Umgangskultur gemeinsam bestimmenFreundlich geht's besser!

Der Umgangston bestimmt nicht nur die einzelnen Beziehungen von Mensch zu Mensch, sondern auch das gesamte Klima in einer KiTa. Eine Verständigung mit Kolleginnen und Kindern über Grundregeln lohnt sich für alle.

Erzieherin Tanja B. hat ihre Kollegin zwei Tage in der Bezugsgruppe vertreten. Danach ist sie genervt. Vor allem während des Frühstücks und des Mittagessens gab es Schwierigkeiten: Auf ihren Vorschlag hin, das Mittagessen mit einem gemeinsamen Ritual zu beginnen, reagierten die Kinder mit Unverständnis. Sie spielten während des Essens mit dem Besteck und matschten auf ihren Tellern herum. Insgesamt herrschte ein lauter und rauer Umgangston. Tanja B. vermisste zudem wenigstens ein paar grundlegende Tischsitten. Als sie daraufhin ihre Kollegin anspricht, antwortet diese, da gäbe es doch bedeutendere Themen. Tanja B. geht nachdenklich aus dem Gespräch heraus. Sie überlegt, ob es nicht an der Zeit wäre, im Team zu klären, was wem grundsätzlich wichtig ist, wenn es um das tägliche Miteinander und Zusammenleben in der KiTa geht. Weil sie der Überzeugung ist, dass Regeln und die dahinter stehenden Wertvorstellungen für Kinder, Erzieherinnen und Eltern geklärt sein müssen, entschließt sie sich, das Thema in die nächste Teamsitzung einzubringen.

KiTas und Kindergärten sind Bildungseinrichtungen und damit auch „Kulturvermittler". Im täglichen Zusammenleben vieler Menschen, die unterschiedlichste Sozialisationen erfahren haben, ist es sinnvoll, Umgangsformen und Umgangston miteinander in den Blick zu nehmen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil es ohne Konsens darüber zu Unklarheiten, Unsicherheit oder sogar Konflikten kommen muss - und alle darunter leiden, wenn die „Stimmung" nicht stimmt.

Warum „gutes Benehmen" zum Thema machen?

KiTa und Kindergarten bieten viele Erfahrungs- und Lernmöglichkeiten zum Thema Umgangsformen und Respekt. Allerdings muss man die Thematik bewusst in den Blick nehmen wollen. Vor dem Hintergrund unserer pluralen Gesellschaft, in der es je nach kultureller, sozialer und auch regionaler Herkunft sehr viele unterschiedliche Vorstellungen gibt, bekommt eine Verständigung möglichst vieler über „Umgangsformen" eine zusätzliche Bedeutung. Auch die Bildungspläne der Bundesländer fordern in unterschiedlicher Art und Weise die Beschäftigung mit Werten und Normen. Das Team der pädagogischen Kräfte in den KiTas ist aufgefordert, sich mit Kindern und auch Eltern darüber auseinanderzusetzen, was denn gute Umgangsformen sind und wie diese im Alltag gelebt werden können. Dabei geht es um folgende Bereiche:

  • Umgang mit sich und anderen,
  • das miteinander Reden und Streiten,
  • der Umgang mit Menschen, die anders sind,
  • der Umgang mit Gegenständen,
  • das Verhalten beim Essen und Trinken,
  • der Umgang mit den eigenen Körperfunktionen (Niesen, Aufstoßen etc.).

Hat man sich auf Umgangsformen verständigt, geben sie mehr Sicherheit im Umgang miteinander. Die komplexe Welt wird überschaubarer, wenn nicht in jeder Situation neu überlegt oder gestritten werden muss, was denn das richtige Verhalten ist. Und die Kinder lernen Umgangsformen, von denen sie über die Einrichtung hinaus profitieren können. Kinder und Eltern werden die daraus entstehende positive Atmosphäre in der KiTa schätzen und die Einrichtung kann sich darüber profilieren.

Das Thema angehen - aber wie?

Jegliches Handeln wird unbewusst und bewusst von persönlichen Erfahrungen, Einstellungen und Werten beeinflusst. Werte, Haltungen und Erziehungsstile stehen immer im Zusammenhang mit der eigenen Biografie. Daher ist es im ersten Schritt notwendig, sich seine eigenen Erfahrungen, Einstellungen und Werte bewusst zu machen und in ihrer Bedeutung für sich selbst zu gewichten.

