Erwartungen und Anforderungen an die berufliche Handlungskompetenz von ErzieherInnenEin bisschen hexen können wär' nicht schlecht ...

Das Alltagsszenario in einer Kindertageseinrichtung stellt die Erzieherin vor berufliche Herausforderungen, denen scheinbar nur eine zauberkundige Frau mit magischen Kräften "Herr" werden kann. Nur: Auch Erzieherinnen sind keine Hexen...

Die beruflichen Anforderungen an ErzieherInnen sind hoch komplex und häufig werden diejenigen, die den Beruf ausüben, vor schier nicht zu bewältigende Herausforderungen gestellt. Da wäre es in solchen Alltagssituationen, die auf den ersten Blick unübersichtlich, ja chaotisch erscheinen, manchmal gut, hexen zu können. "Hexen" zu können wird in der Regel Frauen unterstellt, die scheinbar Unmögliches möglich machen, Verworrenes entwirren und eine sinnvolle Ordnung herstellen; die aus dem "Drunter und Drüber" gleichzeitiger Anforderungen einen strukturierten Arbeitsprozess organisieren, so dass aus dem Chaos etwas Produktives, Nützliches entsteht. Als Hexen galten zudem Frauen - denkt man an die Hexenverfolgungen in vergangenen Jahrhunderten -, die sozial unangepasst waren. Das kann man von den Erzieherinnen nun nicht behaupten. Im Gegenteil: Obwohl mitunter ein überzogener Erwartungsdruck auf ihnen lastet, sind sie meist allzu sehr bemüht, es jedem recht zu machen. Auch auf die Gefahr hin, sich den Vorwurf mangelnder Kompetenz einzuhandeln.

Kompetent handelt jedoch die Erzieherin, die sich auch abzugrenzen versteht, die in beruflichen Alltagssituationen unter Abwägung dessen, was sie weiß und was sie kann, die jeweilige Situation analysiert und unter Beachtung ihres Erfahrungswissens reflektiert und kontrolliert fallbezogene Handlungsentscheidungen trifft, sich empathisch auf den Interaktionspartner einlässt und mit diesem kooperiert.

Das hoch komplexe Anforderungsprofil

Das Wissen um die Bedeutung der frühkindlichen Bildung, das die strukturelle und fachliche Weiterentwicklung in den KiTas angeschoben hat, sowie die Diskurse, die eine Akademisierung der ErzieherInnenausbildung in Deutschland entfacht haben, zielen im Kern auf ein komplexes Anforderungsprofil der in der Kinder- und Jugendhilfe beschäftiten Fachkräfte. Weit reichende Veränderungen bezogen auf die Breite und Tiefe der Ausbildung zeichnen sich vor allem im Verhältnis der beiden Ausbildungsebenen ab. Das Nebeneinander von Fachschulausbildung und Hochschulstudium wirft die grundsätzliche Frage auf, ob es zukünftig bei einem generalistisch konzipierten, sozialpädagogischen Berufsbild, wie wir es zurzeit noch haben, bleiben soll.

Das sozialpädagogische Berufsprofil der Erzieherin ist rechtlich verankert im § 1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII). Danach ist es Aufgabe der ErzieherInnen, jedem jungen Menschen in seinem Recht auf Förderung seiner Entwicklung und Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu verhelfen, Benachteiligungen in diesem Prozess von Kindern und Jugendlichen abzuwenden, die Erziehungsberechtigten zu beraten und zu unterstützen und nicht zuletzt, Kinder und Jugendliche hinsichtlich ihres psychischen und physischen Wohlergehens zu schützen und für positive Lebensbedingungen zu sorgen. Dieses komplex angelegte Berufskonzept verführt mitunter in Fachkreisen zu der Annahme, dass nur mittels einer Hochschulausbildung die notwendige Tiefe im Qualifikationsprofil zu erreichen wäre, und verleitet dazu, die derzeitige, auf Fachschulebene erworbene berufliche Handlungskompetenz der Erzieherin als defizitär einzustufen. Abgesehen davon, dass sich Professionalität erst im Verlauf der Berufspraxis einstellt, ist mit der Anhebung der Ausbildung auf Hochschulniveau das für die gegenwärtige Lage des ErzieherInnenberufs zentrale Problem eines fehlenden Konsenses über das Berufsbild und über den Grad der fachlichen Anforderungen nicht gelöst.

