Wir wollen den Kindern nicht immer nur alles fertig vor die Nase setzen“, sagt Madlen Vormelker. „Dann konsumieren sie nur und schätzen nichts wert.“ Vormelker ist Hort-Koordinatorin des Evangelischen Schulzentrums Martinschule in Greifswald. Zu den regelmäßigen Nachmittagsangeboten für die knapp 170 Hortkinder gehört deshalb – neben Fußball-AG, Theaterwerkstatt oder Computerkursen – auch die Vorbereitung der täglichen Vespermahlzeit.
An jedem Wochentag stehen andere Gerichte auf dem Speiseplan: Montags werden Wraps mit Gemüse oder ähnlichen Füllungen gewickelt, dienstags Smoothies gemixt, mittwochs Gemüse für eine Zwischenmahlzeit mit Knäckebrot und Reiswaffeln geschnippelt, donnerstags Pizza gebacken und freitags Müslis zusammengerührt. Das Besondere aber ist, dass die Kinder alle Zutaten jeweils selbst einkaufen.
„Jeden Tag geht eine Fachkraft mit vier bis fünf Kindern in den Supermarkt und besorgt die Lebensmittel für den nächsten Tag“, berichtet Vormelker. Zuvor überlegen alle zusammen, was gebraucht wird. Im Geschäft tragen die Schülerinnen und Schüler dann alles zusammen und bezahlen auch selbstständig. „Den Kindern gefällt es, wenn sie viele Dinge allein regeln dürfen“, umreißt Vormelker eines der Ziele dieses Angebotes. „Die Schülerinnen und Schüler sollen teilhaben an allem, was wir machen.“
BEWUSSTER ESSEN
Vor knapp einem Jahr haben die Fachkräfte begonnen, die Kinder in den Einkauf einzubeziehen – und die Resonanz war von Beginn an gut. Das Angebot zur Vesperzubereitung gibt es dagegen schon einige Jahre. Dabei erleben die Mädchen und Jungen, wie viel Vorbereitung in einer Mahlzeit steckt. Sie essen bewusster und schulen auch ihre Feinmotorik, etwa beim Schnippeln des Gemüses. Für manche Schüler ist dies die erste Gelegenheit, selbstständig mit einem scharfen Messer umzugehen. Fast die Hälfte der 550 Schülerinnen und Schüler der Martinschule hat sonderpädagogischen Förderbedarf, etwa 40 von ihnen gehen in den Hort. Eine im Bundesvergleich hohe Quote, deren Ursache in der Vergangenheit liegt. Die Schule gehört zu den Vorreitern in Sachen Inklusion, allerdings ist sie diesen Weg quasi in die entgegengesetzte Richtung gegangen. Anfang der 1990er-Jahre begann sie als Bildungsstätte für geistig Behinderte. Im Lauf der Jahre öffnete sich die Schule Schritt für Schritt allen Kindern und baute ihr Angebot deutlich aus. Heute können Schülerinnen und Schüler hier von der ersten Klasse bis zum Abitur lernen. Für ihr inklusives pädagogisches Konzept erhielt die integrierte Gesamtschule in diesem Jahr den Deutschen Schulpreis der Robert Bosch Stiftung.
ENTDECKUNGEN AM WEGESRAND
Die Erzieherinnen und Erzieher aus der Nachmittagsbetreuung arbeiten eng mit den Lehrkräften zusammen, oft sind sie auch im Unterricht anwesend. Mittagessen gehört hier wie anderswo zur regulären Ganztagsversorgung für alle Kinder. Die Vespermahlzeit dagegen soll keine vollwertige Mahlzeit sein – es geht vor allem um das gemeinsame Vorbereiten. „Das sind alles Probierhäppchen, es reicht nicht zum Sattessen“, sagt Erzieherin Vormelker. Sonst würden die Kosten schnell das Budget von zwei Euro übersteigen, die für das Angebot monatlich von den Schülern kassiert werden. Schöner Nebeneffekt: Auch der etwa 500 Meter weite Weg von der Schule zum Supermarkt kann in die pädagogische Arbeit einbezogen werden. Unterwegs lernen die Kinder, eine breite Straße am Zebrastreifen zu überqueren. Sie erschließen sich den Sozialraum rund um die Schule aus einer anderen Perspektive als beim Spaziergang mit den Eltern. Auch für Entdeckungen am Wegesrand bleibt Muße, da die Lebensmittel erst für den nächsten Tag bestimmt sind. „Die Einkäufer stehen nicht unter Zeitdruck“, betont Vormelker. Der Gang zum Supermarkt dauert meist etwa 45 Minuten. Genauso viel Zeit braucht das Vorbereiten der Mahlzeit. Ein Angebot, das in den Ablauf vieler Nachmittagsbetreuungen passt.
Steckbrief
Evangelisches Schulzentrum Martinschule Schulform: Grundschule und Integrierte Gesamtschule (Klasse 1–12) mit offenem Ganztagsangebot
Schülerinnen und Schüler: 550, davon etwa 170 Hortkinder aus dem Grundschulbereich
Arbeitsgemeinschaften: 11, darunter kreative, sportliche und handwerkliche Angebote
Kosten: Alle AGs sind für die Kinder kostenfrei, bis auf die zwei Euro für das Vesperangebot
Inklusion: Fast die Hälfte der Schülerschaft hat sonderpädagogischen Förderbedarf – von emotional-sozialen Störungen bis zu körperlichen und geistigen Behinderungen
odebrecht-stiftung.de/schule