Die eigene Haltung und Einstellung reflektieren

Bei der Reflexion hierüber können folgende Fragen hilfreich sein: - Wie bin ich aufgewachsen? Auf welche Werte und Umgangsformen haben die Eltern Wert gelegt? - Wie habe ich diese Werte und Umgangsformen erfahren, welche habe ich übernommen bzw. abgelehnt? - Was waren die Gründe, falls ich Umgangsformen abgelehnt habe? - War die Ablehnung von Werten und Umgangsformen auch ein Teil meiner eigenen Identitätsfindung, meines Erwachsenwerdens? - Mit welchen Werten und Umgangsformen wurde ich in Schule und Freundeskreis bzw. in anderen Gruppen konfrontiert? Gab es Übereinstimmungen oder auch Gegensätze in den verschiedenen Lebensbereichen? - Wie haben sich meine eigenen Werte und Umgangsformen über die Jahre entwickelt und was ist mir aktuell wichtig? Welche Umgangsformen sind mir unangenehm? Wo fühle ich mich unsicher? - Welche Werte und welche Umgangsformen sind mir in der pädagogischen Arbeit wichtig? - Wie agiere ich selbst? Wie begrüße ich Kinder oder Erwachsene, wie verhalte ich mich in verschiedenen Situationen? Agiere ich im Kindergarten anders als im privaten Bereich? - Wie wichtig ist mir insgesamt das Thema? Sehe ich eine gesellschaftliche Relevanz des Themas?

Das Thema im Team

Wenn jede Erzieherin sich ihre eigene Haltung zum Thema Werte und Umgangsformen klar gemacht hat, können im Team Grundsätze für einen erwünschten Umgang miteinander entwickelt werden. Dabei ist wichtig, dass man sich auf einen gemeinsamen Findungsprozess einlässt, mit dem Ziel, sich zumindest auf einen Grundkonsens zu einigen. Folgende Fragestellungen können für die Arbeit im Team hilfreich sein:

  • Welche Werte bzw. Grundeinstellungen gegenüber anderen Menschen haben die einzelnen Teammitglieder? Sind alle bereit, diese transparent zu machen?
  • Welche Werte vertritt der Träger, welche die Einrichtungskonzeption? Werden diese von allen akzeptiert, können sie als Grundlage dienen?
  • Wie ist der Umgang der Teammitglieder untereinander? Welche geschriebenen und ungeschriebenen Regeln und Umgangsformen existieren? Welche wünschen wir uns für unsere Einrichtung?
  • Welchen kulturellen Hintergrund haben wir in unseren jeweiligen Familien und welche Umgangsformen sind uns erfahrungsgemäß wichtig?
  • Welche Grundhaltung und Umgangsformen ergeben sich aus den Ergebnissen? Können und wollen alle „unterschreiben"?

Die Klärung und Verständigung des Teams kann zeitaufwändig sein, ist aber Voraussetzung für das weitere Vorgehen. Abgesehen davon muss allen bewusst sein, dass Kinder von Vorbildern lernen, und somit das eigene pädagogische Verhalten, auch die eigenen Umgangsformen, ständig zu reflektieren sind. Feedback von KollegInnen ist hilfreich und sollte prozesshaft immer wieder in den Teambesprechungen in den Blick genommen werden. Grundlage dafür ist allerdings, dass die Arbeitsbeziehungen grundsätzlich geklärt sind und keine offenen oder verdeckten Konflikte die Kommunikation beeinflussen.

Kinder lernen Umgangsformen

Das Miteinander kann nur gelingen, wenn es ein Grundverständnis über Werte und Regeln gibt, an die sich jeder zu halten bemüht ist. Dieses Prinzip ist natürlich auch auf eine KiTa zu übertragen: Der achtungsvolle Umgang im täglichen Miteinander ist ein Wert. Daraus leitet sich z.B. ab, dass man „bitte" und „danke" sagt, sich gegenseitig zuhört und einander aussprechen lässt. Das Thema „Wie gehen wir miteinander um?" fließt im KiTa-Alltag immer wieder in verschiedensten Alltagssituationen mit ein, z.B.:

  • bei der Begrüßung und Verabschiedung der Kinder - gibt man sich die Hand?
  • beim miteinander Reden - lässt man sich ausreden und hört man sich zu?
  • beim Ordnung halten - werden Spielsachen, Bücher etc. aufgeräumt?
  • beim Umgang mit Gegenständen - wird achtsam mit Material umgegangen?
  • beim Essen und Trinken - fängt man gemeinsam an zu essen, wird nur dann gesprochen, wenn der Mund leer ist?
  • beim Umgang mit Niesen, Aufstoßen, Blähungen - geht man aus dem Raum, niest man mit der Hand vor dem Mund?