Das fehlende Berufsprofil

Obwohl der ErzieherInnenberuf zu einem der ältesten Frauenberufe in Deutschland gehört, ist das berufliche Handeln bzw. das, was die berufliche Handlungskompetenz ausmachen soll, bisher noch nicht wissenschaftlich erforscht. Ein Grund mag darin liegen, dass der ErzieherInnenberuf wie alle so genannten personenbezogenen Dienstleistungsberufe, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden, lange Jahre prinzipiell der von Müttern in der Familie zu erbringenden Erziehungsleistung gleichgestellt wurde und deshalb auch stets Gefahr lief, nicht als eigentlicher Beruf zu gelten, dessen Ausübung besondere Qualifikationen voraussetzt. Eine Folge dieser Fehleinschätzung ist, dass es kaum Wissen über den Beruf und seine Anforderungen gibt und auch nicht darüber, wie es vom Wissen zum Handeln kommt. Und auf Grund dieser Forschungslücke herrscht zurzeit produktive Ratlosigkeit, über welchen Grad an Fachlichkeit die Fachkräfte verfügen sollten - auch angesichts des Anspruchs, den das Kinder- und Jugendhilfegesetz bezogen auf den Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsauftrag der Einrichtungen regelt.

Wenn man von "Beruf" spricht, so meint man zum einen eine - äußerlich sichtbare - objektive Organisationsform von Erwerbsarbeit, ein Muster spezialisierter Tätigkeiten und Anforderungen, das sich auf ein Arbeitsfeld bezieht, welches den Handlungsrahmen der Berufsarbeit absteckt. Zum anderen versteht man unter Beruf die auf Ausbildung, also auf spezielle Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen sowie auf Dauer angelegte sinnerfüllte Bindung eines Menschen an eine Aufgabe, die er in einer arbeitsteilig strukturierten Gesellschaft erfüllt. Dieser subjektive Aspekt der Berufsrolle berührt berufsethische Fragen wie auch solche des beruflichen Selbstverständnisses bzw. der beruflichen Identität. Objektive und subjektive Dimensionen bilden das Gefüge eines Berufs, geben dem Berufsbild Profil und Stabilität. Der ErzieherInnenberuf befindet sich nicht zuletzt deshalb in einer Umbruchsituation, weil die objektive Seite, nämlich die Frage nach einem in sich stimmigen und empirisch überprüfbaren Gesamtkonzept der beruflichen Handlungsvollzüge und deren Fachlichkeitsgrad, noch nicht geklärt ist.

Die drei untrennbaren Aufgabenbereiche

In der Rahmenvereinbarung der Kultusministerkonferenz zur ErzieherInnenausbildung an Fachschulen (2002) wird von einem Berufsprofil ausgegangen, das sich auf die im Kinder- und Jugendhilfegesetz verankerte Aufgabentrias "Erziehung, Bildung, Betreuung" als ein ganzheitliches pädagogisches Tätigkeitsprofil von ErzieherInnen in Einrichtungen der öffentlichen Erziehung stützt. Auch wenn sich dieser ganzheitliche pädagogische Ansatz des Tätigkeitsprofils auf Grund der Debatte um die Bedeutung frühkindlicher Bildungsprozesse und der Einrichtung von Studiengängen mit der Bezeichnung "Bildung und Erziehung in früher Kindheit" an Hochschulen immer mehr in Richtung "Bildung" zu verschieben scheint, gibt es gute Gründe, sich des Konzepts der Sozialpädagogik zu vergewissern, das in Deutschland eine spezifische Berufskultur geprägt hat und das in Theorie und Praxis auf die Erziehungsphilosophie Fröbels zurückgeht. Erst 2004 wurde in dem Bericht der OECD auf die Besonderheiten dieses pädagogischen Ansatzes in Deutschland verwiesen, der sich nicht nur über eine spezifische Praxis und deren Arbeitsformen definiert, sondern auch über eine im Kern gesellschaftspolitische Zielsetzung.

"Für den Pädagogen, der mit dem ganzen Kind arbeitet, sind die Elemente des ursprünglichen deutschen Pädagogikkonzepts Betreuung, Bildung und Erziehung eng miteinander verknüpft. Es sind tatsächlich untrennbare Aktivitäten bei der täglichen Arbeit. Dies sind keine eigenständigen Bereiche, die zusammengefügt werden müssen, sondern zusammenhängende Teile des kindlichen Lebens" (OECD-Bericht 2004).

