Beginnen wir mit dem Experiment „Der feuerfeste Luftballon": Ein Luftballon wird, nachdem etwas Wasser hineingefüllt wurde, aufgeblasen, ein zweiter wird auf die gleiche Größe nur mit Luft aufgeblasen. Beide Ballons werden nun an einer Schnur aufgehängt. Wenn beide auf gleicher Höhe hängen, bringt man jeweils ein brennendes Teelicht ca. 3 cm unter die Ballons. Jetzt zeigt sich: Ein Luftballon zerplatzt, der andere nicht.
Wie viel Fachwissen braucht die Erzieherin für dieses Experiment?
Die Neugier der Kinder ist geweckt und die Motivation, das Phänomen zu klären, groß. Wieweit muss nun aber die Erzieherin über die physikalischen Grundlagen des Phänomens Bescheid wissen? Ein bequemer Weg scheint zunächst einmal, Lösungsvorschläge in Experimentierbüchern nachzulesen. Hier findet man Erklärungen wie z.B.:
- „Wasser leitet die Wärme weit besser als Luft. Du erwärmst also das Wasser, das wiederum die Haut Deines Ballons kühlt und dadurch verhindert, dass er platzt."
- „... so ist die Innenseite des Ballons mit Wasser bedeckt, es entsteht eine gut wärmeleitende Verbindung ..., was den Wärmeaustausch begünstigt. Im Vergleich zum nur luftgefüllten Ballon kommen auf die erhitzte Fläche sehr viel mehr Teilchen, die die Wärmeenergie abziehen können. ..."
Die unkritische Übernahme solcher Fachbegriffe kann ein wirkliches Verstehen der Vorgänge verhindern. Im schlimmsten Fall führt es dazu, dass die Erwachsenen Modellvorstellungen (wie im zweiten Beispiel die Erklärung auf Teilchenebene) genau so an die Kinder weitergeben, was für diese nicht verständlich wäre. Daher ist es wichtig, sich nicht von vornherein auf eng definierte, wissenschaftliche Schemata festzulegen und zu belehren, sondern stattdessen im Gespräch mit den Kindern offen zu sein auch für deren Vorstellungen. Aus meiner Sicht führt der beste Weg zum tiefen Verständnis über das eigene Experimentieren, das durch die Reflexion über die Versuche ergänzt wird.
Wie können sich Erzieherinnen auf das Experimentieren vorbereiten?
Im Rahmen des Projekts „Versuch macht klug" wurden Fortbildungsveranstaltungen für Erzieherinnen in Schleswig-Holstein angeboten, die bisher von ca. 1.600 Teilnehmerinnen genutzt wurden. Im Zentrum stand die Frage, wie Vorschulkinder beim forschenden Experimentieren angemessen betreut und gefördert werden können. Aus unserer Erfahrung kann eine Erzieherin das forschende Experimentieren nur dann qualifiziert begleiten, wenn sie selbst in der Lage ist, naturwissenschaftliche Phänomene im Alltag zu entdecken und selbst schlüssige Erklärungen dafür zu finden. Daher sollte sie sich mit ausgewählten Experimenten aktiv auseinandersetzen und sich ein eigenes Bild von den zugrunde liegenden Vorgängen machen. So beschäftigen sich die Erzieherinnen im Rahmen der Fortbildung zunächst selbst mit erprobten Experimenten für Vorschulkinder. In dieser Phase können bestehende Ängste abgebaut und das Interesse am Experimentieren gefördert bzw. geweckt werden. Sie wählen ein Experiment aus, führen es durch und besprechen das Beobachtete dann intensiv in der Gruppe. In diesem Prozess entwickeln sie gemeinsam eine Vorstellung davon, wie das vorliegende naturwissenschaftliche Phänomen erklärt werden könnte. Prinzip ist also, keine fertigen Lösungen mit physikalischen Fachbegriffen vorzugeben, vielmehr geht es darum, dass die Erzieherinnen eine möglichst einfache Erklärung finden, die später auch für Kinder verständlich ist.
Wie erklären sich die Erzieherinnen das Experiment „Feuerfester Luftballon"?
