Diesmal im Blick: Kreativitätsförderung bei KleinstkindernDie Welt vielfältig gestalten

Unter dieser Rubrik finden Sie konkrete, fundierte Informationen zu Fragen, wie Sie den Alltag der Kleinsten entwicklungsgerecht gestalten.

Kinder besitzen eine angeborene Experimentierlust und Gestaltungsfreude. Sobald sie ihre Finger und Hände gezielt einsetzen können, machen sie zahlreiche Erfahrungen damit, wie sie selbst Spuren erzeugen und hinterlassen können. Das genussvolle Verschmieren von Brei mit beiden Händen auf der Tischplatte, bei dem es erste sichtbare Linien und Kreisformen entstehen lassen kann, sind ein eindrückliches Beispiel. Fenster und Spiegelscheiben fordern das Kind auf, seiner Kreativität und dem Bedürfnis Sichtbares zu gestalten, nachzugeben und dort seine eigenen Atem-, Spucke- und Handspuren zu entdecken.

Das Material

Um diese natürliche Gestaltungsfreude zu fördern und zu unterstützen, gilt es in der pädagogischen Praxis mit Kleinstkindern nicht nur geeignete Materialen zu finden, sondern auch den Rahmen zu schaffen, damit diese ihren Ausdruck finden kann.
Der knapp einjährige Yannick experimentiert mit Rasierschaum. Zunächst beäugt er die weiche anschmiegsame Masse skeptisch. Dann tippt er zögerlich auf den Klecks Rasierschaum auf dem Spiegel vor ihm und führt die Hand Richtung Nase. Ahh − das riecht ja! Der Finger wandert langsam über den Spiegel − es entstehen Linien und erste Kreise. Sehr aufmerksam betrachtet Yannick immer wieder seinen Finger. Dann folgt die erneute Betrachtung im Spiegel. Mutiger geworden, kommen erst die ganze Hand und nach und nach beide Hände zum Einsatz. Yannick ist fasziniert und konzentriert. Neben den vielen multisensorischen Erfahrungen − der Schaum hat die Farbe weiß (visuell), er riecht (olfaktorisch) und fühlt sich kühl und cremig an (taktil) − erlebt sich Yannick aktiv. Er erfährt begeistert seine Selbstwirksamkeit − und wie er selbst das Bild und die Spuren auf dem Spiegel verändern und gestalten kann. Erst nach gut 20 Minuten wendet er sich einem neuen Spiel zu.

Finger- und Erdfarben

Für diese und ähnliche Erfahrungen bieten sich Materialien an wie z.B. Fingerfarben, selbst hergestellte Natur- und Lebensmittelfarben (z.B. aus Stärke oder Mehl) und Kleister (natur oder mit Lebensmittelfarben eingefärbt). Sie alle sind für kleine Kinder gut zu handhaben und bieten ein weites, alle Sinne ansprechendes Erfahrungsfeld. Bei den allerersten Begegnungen mit beispielsweise Fingerfarben steht das Erkunden, wie sich was anfühlt und welche Wirkung damit zu erzielen ist, im Vordergrund. Beim weiteren Experimentieren mit Nass- und Schmierfarben wird sich das Kleinstkind dann nicht gern an eine vorgegebene Malfläche halten. Und das ist gut so! Die Einbeziehung des ganzen Körpers ermöglicht ihm weitergehende sensorische Erfahrungen. Aus diesem Grund ist es zunächst wichtig, auf das Angebot von Werkzeug oder Hilfsmitteln wie z.B. Pinsel, Farbroller, Stempel, Schwämme etc. weitestgehend zu verzichten.

