und älteren ab. So tun sich immer und überall Kinder, die etwa zwischen sechs und zwölf Jahre alt sind, zu gemeinsamen Aktivitäten zusammen. Ob in der analogen Welt oder online: Man trifft sich und tauscht sich über gemeinsame Interessen, Vorlieben, Abneigungen aus. Man erkundet auf eigene Faust und eigenes Risiko die Welt außerhalb des von Erwachsenen gezogenen Zauns. Man setzt sich mit Altersgenossen auseinander, testet, wo die Grenzen der Verletzlichkeit bei anderen liegen, misst sich im Wettkampf.
Dabei spielen Gefühle eine zentrale Rolle. Kinder wollen herausfinden, wodurch welche Gefühle ausgelöst werden. Sie beobachten die Reaktionen bei sich selbst und bei anderen. Die Kinder stacheln sich gegenseitig zu Begeisterung, Aufregung, Stolz, Triumph, Albernheit an. Sie provozieren sich und setzen sich mit Enttäuschung, Angst, Ärger, Wut auseinander. Sie treffen sich in ihrem Forschungs- und Entdeckungsdrang und verbünden sich in ihrer Lust, etwas zu erreichen und zu bewerkstelligen. Sie spielen im wörtlichen Sinn mit Fragen wie: Findest du, finde ich das eklig? Traust du dich, traue ich mich? Ich finde das lustig – und du? Sie gehen individuellen Unterschieden auf den Grund: Wer ist schnell beleidigt? Wer rastet leicht aus? Wer ist eine Heulsuse? Sie jonglieren mit Freundschaft und Zugehörigkeit auf der einen und mit Abneigung und Ausgrenzung auf der anderen Seite.
Grenzen finden
Immer schwingt dabei die Frage mit: Was ist im Umgang miteinander noch tragbar, was geht zu weit? Was ist Spaß, was ist Ernst? Was tut gut, wann tritt man dem anderen zu nah? So erarbeiten sich die Kinder die Regeln des sozialen Miteinanders und entwickeln Kompetenzen wie Rücksichtnahme, Einfühlungsvermögen, Taktgefühl oder Toleranz. Leider geht das nicht immer schmerzfrei. Durch die Auseinandersetzung mit den eigenen, auch negativen Gefühlen lernen die Kinder aber mit diesen umzugehen und sich zu kontrollieren. Dies bildet die Basis für emotionale Stabilität, Selbstsicherheit und Souveränität. Seelische Verletzungen durch Erwachsene wirken dagegen eher negativ auf das Selbstwert- und Selbstsicherheitsgefühl.
Auch online spielen Gefühle in Form von Kürzeln, Emoticons und Emojis in der Kommunikation der Kinder eine wichtige Rolle. Die unmittelbare reale Reaktion des nicht anwesenden „Gegenübers“ wird aber nicht wahrgenommen. Die Folge scheint zu sein, dass es immer mehr junge Leute gibt, die nicht mehr in der Lage sind, Körpersprache und Mimik richtig zu verstehen. Offenbar ist die Entwicklungsphase zwischen Kleinkind- und Jugendalter für die Ausbildung sozial-emotionaler Kompetenz besonders wichtig. So berichten Lehrkräfte, dass sie immer häufiger Jugendliche erleben, die auf Signale von Schmerz, Abwehr, Empörung, Kummer, Ärger gar nicht reagieren oder erst, wenn diese übertrieben ausgedrückt werden. Man braucht Übung, um zu erkennen, wie es einem anderen geht, was er oder sie braucht, welche Botschaft im Ton der Stimme mitschwingt, ob eine Bemerkung ironisch oder ernst gemeint ist. Jugendliche, die in einer Ganztagsschule relativ viel Zeit für selbstbestimmte Aktivitäten miteinander hatten, nahmen nach einiger Zeit besser wahr, was ein anderer braucht und wie es ihm geht, als Gleichaltrige, für die Schule vorwiegend aus Unterrichtsstunden bestand und die am Nachmittag wenig Gelegenheit hatten mit anderen zusammenzukommen.
Kognitive Kompetenzen
Wenn Kinder gemeinsam Aktionen planen und umsetzen, spüren sie, wie wohltuend es ist, wenn man aus eigener Kraft etwas bewirken und erreichen kann. Sie erleben Eigenverantwortung und trainieren Teamfähigkeiten. In den Gruppen, Cliquen und Banden, die im Grundschulalter allgegenwärtig sind, machen Kinder weitere soziale Erfahrungen, die ihnen im Erwachsenenleben zugutekommen: Jede Gruppe hat ihre Hierarchie und jedes Mitglied seine Rolle. Wie bei den Erwachsenen auch gibt es Bestimmer und Mitläufer, Ideengeber und Macher, Draufgänger und Vorsichtige, Risikofreudige und Mahner. Sich in eine Gruppe einzufügen, die eigene Position und Rolle zu finden, sich zu behaupten, jemand anderem den Vortritt zu lassen, manchmal auch ausgeschlossen zu werden, sind wichtige Selbsterfahrungen, die leider manchmal auch schmerzlich sind. Aufgabe der Erwachsenen müsste sein, die Kinder aus der Ferne im Blick zu haben und Kindern, denen es an Selbstsicherheit fehlt, auf andere Weise Erfahrungen zu ermöglichen, bei denen sie sich als nützlich für die Gemeinschaft erleben können.
Jeder Lehrer, jede Lehrerin weiß, wie sehr sich Kinder geistig anregen und fördern können. Auf den ersten Blick haben die Inhalte, mit denen sich die Kinder beschäftigen, oft nichts mit dem Schulstoff zu tun. Bei Aktivitäten draußen sind aber immer naturwissenschaftliche und technische Kenntnisse mit im Spiel. Selbst mit ihren Tauschgeschäften und in ihren Gesprächen zum Beispiel über Sportereignisse, Pferderassen, Instagram-Posts gewinnen sie nebenbei Weltwissen.
Auch heute noch liegen bei Kindern zwischen 6 und 13 Jahren als liebste Freizeitbeschäftigungen „draußen spielen“ und „mich mit Freunden treffen“ vorn. Kinder spüren offenbar intuitiv, was sie für ihre Gesundheit und gute Entwicklung brauchen.