Betreuung - früher sprach man von Fürsorge - meint nichts anderes als die Bereitschaft der Erzieherin, sich auf Kinder emotional und getragen von wechselseitigem Respekt einzulassen und Bindungen zuzulassen, zu ermutigen und zu pflegen. Nur auf der Basis verlässlicher Zuwendung seitens der Erzieherin sind gelingende Erziehungs- und Bildungsprozesse möglich. Erziehung bezieht sich auf die Gestaltung der direkten Interaktion. Im Dialog mit dem Kind bringt die Erzieherin gezielt Inhalte ein, die auf der Grundlage gesellschaftlicher Normen und Werte kulturell bedeutsam sind und dem Kind Orientierung geben sollen. Bildung meint sowohl den Prozess der Selbstbildung des Kindes, der eingebettet ist in die (sozialen) Interaktionen mit anderen Kindern, mit den Dingen und den Erwachsenen, als auch die didaktischen Aspekte der Förderung durch die Erzieherin. Diese sozialpädagogische Ausrichtung des Berufs prägt auch die berufliche Identität der ErzieherInnen, wie die Experten der OECD-Kommission in ihre Umfrage bei den ErzieherInnen feststellen konnten.

Die erforderlichen Kompetenzen

Professionalität im beruflichen Handeln bezieht sich nicht nur auf den Grad der Fachlichkeit im interaktions- und organisationsbezogenen Handeln, sondern auch auf die personalen Kompetenzen und das Berufsrollenverständnis der Erzieherin bzw. des Erziehers und kann in der Ausbildung - egal, auf welchem Niveau sie angesiedelt ist - bestenfalls angebahnt werden. In diesem Sinne ist auch das sozialpädagogische Berufsprofil zu verstehen, das für die Ausbildung der ErzieherInnen an Fachschulen richtungsweisend ist: Kinder und Jugendliche zu erziehen, zu bilden und zu betreuen erfordert Fachkräfte, die

  • das Kind und den Jugendlichen in seiner Personalität und Subjektstellung sehen,
  • Kompetenzen, Entwicklungsmöglichkeiten und Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen in den verschiedenen Altersgruppen erkennen und entsprechende pädagogische Angebote planen, durchführen, dokumentieren und auswerten können,
  • über ein hohes pädagogisches Ethos, menschliche Integrität, soziale und persönliche Kompetenzen sowie Handlungsstrategien zur Gestaltung der Gruppensituation verfügen,
  • auf Grund didaktisch-methodischer Fähigkeiten die Chancen von ganzheitlichem und an den Lebensrealitäten der Kinder und Jugendlichen orientiertem Lernen erkennen und nutzen können,
  • in der Lage sind, sich im Kontakt mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einzufühlen, sich selbst zu behaupten und Vermittlungs- und Aushandlungsprozesse zu organisieren,
  • als Rüstzeug für die Erfüllung der familienergänzenden und -unterstützenden Funktion über entsprechende Kommunikationsfähigkeit verfügen,
  • auf Grund ihrer Kenntnisse sozialer und gesellschaftlicher Zusammenhänge die Lage von Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern erfassen und in Konfliktsituationen Unterstützung leisten können,
  • Kooperationsstrukturen mit anderen Einrichtungen im Gemeinwesen entwickeln und aufrechterhalten können,
  • in der Lage sind, betriebswirtschaftliche Zusammenhänge zu erkennen sowie den Anforderungen einer zunehmenden Wettbewerbssituation der Einrichtungen und Dienste wie auch einer stärkeren Dienstleistungsorientierung zu entsprechen.

Wesentliche Bestandteile dieses Qualifikationsprofils sind:

  • Subjektbezogene, entwicklungsorientierte Arbeit mit Kindern, die je nach Alter, Geschlecht, Region, familiärem Hintergrund, kultureller, ethnischer und religiöser Bindung einer fallbezogenen, spezifischen Förderung bedürfen,
  • Beobachtung, Dokumentation und Planung der Arbeit sowie
  • die Entwicklung von Kooperationsstrukturen, also Netzwerkarbeit.

Zweifel, ob die gegenwärtigen Rahmenbedingungen der Ausbildungspraxis dieser Breite und Tiefe des Qualifikationsprofils gerecht werden können, sind angebracht. Diese sollten jedoch nicht dazu verleiten, vorschnell eine Spezialisierung der Ausbildung zu favorisieren. Vielmehr sollten diese Zweifel Anlass sein, den aktuellen Qualifikationsrahmen insgesamt kritisch zu hinterfragen. Auch im europäischen Vergleich stellt es meines Erachtens ein Unding dar, dass es in Deutschland zwar unterschiedliche Niveaustufen der Ausbildung gibt, diese aber keineswegs auf der Grundlage eines gesicherten, kompetenzbasierten Ansatzes der beruflichen Bildung sozialpädagogischer Berufe definiert sind hinsichtlich der Ausprägung und der Art sowie des Umfangs der theoretischen Kenntnisse, praktischen Fertigkeiten und personalen Voraussetzungen. Im Gegenteil, es handelt sich um nicht aufeinander und nicht mit den Erfordernissen des Arbeitsmarktes abgestimmte Bildungsgänge in einem höchst unübersichtlichen und nicht durchlässigen Qualifikationssystem.

