Fußball-Mutti wider Willen?Ist doch großartig

ass ich jemals die Mutter eines fußballverrückten Kindes werden könnte, war nicht abzusehen. Im Gegenteil. Bis vor Kurzem gehörte ich zu jenem Teil der Menschheit, den man als „absolut fußballimmun“ bezeichnen kann. Ich habe noch nie ein Stadion von innen gesehen. Ich könnte beim besten Willen nicht erklären, was ein Abseits ist. Ich habe im Laufe meines 41-jährigen Lebens mehrere Welt- und Europameisterschaften verpasst, bei denen „wir“ offenbar auf vorderen Plätzen gelandet sind. Wenn die Nation beim Public Viewing saß, ging ich zum Zahnarzt; wenn Endspiele anstanden, las ich alleine ein gutes Buch. Fußball, das war für mich eine andere Bezeichnung für: sinnloses Gerenne auf einem viel zu großen Platz. Auf den Rängen und vor den Fernsehbildschirmen: biertrinkende Besserwisser. Ich hielt mich systematisch und hochnäsig fern.

Und jetzt das. Mein Sohn, 6, ist besessen von Fußball. „Wie, denkst du, spielt Hertha gegen Bayern? Auf welchem Platz ist der HSV? Wie oft ist Ingolstadt schon aufgestiegen?“ Das ist der Stoff , aus dem unseren Unterhaltungen sind. Manchmal bettele ich regelrecht um Auszeiten. Bitte, bitte: Ich weiß es doch nicht! Zwei Jahre lang hat er uns angefl eht, dass wir ihn bei einem Fußballverein anmelden. Im Kindergarten gab es zuletzt nichts, was ihn noch interessiert hat. Nur kicken, kicken, kicken. Drinnen, draußen, mit kleinen Bällen, mit großen, mit älteren Kindern, mit jüngeren Kindern, mit Erziehern oder Erzieherinnen… Egal. Hauptsache Fußball.

Zettelchen am Bett

Seine Besessenheit geht so weit, dass er abends zu aufgeregt zum Einschlafen ist, wenn eine seiner Lieblingsmannschaften noch mitten in einem Spiel steckt. Neulich kam er auf eine Idee: Ich sollte ihm den Ausgang des Duells auf einen Zettel schreiben und vors Bett legen, sodass er früh morgens sofort das Ergebnis sieht. Kleines Problem: Zahlen kann er schon gut lesen, auch die Logos kennt er auswendig. Nur mit den langen Namen der Vereine ist es noch so eine Sache. Wir überlegten kurz, dann einigten wir uns auf die Anfangsbuchstaben. Hertha gegen Hannover schrieb ich also so: HE – HA 1:1. Er entziff erte es – und war stolz und zufrieden.

Das war der Zeitpunkt, bei dem es mir dämmerte. Denn wenn ich das Hobby meines Sohnes näher betrachtete, musste ich zugeben, dass es unglaubliches Förder-, Motivations- und Lernpotenzial bot. Beispiel Uhrzeiten: Wenn ein Spiel um 20:30 Uhr anfängt, wann ist dann Halbzeit? Pff , kinderleicht auszurechnen für den angehenden Erstklässler: um 21:15 Uhr! Und wann geht’s weiter, wenn die Spielpause 15 Minuten dauert? 21:30 Uhr natürlich! Ich erinnerte mich, dass solche Aufgaben ab der zweiten Klasse im Mathe-Unterricht vorkommen – und wie schwer meinen Töchtern teilweise diese Rechnungen fielen. Der kleine Fußballjunge beherrscht die Kunst des Minutenaddierens jetzt schon.

Neulich sah ich ihn andächtig vor der zerfledderten Bundesliga- Zeitschrift sitzen, die ihm seine Oma geschenkt hatte. Er studierte alleine die Landkarte. Wie weit sind die Städte auseinander, wer muss zu welchem Auswärtsspiel wie weit fahren? Ich setzte mich dazu, wir sprachen über Entfernungen und Geschwindigkeiten, über die Ausmaße Deutschlands von Osten nach Westen und von Norden nach Süden. Am Ende hatte er nebenbei Geografie gelernt. Jetzt habe ich mir vorgenommen, eine Europa- und eine Weltkarte anzuschaffen. Wir können darauf die Champions-League- Mannschaften markieren, wir könnten über die Herkunftsländer der Spieler reden…, kurz: die große weite Welt besser kennenlernen. Meinetwegen auch durch die Fußball-Brille.

Ja, zugegeben, ich bin längst eingeknickt. Dass Fußball eine wunderbar ganzheitliche Angelegenheit ist, davon muss mich niemand mehr überzeugen. Auch auf dem Platz hat sich der Sport als Schule des Lebens erwiesen: Gewinnen kann man nur als Team. Verlieren ist blöd, kommt aber vor. Weinen, schreien und die Mitspieler anbrüllen hilft dann nicht. Man muss es sportlich nehmen. Der gegnerischen Mannschaft ihren Sieg gönnen. Mein ehrgeiziger Sohn hat eine Weile gebraucht, bis er das konnte.

Mittlerweile klappt es schon ziemlich gut. So gut, dass er mich jetzt in Sachen Lebensweisheiten gelegentlich links überholt. Auch ich kenne ja nun, dank seiner täglichen Vorträge, die Tabellenplätze auswendig. Aber als ich auf seine obligatorische Frage „Wie, denkst du, spielt Hertha beim nächsten Mal gegen Bayern?“ mit einem pessimistischen „Wahrscheinlich verlieren die Berliner haushoch“ antwortete, da korrigierte er mich sanft: „Mama, das muss nicht sein. Jeder hat eine Chance. Man kann es vorher nie wissen.“ Wie recht er doch hat, dachte ich. Und schlug eine Runde Elfmeterschießen im Garten vor. Wär doch gelacht, wenn Mama nicht auch mal einen reinkriegt.  

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