Die realen Nutzungszeiten liegen aber viel höher, im Durchschnitt bei zwei Stunden. Und da sind wir schon bei dem Dilemma, das pädagogische Fachkräfte im Ganztag haben: Einerseits sollen sie Schülerinnen und Schüler befähigen, mit digitalen Medien reflektiert umzugehen, andererseits auch problematischem Medienkonsum vorbeugen. Wie kann das gehen, wenn die Kinder schon von zu Hause viel zu viel Bildschirmzeit mitbringen?
Kinder brauchen eine kritisch reflektierte Medienerziehung. Im Grundschulalter sind da vier Punkte wichtig:
1. Keine Bildschirme. Grundschule und Hort sollten weitestgehend bildschirmfreie Räume bleiben, um die Dominanz der Bildschirmmedien auszugleichen. Der Hort ist ein Begegnungs- und Entwicklungsraum, um die Welt mit allen Sinnen und zusammen mit anderen Menschen zu entdecken.
2. Verarbeitungshilfe. Viele Kinder sehen Dinge im Netz oder im Fernsehen, die für ihr Alter nicht geeignet sind und die sie belasten. Erzieherinnen und Erzieher müssen sie dabei unterstützen, diese Erlebnisse einzusortieren und zu bearbeiten, und zwar so, dass sie sich nicht hilflos fühlen. Oft haben Kinder das Bedürfnis, solche Erlebnisse nachzuspielen, sind dann Bomberpilot oder schießen Menschen tot. Manche Fachkräfte neigen dazu, solche Spiele zu verbieten. Das ist aber nicht der richtige Weg. Stattdessen sollten sie das Spiel vielmehr auf das lenken, was Kinder handlungsmächtig macht – etwa den Suchhund, der Menschen rettet, oder den Bagger, der die Trümmer wegräumt.
3. Eine altersgerechte Medienarbeit. Das heißt: Produzieren vor Konsumieren, analog vor digital, Durchschaubarkeit anstatt Blackbox. Für jüngere Kinder sind analoge Medien besser geeignet als digitale, weil sie direkte sinnliche Erfahrungen ermöglichen. Ein Projekt mit bewegten Bildern halte ich grundsätzlich für eine gute Sache. Es bedeutet aber nicht, dass man gleich zum Tablet greifen muss. Nur weil Kinder auf einen Knopf drücken und sich dann vor der Kamera bewegen, haben sie ja noch lange nicht verstanden, wie ein Film entsteht. Vielmehr sollte man sich fragen: Sind die Potenziale der analogen Medienbildung denn schon ausgeschöpft? Wurde schon ein Daumenkino produziert, ein Theaterstück geprobt und aufgeführt oder mit der Super-8-Kamera experimentiert?
4. Suchtprävention. Das Problem der Internet- oder Computerspielsucht ist im Grunde nichts anderes als der Versuch junger Menschen, ihre Sehnsüchte zu befriedigen. Kinder haben ein Bedürfnis nach Anerkennung für das, was sie geleistet haben, nach Zugehörigkeit und nach Autonomie. Wenn im realen Leben dafür kein Raum ist, suchen sie sich Ersatz. Zum Beispiel in Computerspielen, wo sie sich in virtuellen Gruppen organisieren müssen, ihre Aufgaben gemeinsam meistern und dafür Anerkennung bekommen. Aber gerade hier sind Hort und Ganztag so wertvoll, weil sie diese Sehnsüchte stillen können. Fachkräfte können sich fragen: Was tun wir, um Zugehörigkeit zu stärken, etwa mit gemeinsamen Festen? Inwiefern lassen wir Autonomie zu, können die Kinder auch mal allein raus zum Bäcker gehen? Gibt es bei uns Anerkennung für Leistung jenseits von Noten, beispielsweise wenn Kinder eine Streitfrage oder einen Konflikt gut lösen?
Dazu braucht man keine Medienexperten, keine Tablets und keine Computer. Was hier zählt, sind allein die Kreativität und die Erfahrung der pädagogischen Fachkräfte.