Ein neues Schuljahr bedeutet für alle pädagogischen Fachkräfte viele neue Gesichter. Unterschiedliche Jungen und Mädchen mit verschiedenen Bedürfnissen: quirlige und introvertierte, laute und verträumte, schüchterne und draufgängerische. Manche sind schon sehr selbstständig, andere brauchen Unterstützung beim Lernen und Sichorganisieren. Einige Kinder können vielleicht schon lesen und schreiben, manche fangen erst an, Deutsch zu lernen. Erzieherinnen und Erzieher, Pädagoginnen und Pädagogen sollten sich auf diese Unterschiedlichkeit einstellen, sagt der Diplompsychologe Wilfried Griebel vom Staatsinstitut für Frühpädagogik in München (IFP). „Die Vorstellung, dass es eine Art gemeinsamen Standard aller Kinder zum Schuleintritt gibt, ist eine Illusion.“
Vielmehr ist der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule ein Prozess, der von Kind zu Kind unterschiedlich verläuft. Transitionen nennt man in der pädagogischen Fachsprache solche prozesshaften Übergänge in einem gedrängten Zeitraum. Sie sind mit komplexen Herausforderungen und Anpassungsleistungen verbunden, nicht nur für die Kinder, auch für ihre Familien. So wechseln die Mädchen und Jungen von einer spielzentrierten Umgebung in eine, die auf systematisches Lernen ausgerichtet ist. Sie müssen sich auf neue Bezugspersonen, Räume und verbindliche Strukturen einstellen sowie einen Statuswechsel verarbeiten: Die Kita haben sie als Große und Erfahrene verlassen, in der Grundschule fangen sie als die Kleinsten wieder ganz von vorn an. Bei den Eltern löst der Schuleintritt oft widersprüchliche Emotionen aus: Stolz und Freude, Angst und Unsicherheit: Ist mein Kind schon reif genug? Wird es Freunde finden? Viele erleben den Schuleintritt als Machtverlust. Bis jetzt hatten sie es in der Hand, wo, wie lange und ob sie ihr Kind in eine Einrichtung schicken. Jetzt ist der Staat zuständig.
TRANSITION ALS KONSTRUKTIVER PROZESS
Griebel hat mit Kollegen am IFP ein Transitionsmodell entwickelt, das am Prozess Beteiligte in den Blick nimmt. Pädagogische Fachkräfte aus Kita, Grundschule und Hort spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie müssen den Prozess im Gegensatz zu Eltern und Kindern nicht aktiv bewältigen. Ihre Aufgabe ist es, ihn zu moderieren und zu begleiten. Die meisten Familien bewältigen Transitionen gut, sagt Griebel. „Aber manche brauchen besondere Unterstützung.“
Er rät, rechtzeitig Kontakt zu den Eltern aufzunehmen und sie über die Abläufe in Schule und Hort zu informieren. Oft gibt es Missverständnisse und Unsicherheiten, gerade bei Migranten und Geflüchteten, denen das deutsche Schul system mit seinen Erwartungen an die Eltern fremd ist. Sie brauchen gute und klare Informationen; Handzettel und Elternbriefe in der jeweiligen Sprache können diese transportieren.
Ins Gespräch kommen kann man etwa an einem gemeinsam mit der Kita organisierten Tag der offenen Tür in der Grundschule. Nicht nur die Lehrer, auch Kita- und Horterzieher sollten dabei sein – aber auch ältere Schulkinder mit ihren Vätern und Müttern, die Auskunft geben. An sogenannten Schnuppertagen können ältere Schulkinder den künftigen Erstklässlern zeigen, wo sie lernen, spielen und Pause machen werden.
„Je niedrigschwelliger das Angebot, desto besser wird es angenommen – insbesondere von Familien aus benachteiligten Milieus“, sagt Wilfried Griebel. Ein enges Zusammenspiel zwischen Schule und Kindergarten hilft, ebenso eine aktive Elternschaft. Beides erfordert eine Kultur der Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Betreuern. Solche Aktivitäten zur Übergangsgestaltung sind zwar zeit- und personalaufwendig, aber sie lohnen sich. Das haben finnische Forscherinnen in einer Längsschnittstudie herausgefunden. Je mehr gemeinsame Aktivitäten Kitas und Schulen durchführten, desto besser ging es den Kindern später in der ersten Klasse – und desto besser waren ihre Noten.
Hort und Schule begleiten die Einschulung
Wann welche Aufgaben anstehen
Im Sommer / Ein Jahr vor der Einschulung
Tag der offenen Tür / Sommerfest. Wichtig: Datum und Zeitpunkt so wählen, dass auch berufstätige Eltern dabei sein können.
Winter / Ein Dreivierteljahr vor der Einschulung
Informationsabende in den Kindergärten. Lehrer und Horterzieher können dort Eltern Rede und Antwort stehen. Wichtig: Werden Sprachmittler benötigt?
Frühling / Ein halbes Jahr vor der Einschulung
Schnuppertag der zukünftigen Erstklässler in Grundschule und Hort
Frühsommer / Ein Vierteljahr vor der Einschulung
Organisation: Die Klassenaufteilung steht fest. Wer übernimmt die Hortgruppe? Aufnahme- und Informationsgespräche mit den Eltern.
Einschulung und Ankunft
Gemeinsame Ausflüge, Spiele zum Kennenlernen, eine Rallye oder ähnliche Projekte helfen bei der Eingewöhnung.
Konfliktphase / Ein Vierteljahr nach der Einschulung
Es ist Teil des gruppendynamischen Prozesses, dass nach der ersten Phase des Kennenlernens die Kinder ihren Platz in der Gruppe finden müssen. Nicht selten führt das zu Spannungen und Rivalitäten. Diese Entwicklung müssen Erzieherinnen und Erzieher moderieren, etwa durch Kinderkonferenzen.