„Der Begriff Empathie wurde für die Pädagogik aus der von Carl R. Rogers begründeten (1902-1987) klientenzentrierten Psychotherapie übernommen und meist als ‚einführendes und nicht wertendes Verstehen‘ übersetzt. In der Praxis führt das oft zu mehr oder weniger reinen Wiederholungen von den Äußerungen des Gegenübers oder zu Floskeln wie ‚Das kann ich gut verstehen‘/‚Ich kann mir vorstellen welches Gefühl Sie nun haben‘. Rogers fühlte sich in diesem Punkt häufig missverstanden und versuchte schon Anfang der sechziger Jahre des vorherigen Jahrhunderts eine Richtigstellung vorzunehmen. Er schrieb, Empathie sei keine ‚hölzerne Technik des Pseudoverstehens …, bei der der Berater lediglich ‚widerspiegelt‘, was sein Klient soeben gesagt hat‘ (1962, S.185). Ein Therapeut, Berater oder eine pädagogische Fachkraft würde im Sinne von Carl R. Rogers Empathie dann zum Ausdruck bringen, wenn er stattdessen ‚die Verwirrung des Klienten, seine Ängstlichkeit, seine Wut oder sein Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, so spürt, als seien es die eigenen Gefühle, und sich nicht mit der eigenen Unsicherheit, Angst oder Wut darin verstrickt‘ (1962, S.184). Rogers spricht von einer vollständigen Zuwendung im Verstehen der anderen Person, ohne dass dabei irgendwelche rhetorische Techniken oder gefühllose Nachformulierungen benutzt werden. Die höchste Wirkung einer gelebten Empathie sieht er darin, dass das Gegenüber dadurch Möglichkeiten zur Veränderung erfährt. […] Empathie zu besitzen bedeutet, die Beziehungsarbeit lebendig, aktiv, freundlich, wahrnehmungsoffen, aufgeschlossen, entwicklungsunterstützend und verstehend zu gestalten […]. Empathie [ist] keine Technik, sie kann weder eingeübt noch funktionalisiert oder absichtsgesteuert angewandt werden. Vielmehr setzt ein empathisches Eingehen auf eine andere Person voraus, dass pädagogische Fachkräfte im Sinne einer ‚Selbstbildung‘ zunächst intensiv an ihrer eigenen Entwicklung arbeiten. Dazu gehört u.a., sich intensiv und engagiert mit der eigenen Biografie auseinanderzusetzen, um sich dem ‚eigenen inneren Kind‘ erneut zu nähern und Sichtweisen, Haltungen und Einstellungen zu hinterfragen, zu klären und gegebenenfalls an einer Veränderung zu arbeiten. Um also einer anderen Person dabei zu helfen, sich selbst immer besser und tiefer zu verstehen, muss die helfende Person zunächst einmal sich selbst gegenüber authentisch sein, das ‚Selbst sein, das man in Wahrheit ist‘. Empathie hat also sehr viel mit Selbstübereinstimmung (=Kongruenz) zu tun. Das ist nur dann möglich, wenn die helfende Person in der Beziehung mit ihrem Gegenüber echt und ohne Fassade bleibt, ihre Gefühle und Einstellungen offen und gleichzeitig wertschätzend zum Ausdruck bringt und sich in der Beziehung als Person und nicht in ihrer (Berufs-)rolle offenbart.“