Normalerweise beschäftigt sich Heiko Kinde mit Computersystemen, Software und Firmen, in denen viele Männer arbeiten. Doch jetzt sitzt der IT-Berater gemeinsam mit einem Tanzlehrer auf dem Boden des Klassenzimmers und baut mit Erst-, Zweit- und Drittklässlern eine bunte Lego-Stadt. Türme wachsen in die Höhe, Brücken werden geschlagen, Raumschiffe konstruiert, ein Sammelsurium kräftig roter, blauer, gelber und grüner Steine zu imposanten Gebäuden zusammengesteckt.
Die wöchentliche Lego-AG ist Männersache. Väter haben sie im Rahmen der Angebote im Offenen Ganztag gegründet. Ein Mann leitet sie, Väter und Großväter sind jederzeit willkommen. „Um Männer an die Schule zu bringen, muss man sie anders ansprechen als in der klassischen Elternarbeit üblich“, sagt Heiko Kinde. Der IT-Berater wurde vor drei Jahren zum Jungenbeauftragten an der Johannes-Schwennesen- Schule gewählt. Lehrerinnen und Erzieherinnen war aufgefallen, dass vor allem Jungs verhaltensauffällig wurden.
Väterarbeit mit Spassfaktor
„Zu wenige Männer beschäftigen sich mit Fragen der Erziehung und der Frage nach der Gesellschaft, in der unsere Kinder aufwachsen“, findet Heiko Kinde. Den Jungen und Mädchen fehle das männliche Vorbild. Auch die Schule seiner Kinder war damals, wie so viele Grundschulen in Deutschland, eine Welt der Frauen: ein einziger Mann im Lehrerkollegium, ein einziger Mann im Ganztag, die Elternvertretung reine Müttersache.
Es mag an zeitlichen Strukturen, der familiären Aufgabenverteilung liegen – aber auch an purer Gewohnheit oder eben der Ansprache, wieso Männer eher selten die Schule ihrer Kinder betreten. Unter dem Motto „Mehr Männer an die Schule“ jedenfalls begann Heiko Kinde vor drei Jahren seine Väterarbeit und besann sich hierbei zunächst auf seine Erfahrungen aus der Geschäftswelt: Wenn Kunden an ein neues Computersystem herangeführt werden, dann müssen sie schnell etwas davon haben. „Quick benefit“ heißt es im Marketing – der schnelle Nutzen. Heiko Kinde übersetzte das für die Schule: „Wir müssen uns fragen: Was macht Vätern an der Schule ihrer Kinder Spaß?“
Kinde lud zum Väterabend ein – 15 Männer kamen. „Was würde Ihnen mit den Kindern an unserer Schule Spaß machen?“, fragte er die Männerrunde. Die überlegten nicht lang: Fahrräder reparieren. Fußball spielen. Sterne angucken und erklären. Seifenkisten bauen und fahren.
Die Männer bildeten Teams und arbeiteten „Aktionen“ aus. Männer aus Deutschland, Ghana und Afghanistan fanden zusammen, mit so unterschiedlichen Berufen wie Mechaniker oder Tanzlehrer. Und nicht nur das. Die Väter beschlossen, die ganze Schule durch die „Brille des Mannes“ anzuschauen. Was war der pädagogische Wert bestimmter Maßnahmen? Sprach der Unterricht Mädchen und Jungen gleichermaßen an? Väter, Schule und Psychologen sprachen über entwicklungsbedingte Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Manche Kinder lernen eher über das Gehör und die Feinmotorik. Andere eher über den Sehsinn und die Grobmotorik. Letzteres – anschauen und anfassen –, das passt oft gut auf Jungs. Wurde der Unterricht dem gerecht?
Der Bürgermeister liest vor
„Wir wollten, dass Jungen wirklich Dinge greifen können, um zu begreifen“, erinnert Heiko Kinde sich. Könnte man in Mathematik nicht einfach einmal Brücken bauen? Der Vorschlag kam gut an. Die Schule räumte einen ganzen Unterrichtsvormittag frei und Väter kamen, um mit den Kindern Brücken zu bauen. Eine Erfahrung, von der alle profitierten: Männer erlebten ihre Kinder, Kinder erlebten Väter und die Lehrerinnen waren froh, dass Väter „nun wussten, was Schule ist“.
In Zusammenarbeit von Schule und Vätern wurde schließlich der Stundenplan geändert: Die Johannes-Schwennesen- Schule führte mehr Werkunterricht ein und beschaffte weitere Baukästen für den Unterricht. Sie setzte eine zusätzliche Abenteuersportstunde auf den Stundenplan. In den Kunstunterricht zogen zu Pinsel und Tuschekasten auch Sägen, Schleifpapier und Bohrer ein. Am Vorlesetag klappen nun auch mehr männliche Vorleser die Bücher auf: der örtliche Fußballtrainer, der Bürgermeister, Väter. „Väterarbeit findet nicht gegen Frauen statt“, betont Heiko Kinde. Und sie sei für Jungen und Mädchen gleichermaßen da. „Alle Kinder sollen erfahren, wie Männer Dinge planen, Konflikte lösen und miteinander sind!“
Als die Johannes-Schwennesen-Schule zur Offenen Ganztagsschule umgewandelt wurde, waren viele Väter und selbst Großväter Mitgestalter. Sie gründeten die Lego-AG und gewannen unter ihren Arbeitgebern Sponsoren. Sie leiteten Ausflüge zur Sternwarte, organisierten Fußballturniere oder die Fahrradbörse, bei der jeder sein Fahrrad reparieren und prüfen lassen kann. Gemeinsam mit der Polizei haben die Väter gar einen Sicherheitswettbewerb gestartet: Eine Polizistin prüft, ob ein Fahrrad verkehrstauglich und sicher ist. Wenn ja, gibt es ein Los für die Tombola.