Nach Durchführung des Experiments mit den Luftballons stellten die Teilnehmerinnen fest, dass sich in dem Luftballon, der nicht geplatzt war, etwas Wasser befand. Nun ergaben sich aus der Erzieherinnen- Runde Fragen, die wiederum experimentell überprüft und beantwortet wurden (siehe Tabelle S. 20).
Aus den Beobachtungen ergaben sich folgende Schlussfolgerungen:
1. Die Ballonhaut wird bei Temperaturen unterhalb 100° C nicht zerstört.
2. Beim Erhitzen geht von der Ballonwand Wärme in das Wasser über - der Übergang in die Luft allerdings erfolgt schlecht.
3. Kann die Wärme von der Ballonwand nicht abgegeben werden, steigt die Temperatur der Ballonhaut schnell an, das Material wird zerstört.
4. Der größere Temperaturanstieg im mit Wasser gefüllten Ballon beweist, dass die Wärme besser in das Wasser als in die Luft übergeht.
Auswertung bzw. Deutung der Beobachtungen
Ballon mit Wasser:
- Die Ballonhaut wird erhitzt, Wärme geht in das (kältere) Wasser über („Das Wasser kühlt die Ballonhaut").
- Folge: Die Temperatur an der Ballonhaut steigt nicht über 100° C, solange noch Wasser vorhanden ist.
- Die Zerstörung des Ballonmaterials erfolgt erst oberhalb 100° C.
Ballon nur mit Luft gefüllt:
- Die Ballonhaut wird erhitzt, der Wärmeübergang in die Luft ist gering.
- Die Temperatur an der Ballonhaut steigt schnell an, Zersetzung des Materials, Platzen des Ballons.
Wichtig ist bei diesem Experiment, zwischen der Temperatur und der Wärme zu unterscheiden. Wärme wird immer von einem System höherer Temperatur (heiß) auf ein System niedrigerer Temperatur (kalt) übertragen. Meines Erachtens ist es erlaubt, bei Kindern im Kindergartenalter „animistische" Vorstellungen zuzulassen: So kann der Wärmeübergang als ein Vorgang betrachtet werden, bei dem die Wärme als „unsichtbarer Stoff" immer vom wärmeren zum kälteren Körper „wandern will". Zusatzversuche können verdeutlichen, wie gut die Wärme auf unterschiedliche Materialien übergeht.
Welche Kompetenzen sind also für Erzieherinnen bedeutsam?
Wie in den Ausführungen deutlich wird, ist nicht der Erwerb von fachwissenschaftlichem Wissen das Ziel, sondern im Fokus steht die Förderung des Verstehens von Phänomenen. Wagenschein definiert dies als „echtes, ursprüngliches und vor allem als selbst vollzogenes Verstehen". Dabei rückt das naturwissenschaftliche Arbeiten, das selbstkonzipierte Experimentieren in den Mittelpunkt, also die Entfaltung der Kompetenz selbst, nicht mehr das faktische Lernergebnis. Dieser Erkenntnisprozess kann im Rahmen der Fortbildung im gemeinsamen Gespräch auf der Basis der Beobachtungen des Experiments erfolgen, indem mithilfe eines Moderators eine Erklärung erarbeitet wird. Diese Vorgehensweise ist für viele Erzieherinnen zunächst einmal gewöhnungsbedürftig, da hier keine fertigen Lösungen geliefert werden. Doch wenn man die Grundelemente des forschenden Experimentierens verinnerlicht hat, wird man zunehmend mutig, eigene Ideen in die Diskussion einzubringen. Diese zunächst als anstrengend empfundene Erfahrung ist eine wichtige Voraussetzung dafür, auch Kinder bei diesem Prozess angemessen begleiten zu können. Allerdings müssen die Kinder selbst bestimmen können, wie weit sie sich auf das Finden einer Erklärung einlassen. Einige geben sich mit der Wahrnehmung der Ästhetik eines Phänomens zufrieden, andere forschen so lange, bis für sie der Vorgang geklärt ist.
