Man lebt nur einmal. Sagt der Viertklässler am Frühstückstisch und schiebt noch ein schlaumeierisches „Der Satz passt eigentlich immer“ hinterher. Zum Beispiel, so führt er weiter aus, wenn man Eltern erklären muss, warum man schon wieder am iPad hängt. Statt: draußen zu spielen, Klavier zu üben, ein Buch zu lesen oder sonst was zu tun, was Erwachsene für pädagogisch wertsteigernd halten. Warum willst du immer nur daddeln? „Man lebt nur einmal, Mama.“ Argumentativ verschlagen ist sie ja, diese Generation Internet. Das muss man ihr lassen.
Ich – obwohl mittelalte Digital-Immigrantin – hänge durchaus auch oft im Netz rum. Nicht bei Facebook oder Twitter, da ist es mir zu voll und zu laut. Dafür aber sehr gerne bei WhatsApp mit meinen Freundinnen und Bekannten. Alle haben hier so schöne wechselnde Profilfotos, Blumensträuße, Meeresimpressionen, Sonnenuntergänge. Bilder mit Babys! Wenn auf den Elternabenden gefragt wird, wer ist dafür, dass wir eine Gruppe gründen, geht mein Finger sofort hoch. Die drei Mahnerinnen und Mahner, die einen Kurz-Messenger- Dienst mit besserem Datenschutz bevorzugen würden, werden sowieso überstimmt. Der eine Vater in der letzten Reihe, der WhatsApp nicht installieren will, hat Pech. Muss er halt auf Rundmails hoffen.
EMOJI-HYSTERIE
Wir anderen aber sind weltoffen und modern. Wir machen in unseren Elterngruppen viele tolle Sachen. Wir sagen Bescheid, wenn das Kind krank ist und daher nicht zur Verabredung kommt. Wir organisieren, wer am Ende der Klassenfahrt den Blumenstrauß für Lehrerin und Erzieher mitbringt. Im Elternchat des Fußballvereins werden wir über Wochenendspiele informiert oder erfahren um 15:53 Uhr, wenn um 16:00 Uhr das Training ausfällt. Manchmal entspinnt sich dann eine nölige Diskussion über Wetter, Kleidung und Temperaturen. Das nervt ein bisschen.
Auch dass es jetzt üblich geworden ist, für jeden einzelnen Kindergeburtstag eine eigene Gruppe zu gründen, in die man ungefragt hineinkatapultiert wird, missfällt mir irgendwie. Bisher habe ich mich noch nicht aktiv aufgelehnt, aber ich fühle mich gelegentlich doch zugespamt. Die Dialoge in diesen Chats sind ziemlich vorhersehbar. Danke für die Einladung! Toll! Wir freuen uns sehr! Wir kommen gerne! Smiley, Smiley, zwinker, zwinker, Geschenk, Konfettitüte, Tischfeuerwerk. Kriegt euch wieder ein.
Einmal war ich richtig auf Krawall gebürstet. Da hatte sich eine Diskussion zwischen mehreren Müttern über das Verhalten einzelner Kinder in der Schule völlig verselbstständigt. Tenor: Sind ja immer dieselben, die stören, kennt man ja. Es fielen keine Namen, aber der Ton wurde von Post zu Post aggressiver. Mutig warf sich noch die Elternsprecherin dazwischen, rief zu höflichen Umgangsformen und einer Versachlichung der Debatte auf. Die Streithähne an ihren kleinen Bildschirmen beeindruckte das wenig. Zeit für ein deutliches Signal, fand ich: „Astrid hat die Gruppe verlassen.“
Drei Wochen später, @Elternsprecherin. „Du, kannst du mich wieder in den Klassenchat reinholen? Ich müsste ne dringende Nachricht an alle loswerden.“ Klar, kein Problem, hat sie sofort gemacht. Ich dann so: „Hey, liebe Eltern! Leider habe ich gerade bei meinem Kind Läuse entdeckt. Bitte Köpfe checken. Viele Grüße.“ Dahinter einen Smiley mit großen Augen und roten Wangen. Gut, dass wir alle so super vernetzt sind.