Theoretisches Wissen plus Erfahrungswissen

Was wir brauchen, ist ein Berufskonzept und einen stimmigen Qualifikationsrahmen, der auch das Verhältnis von nicht akademisch zu akademisch erworbenen beruflichen Qualifikationen klärt, wie es die Europäische Union in ihrem Programm zur beruflichen Bildung in Europa fordert. Dazu gehört auch eine stärkere Verknüpfung der beruflichen Bildung mit dem Arbeitsmarkt, eine Durchlässigkeit zum Hochschulstudium und auf allen Niveaustufen einen kompetenzbasierten, gleichwohl auf wissenschaftliche Theorien bezogenen Ansatz in der Aus- und Weiterbildung. Kompetenzbasiert bzw. tätigkeitsorientiert bedeutet auch, dass das Lernen im Vollzug der Arbeit, d.h. das Wissen, das nicht gelehrt wird, sondern das sich der Mensch selbst erschließt, aufgewertet wird.

Das Handlungsfeld von ErzieherInnen gleicht im kreativen Sinn einer Hexenküche. Was ErzieherInnen, die kompetent und professionell in unterschiedlichen Praxissituationen handeln, mit den Hexen teilen, ist ein spezifisches Wissen und Können, das sie befähigt, offenen beruflichen Herausforderungen mit einem klaren Kopf zu begegnen. Mit anderen Worten: Sie verfügen über Kompetenzen, ihre Arbeit selbst zu organisieren. Dabei hilft ihnen sowohl theoretisches Wissen und Können als auch Erfahrungswissen, d.h. ein Wissen, das sie sich in einem bestimmten Kontext selbst erschlossen haben. Mit anderen Worten: Sie haben dazugelernt, sie haben vorhandenes Wissen ergänzt bzw. modifiziert. Solche beruflichen Selbstbildungsprozesse folgen anderen Zeitverhältnissen als das in Lernschritte durchrationalisierte, herkömmliche Lernen in formalisierten Lehrveranstaltungen. Das verplante und verregelte, ja mitunter auch bürokratisierte Lerndesign in den Fach(hoch)schulen erreicht häufig nicht die Verhaltensebene der lernenden Akteure. Sie werden mit „Fremdwissen" überhäuft und wissen zu selten, wozu sie bestimmte Theorien brauchen. Das Lernen im Vollzug der Arbeit bewegt sich dagegen in einem offenen Raum der Möglichkeiten, der zulässt, dass sich die kreativen Potenziale der ErzieherInnen entfalten können. Sie schaffen sich selbst Zugänge zu einem Wissen, das unmittelbar zur Erkenntnis und zu ihrer persönlichen und fachlichen Kompetenzentwicklung führt. Dies stärkt ihre Autonomie und Verantwortlichkeit im Handeln, aber auch ihre Lern- und Problemlösekompetenz.

Fazit und Ausblick

Es bedarf nicht zauberkundiger Kräfte, um in einem kreativen Feld den Überblick zu behalten, auch wenn es scheinbar „drunter und drüber" geht. Auch eine optimierte und stärker wissenschaftsbasierte Ausbildung allein wird jedoch die dafür erforderlichen Kompetenzen nicht vermitteln können. Notwendig ist eine neue, professionsbezogene Sicht auf die Arbeit der Erzieherin. Es geht darum, dass diese sozialpädagogische Arbeit nicht nur von der Erzieherin als offenes Handlungsfeld positiv wahrgenommen wird, das sie inspiriert und motiviert, den beruflichen Herausforderungen neugierig und erfinderisch zu begegnen. Zugleich ist es nötig, „die Lust und die Kraft, an ihrer eigenen Erziehung unausgesetzt zu arbeiten" (Friedrich Fröbel), einzubinden in ein verbindliches Qualifikationssystem und die Weiterbildung mit angemessenen Gratifikationen zu versehen, wie es in anderen, vorwiegend männlichen Expertenberufen der Fall ist.

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