Diese Alltagssituationen können immer wieder Anlass sein, mit Kindern über den Sinn und Unsinn der Regeln im Haus zu sprechen. Der gesamte KiTa-Alltag bietet hierfür ein hervorragendes Lernfeld. Im Mittelpunkt steht die gute Beziehung zwischen Kind und Erzieherin, ihr Vorbild vermittelt dem Kind, wie man miteinander umgehen will. „Gute Manieren" werden, auch humorvoll, vorgelebt und in Ruhe erklärt, wenn es einmal nicht geklappt hat. Grundsätzlich ist es sinnvoll, Regeln positiv zu formulieren: „Wir reden leise" motiviert die Kinder eher und leitet sie besser an als die Negativ-Formulierung „Schreit nicht so laut!".

Ein Projekt zum Thema

Im Sinne von Partizipation kann es sinnvoll - und überaus spannend - sein, mit den Kindern ein Projekt zum Thema Umgangsformen anzugehen. In der Vorbereitung ist zu klären, ob ein einzelner Bereich vorrangig bearbeitet werden soll, z.B. der wertschätzende Umgang mit sich und anderen, oder ob mehrere Bereiche von verschiedenen Gruppen nebeneinander bearbeitet werden. Wichtig ist, dass bei der Einführung in der Kinderkonferenz den Kindern Lust auf das Thema gemacht wird, z.B. über ein Rollenspiel oder eine Geschichte. Dann kann zusammen erarbeitet werden, was die Kinder zum Thema wissen, ob und was sie daran interessiert und welche Fragen sie dazu haben. Das Thema wird gemeinsam geplant, umgesetzt und ausgewertet. So kommt dem Prozess, über den die Kinder ganzheitlich lernen, eine hohe Bedeutung zu. Wenn die Umgangsformen am Ende des Projekts gemeinsam entwickelt werden, ist die Chance groß, dass die Kinder und Erwachsenen die Regeln einhalten. Wird gruppenübergreifend gearbeitet, stimmen sich die Erzieherinnen über die Grundzüge des Projekts ab, haben alle wichtigen Punkte und Fragen bereits im Vorfeld im Team geklärt und sprechen sich im weiteren Verlauf des Projekts immer wieder ab.

Gefundene Regeln nicht zementieren!

Umgangsformen bzw. Regeln werden von bestimmten Menschen in gewissen Situationen verabredet und müssen daher immer wieder neu bedacht, besprochen und bewertet werden. Es ist auch für die Kinder eine Lernerfahrung, dass es richtig ist, definierte und vereinbarte Absprachen in Frage zu stellen und gegebenenfalls neu auszulegen oder zu variieren. Beispielsweise besteht in einem Kindergarten darüber Einigkeit, Kinder und/oder Erzieherinnen, die sich gerade unterhalten, während ihres Gesprächs nicht zu unterbrechen. Wenn aber mitgeteilt werden muss, dass sich ein Kind beim Spielen verletzt hat, ist die Regel außer Kraft - ja, die Erzieherin m u s s sogar unterbrochen werden. Kinder sind durchaus in der Lage, einen flexiblen Umgang mit Regeln nachzuvollziehen. Sie erfahren, dass aufgestellte Regeln, an die sich alle halten, Sicherheit bieten, dass manche Situationen jedoch auch ein anderes Handeln erfordern können. So bekommen Kinder die Chance, sich zu wachen und selbstkritischen Menschen zu entwickeln.

Und die Eltern?

Die Kinder kommen aus Familien, in denen ganz unterschiedliche Werte und damit auch Umgangsformen gelebt werden. Daher ist es unbedingt wichtig, auch mit den Eltern über dieses Thema ins Gespräch zu kommen. Ein Elternabend kann dies zum Thema haben - wobei die Erzieherinnen den Eltern die in der KiTa geltenden Umgangsformen vorstellen und sich mit ihnen darüber austauschen. Dabei sollte es nicht das Ziel sein, die Eltern zu belehren und zu erwarten, dass sie die Regeln auch bei sich zu Hause umsetzen. Es muss vorrangig um das gegenseitige Kennenlernen und Verstehen gehen. Kinder haben erfahrungsgemäß keine Mühe, mit unterschiedlichen Vereinbarungen in den beiden Sozialwelten KiTa/ Kindergarten einerseits und Zuhause andererseits klarzukommen.

Fazit:

Eine Kultur des Zusammenlebens will entwickelt und gepflegt werden. Umgangsthemen behandeln deren praktische Umsetzung und sind daher ein Dauerthema. Voraussetzungen dafür sind klare Positionen von Erzieherinnen und Team. Sie zu bestimmen, macht Mühe und Arbeit - aber es lohnt sich. Einrichtungen, die sich des Themas annehmen, haben in der Folge weniger Probleme im pädagogischen Alltag. Vieles läuft runder, es gibt weniger Reibungsverluste und mehr Freiräume. Nicht zuletzt gewinnt die Einrichtung an Profil und schafft einen Rahmen, in dem sich nicht nur die Kinder spürbar wohlfühlen.

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