Das Internet vergisst nichtsWas tun bei Cybermobbing an Grundschulen?

Gezieltes Cybermobbing ist an Grundschulen eher selten, aber Beleidigungen und Diffamierungen gibt es auch im Klassenchat. Was tun? Tipps von zwei Präventionsexperten.

Das Internet vergisst nichts
© nadia bormotovat - istockphoto.com [M]

klasseKinder!: Mobbing gab es schon immer, was ist an Cybermobbing anders?
Henrik Blaich:
Im Internet können sich verletzende Inhalte rasch verbreiten und immer wieder neu auftauchen. Bedingt durch die vermeintliche Anonymität sinkt außerdem die Hemmschwelle, andere zu beleidigen. Hier spielt auch eine Rolle, dass man bei Cyberattacken die Reaktion des Opfers entweder gar nicht oder erst hinterher mitbekommt. Für dieses Phänomen gibt es sogar einen Fachbegriff: der Online- Enthemmungseffekt.

Ein Beispiel aus der Praxis: Im Klassenchat wird ein Junge, der neu in der Klasse ist, gehänselt, ein heimlich von ihm aufgenommenes Bild auf der Toilette macht die Runde und wird hämisch kommentiert. Was ist zu tun?
Franz Hilt:
Als Erstes braucht dieser Junge einen Menschen, der ihm zuhört und ihm die Hoffnung gibt, dass es wieder gut werden kann. In der Schule ist dies am ehesten der Klassenlehrer, die Schulsozialarbeiterin, ein Erzieher.
Als nächsten Schritt sollten die Bilder gesichert und der Sachverhalt weiter aufgeklärt werden. Hierzu gehören Gespräche mit weiteren Beteiligten, etwa Kollegen oder Mitschülern. Die Ergebnisse werden dokumentiert. Gleichzeitig wird die Schulleitung informiert. Jetzt bewährt sich, wenn es ein Konfliktmanagement an der Einrichtung gibt. Für die Eltern des Opfers, die ebenfalls informiert werden müssen, ist es entscheidend, dass die Verantwortlichen in der Schule ein Konzept haben und wissen, was sie tun.
Dann müssen sich die pädagogisch Verantwortlichen über das weitere Vorgehen abstimmen und jeder seine Rolle ausfüllen. An der Schul- oder Klassenleitung liegt es, die „Täter“ mit ihrem verletzenden Verhalten zu konfrontieren und deren Eltern einzubeziehen. Die Schulsozialarbeit als professionelle Hilfsinstanz – oder eine Lehrkraft bzw. pädagogische Fachkraft – bietet Unterstützung an, um die Sache wieder gut zu machen.

Wie sinnvoll ist ein Elternabend?
Henrik Blaich:
Ein Elternabend kann hilfreich sein, um Präventionsmaßnahmen zu erläutern. Bei akuten Mobbingvorgängen in der Schule ist davon jedoch abzuraten, da dieser aufgrund der Eigenbetroffenheit der beteiligten Eltern und Lehrkräfte schnell eskalieren könnte und das Problem eher noch verstärkt.

Oft wollen Opfer-Eltern mit den Täter-Eltern Kontakt aufnehmen, in der Hoffnung, dass letztere ihre Kinder zur Rede stellen. Ist das sinnvoll?
Franz Hilt:
Nein. In der Regel führt eine Kontaktaufnahme zu einer weiteren Eskalation. Entweder weil sich die Eltern der Täter schützend vor ihre Kinder stellen oder ihnen eine Strafe androhen, was meist dazu führt, dass diese den Druck an die Opfer weitergeben – sie zahlen es den sogenannten Petzern heim. Im schlimmsten Fall eskaliert das Mobbing von der Schüler- auf die Elternebene, indem die Täter-Eltern sich Verbündete unter den anderen Eltern suchen und die Opfer-Eltern angreifen.

Hilft es, die Täter mit ihren Taten zu konfrontieren und sie zu sanktionieren?
Franz Hilt:
Am System Mobbing sind viele beteiligt. Einzelne Hauptakteure zu identifizieren, wird der Dynamik meist nicht gerecht. Strafandrohung und Schuldzuweisung verhindern die Aufklärung von Mobbing und fördern die Solidarität mit den Tätern. Die können dann den Blick leicht auf das scheinbar eigene Unrecht lenken, dem sie angeblich ausgesetzt sind: „Wir haben doch bloß Spaß gemacht! Der hat uns doch provoziert! Der nervt doch alle!“
Hilfe ohne Strafandrohung lässt dagegen ein Klima der Offenheit entstehen, welches die Kinder und Jugendlichen dazu ermutigt, ehrlich über das Problem Mobbing zu sprechen.

Sie plädieren für einen systemischen Ansatz. Warum?
Franz Hilt:
Prävention, die bloß auf Aufklärung und Wissensvermittlung setzt, ist bei Mobbing ungeeignet. Wirksame Interventionsmaßnahmen verdeutlichen auch emotional das Leid der Opfer und ermöglichen den Mitschülern die Entwicklung von Mitgefühl. So entsteht eine von innen kommende Motivation, Gewalt zu vermeiden und dem Opfer zu helfen. Deshalb bezieht unsere systemische Mobbingintervention die ganze Klasse oder Gruppe mit ein. Zudem ist sie langfristig angelegt, sodass Nachhaltigkeit entsteht. Hierzu gehören auch Helfer, die dem Opfer künftig zur Seite stehen.

Die Fragen stellte Ulrike Schattenmann.

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