Die Kinder beim forschenden Experimentieren angemessen unterstützen
In der Arbeit mit den Kindern plädiert Wagenschein für das Aufzeigen des Weges zu einer Erkenntnis: „Wir müssen Verstehen lehren.
Das heißt nicht: Es den Kindern nachweisen, so dass sie es zugeben müssen, ob sie es nun glauben oder nicht. Es heißt: Sie einsehen lassen, wie die Menschheit auf den Gedanken kommen konnte, so etwas nachzuweisen, weil die Natur es ihr anbot ...".
Nach dem Prinzip des selbstgesteuerten Lernens sollen die Kinder zunächst einmal selbst auswählen, welche Versuche sie machen wollen („free-choice learning") und dabei alleine oder mithilfe der Erzieherinnen eigenständige, subjektiv tragfähige Erklärungen für die beobachteten Phänomene entwickeln. Die Aktivität muss dabei vom Kind ausgehen, nur so kann Selbstbildung im Sinne von „Aneignung von Welt" gelingen. Wie intensiv sich das einzelne Kind zu einem bestimmten Zeitpunkt auf einen Forschungsprozess einlässt, muss ihm überlassen bleiben. Hier unterscheidet sich das Lernen im Elementarbereich vom schulischen Lernen, das sich am Erreichen von Lernzielen orientiert.
Die Erzieherin sollte dem Kind die Möglichkeit geben, seine Gedanken und Ansätze verbal auszudrücken oder in anderer Art und Weise darzustellen. Entscheidend ist:
- Es werden keine fertigen Lösungen vonseiten der Fachkraft angeboten. Vielmehr nimmt sie selbst eine forschende Grundhaltung ein.
- Beide, die pädagogische Fachkraft und das Kind, bemühen sich in der Diskussion über das Phänomen gemeinsam um eine Lösung. Dabei wird das Kind zum eigenständigen Denken angeregt.
- Im Gespräch mit dem Kind gibt es viele Möglichkeiten der Unterstützung: Weitere Experimente, gemeinsames Nachvollziehen dessen, was bisher getan wurde usw.
- Ziel der Kommunikation ist ein Prozess der Sinnkonstruktion. Das Kind soll zu subjektiv tragfähigen Erklärungen für die sich ihm ergebenden Fragen kommen.
Erkenntnisse aus der Hirnforschung weisen darauf hin, dass das Experimentieren mit den Kindern nicht als „Schulstunde" abgehalten werden sollte, in der von der Erzieherin der „Gang der Erkenntnis" vorstrukturiert ist und von allen Kindern der gleiche Wissenszuwachs erwartet wird. Viel wichtiger ist es, die Unterstützung so zu gestalten, dass möglichst viele Kinder individuell zum „Aha-Erlebnis" kommen. Nach unseren Untersuchungen gelangen beim selbstbestimmten Experimentieren längst nicht alle Kinder auf diese Ebene (Schließmann 2006). Vorschulkinder gehen beim Forschen immer so weit, bis sie die für sie befriedigende Lösung gefunden haben. Stellt ein beobachtetes Phänomen für ein bestimmtes Kind kein Problem dar, hat es keinen Sinn, ihm dies aufzudrängen. Bei der nächsten Begegnung mit diesem Phänomen unter anderen inneren und äußeren Bedingungen (z.B. eigene Motivation, gruppendynamische Prozesse, usw.) wird es vielleicht in anderer Art und Weise darauf reagieren und zu anderen Ergebnissen kommen. Eine ideale Lernsituation entsteht dann, wenn Kinder nach dem Experimentieren von der Erzieherin ermutigt werden, gemeinsam im Gespräch die Ergebnisse im Zusammenhang darzustellen. Eine gut geeignete Methode dafür bieten die sog. „Concept Maps" (vgl. Abb. unten).