Stifte und Kreiden

Ergänzend zu den Nassmal- und Schmierfarben gibt es verschiedene Stifte und Kreiden, mit denen kleine Kinder kontrastreiche Spuren hinterlassen können. Herkömmliche Buntstifte und Wachsmalkreiden sind oft zu hart, sodass es eines großen Kraftaufwandes bedarf, um zu einem sichtbaren Ergebnis zu kommen. Bei der Anschaffung dieser Materialien ist darauf zu achten, dass die Stifte für kleine Hände gut – ausgehend von der Entwicklung der Handmotorik (Faustgriff) – zu greifen sind und einen klaren und leichten Farbabrieb haben. Wachsmalstifte, Straßenmal- und Pastellkreiden (z.B. Jaxell) und breitere Zeichenkohle sind Materialien, die gut sichtbare, kontrastreiche Spuren hinterlassen. Ähnlich den Nassfarben kann man die Farben mit den Händen verreiben und verschmieren, um weitere Effekte zu erzielen und zusätzliche taktile Erfahrungen zu sammeln. Die Malentwicklung eines Kindes lehrt uns, dass das Hinterlassen erster Spuren die Experimentierphase des Hiebkritzelns mit einschließt. Hierbei klopfen die Kinder mit den Stiftspitzen auf ein Blatt, erfreuen sich an den entstehenden Punkten und den begleitenden Geräuschen. In der Sorge, dass die Stifte dabei kaputtgehen könnten und weil das Geräusch oft als störend empfunden wird, greifen viele Erzieherinnen in diesen Experimentierprozess ein, der zu einer normalen Malentwicklung dazugehört. Hier bietet sich an, robustere Stifte und Wachsmalkreiden zur Verfügung zu stellen.

Reißen und Schneiden

Ein weiteres Erfahrungsfeld eröffnet sich beim Reißen, Schnipseln, Kleben und Kleistern. Verschiedene Papiersorten, z.B. Transparentpapier (etwas fester), einfaches buntes Papier, Geschenkpapier, Krepppapier und Seidenpapier (stark färbend) bieten verschiedene Reißeigenschaften und ganz unterschiedliche Erfahrungen. In dem Augenblick, wenn der rund 2,5-Jährige dann eine Schere zu handhaben versteht, ist kaum ein Material vor ihm sicher. Zu groß ist das Bedürfnis, selbst etwas in mehrere Teile zerschneiden zu können und dann evtl. daraus wiederum etwas Neues, Anderes entstehen zu lassen. Die selbst hergestellten Schnipsel werden hingebungsvoll mit Kleister übereinander und nebeneinander geklebt. Etwas festere Pappen und Papiere, Papprollen und Pappteller sind gut geeignete beklebbare Untergründe. Es geht dabei für das Kind niemals um die Präsentation eines Ergebnisses, sondern um sein eigenständiges Handeln.

Kneten und Formen

Das Arbeiten mit Knet- und Modelliermassen ist nicht nur bei Kleinstkindern sehr beliebt, es bedeutet auch ein weiteres vielfältiges und sehr elementares Erfahrungsfeld. Bei der Verwendung der handelsüblichen Knete ist zu beachten, dass diese für die kleinen Hände häufig zu hart sind. Selbst gefertigte Knete, Mehl und Wasserteige sind für den Einstieg viel geeigneter. Darüber hinaus sollten viele verschiedene Massen zum Formen und Kneten mit den unterschiedlichsten Konsistenzen und Eigenschaften angeboten werden. In der Arbeit mit Krippenkindern haben sich beispielsweise eine formbare Sandkleistermasse, Kloßteig und eine zähe Masse aus Speisestärke und Wasser bewährt. Ein anderes bekanntes Material ist Ton, der sich wiederum ganz anders anfühlt und verarbeiten lässt als die zuvor genannten Teige und Massen. Traditionell wird Ton zu Gegenständen und Figuren geformt und gebrannt. In der Arbeit mit Kindern unter drei Jahren sollte der Ton zunächst nur zum Rupfen, Zupfen, Reißen, Kugelndrehen, Bergebauen, Löcher-Reinbohren etc. verwendet werden. Anschließend kann der Ton in einer luftdicht verschlossenen Tonne (klein gerupft und leicht feucht besprüht) verwahrt und so mehrere Jahre immer wieder verwendet werden.

Schichten und Bauen

Neben den klassischen Bau- und Konstruktionsbereichen mit seinen vielfältigen Bausteinen und Holzklötzen bietet der Kreativbereich ergänzende Möglichkeiten, mit verschiedenen Materialien zu bauen, zu konstruieren und zu werken. Pappschachteln, Joghurtbecher, Papprollen, Naturmaterialien (z.B. Äste in Kombination mit Federn), Schwämmchen, Stoffreste und Wolle geben Anregung zu fantasievollen Gebilden. Bei der Bearbeitung von Styropor und weichem Holz verwenden schon viele 2,5-Jährige – begleitet von der Erzieherin – gern erste Werkzeuge wie z.B. Hammer, Feilen und Raspeln.

Die Rolle der pädagogischen Fachkraft

Bei allen kreativen und gestalterischen Tätigkeiten sollte die Erzieherin auch dem Krippenkind schon sehr viel zutrauen und ihm reichlich Raum geben, sich selbst und seine eigenen Möglichkeiten zu erproben und kennen zu lernen. Den Erstkontakt mit den verschiedenen Materialien darf es immer zunächst über den eigenen Körper erfahren: Erst malt es mit den Händen, dann kommt die Erweiterung durch den Pinsel. Erst reißt es die verschiedenen Materialien, dann folgt das Schneiden mit der Schere. Es gilt ein Gespür dafür zu entwickeln, wann das Angebot ergänzender Materialien dem Alter entsprechend angeboten werden kann und wo es wie entwicklungsfördernd ist. Auf den Einsatz von Helferscheren sollte gänzlich verzichtet werden, da der Erwachsene damit die Handstel- lung und Richtung des Schneidens bestimmend beeinflusst. Mittlerweile gibt es gute Kinderscheren, die mithilfe einer kleinen Feder das Aufmachen der Schere erleichtern. Da es in den ersten drei Jahren zentral um die Materialerfahrung und das kreative Experimentieren mit verschiedenen Gestaltungsformen geht, hat die Erzieherin in erster Linie die Aufgabe, entsprechendes Material und geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen und – wichtigste Voraussetzung – es innerlich zuzulassen, dass dabei auch geschmiert und gematscht wird. Dies sollte auch Eltern gut verständlich erklärt und vermittelt werden.

Die Raumgestaltung

Um in der Praxis das elementare und natürliche Bedürfnis nach kreativer Gestaltung zu beantworten und zu fördern, ist es gut, wenn zunächst Angebote und Nischen geschaffen werden können, bei denen Krippenkinder ihren gesamten Körper mit einbeziehen dürfen. Ein mit Farbe gefülltes Planschbecken im Waschraum oder ein mit Folie ausgelegter Bewegungsraum, wo Kinder – nur mit der Windel bekleidet – sich selbst bemalen oder mit Händen und Füßen Abdrücke hinterlassen können, sind ein ideales Angebot. Um kleinen Kindern darüber hinaus zu ermöglichen, ihre natürliche Gestaltungsfreude und Experimentierlust ausleben zu können, sind geeignete Räumlichkeiten im Grunde unabdingbar. Optimal wäre ein separates Mini-Atelier oder die Möglichkeit, einen geeigneten Waschraum nutzen zu können, wo Kinder und Erzieherinnen nicht ständig darauf achten müssen, dass etwas „daneben geht“. Für einzelne gezielte Projekte kann man ggf. auch in einen mit Folie entsprechend präparierten Mehrzweckraum/ Bewegungsraum oder – je nach Wetterlage – nach draußen ausweichen. Ein im Gruppenraum integrierter Malbereich sollte immer möglichst nah an den nächsten Waschgelegenheiten liegen. Selbst auf engstem Raum bietet eine an der Wand befestigte Plexiglaswand viele großflächige und kreative Gestaltungsmöglichkeiten, z.B. mit Rasierschaum oder Farben. Denn nur wer wirklich frei ist (ohne Angst, dass jemand schimpft, weil es kleckst!), kann Kreativität zulassen.

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