Concept Maps - Vorstellungen und Wissen sichtbar machen
Eine Möglichkeit, Wissensstrukturen bildlich darzustellen, sind die sog. „Concept Maps". Sie sind ein ideales Werkzeug, um strukturiertes Lernen zu unterstützen (Mandl 2000) und es steht damit eine Methode zur Verfügung, mit der der für das Lernen entscheidende aktive Prozess des Aufbaus eigener Vorstellungen in Gang gesetzt werden kann. Das Erstellen einer Concept Map besteht darin, Schlüsselbegriffe, die für den untersuchten Vorgang von Bedeutung sind, auf Kärtchen zu schreiben. Diese werden dann in eine sinnvolle Anordnung gebracht und anschließend durch Linien miteinander verknüpft. Die Abbildung auf dieser Seite zeigt einen Versuch, die Vorgänge beim Experiment „Feuerfester Luftballon" in dieser Form zu verdeutlichen. Diese abstrakte Darstellung stellt nur eine Lösungsmöglichkeit dar. Man kann Concept Maps anschaulicher gestalten, indem die Begriffe durch kleine Skizzen oder Bilder ersetzt werden. Diese lassen sich auch gut bei der Arbeit mit Vorschulkindern einsetzen. Äußerungen während des Anfertigens einer Skizze geben zusätzlichen Aufschluss über die entwickelte Vorstellung. Häufig stellen Kinder die Zusammenhänge erst bei diesem Prozess bewusst her und kommen dann zu einem Aha-Erlebnis.
Wo können sich Erzieherinnen Unterstützung holen?
Inzwischen hat sich ein großes Angebot an Fortbildungsveranstaltungen für sozialpädagogische Fachkräfte auf dem Gebiet der Naturwissenschaften entwickelt. Wenn Sie selbst an einem solchen Angebot teilnehmen möchten, sollten Sie bei der Auswahl einer Fortbildung auf folgende Kriterien achten:
- Werde ich selbst zum Experimentieren aufgefordert?
- Werde ich beim Finden von Erklärungen aktiv beteiligt?
- Kann ich meine Erfahrungen (Erfolge, Ängste, Vorbehalte) in das Gespräch mit der Gruppe einbringen?
Wenden Sie sich an Kindertagesstätten, die bereits Erfahrung in diesem Bildungsbereich gesammelt haben. So sind z.B. in Schleswig-Holstein Kompetenzzentren entstanden, wo Fachschulen für Sozialpädagogik mit Kindertagesstätten ein Forum zur Information, Fortbildung und zum fachlichen Austausch anbieten.
Flensburger Erklärung zur frühen Naturwissenschaftlichen Förderung
Diese Erklärung will das Bewusstsein für die außerordentliche Bedeutung der frühen naturwissenschaftlichen Förderung schärfen. Die in Flensburg vertretenen Forscher- und Projektgruppen* haben pädagogische Prinzipien und Forderungen für eine frühe naturwissenschaftliche Förderung formuliert, die den verantwortlichen Bildungsträgern als Orientierung dienen sollen:
1. Elementare Phänomene, Fragen, Methoden und Erkenntnisse der Naturwissenschaften besitzen für Kinder im Vorschulalter einen hohen Bildungswert.
2. Eine eigenständige Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Phänomenen stellt für Kinder eine wichtige Grundlage für ein altersgemäßes Begreifen und Verstehen dar.
3. Kinder gewinnen beim „forschenden Experimentieren" durch eigenes Handeln einen Erfahrungsreichtum, der ihr Lernen nachhaltig fördern wird.
4. Gemeinsames Experimentieren in der Gruppe unterstützt die Entwicklung sozialer Kompetenz und Kooperationsfähigkeit bei den Kindern.
5. Dialogisches Sprechen über Experimente und anschauliches Visualisieren von Vorstellungen sind wirksame Mittel und Wege, gewonnene Erkenntnisse zu sichern und zu vertiefen.
6. „Forschendes Experimentieren" verlangt sensible Begleitung und individuelle Unterstützung der Kinder. Dies ist eine Voraussetzung dafür, dass „Selbstbildung" als aktive „Aneignung von Welt" gelingen kann.
7. Erkenntnisse zum Lernen im Primarbereich können nicht direkt auf den Elementarbereich übertragen werden. Grundlegende Forschungsarbeiten sind im Bereich der frühen naturwissenschaftlichen Förderung dringend erforderlich.
8. Es muss weiteres geeignetes Material zum forschenden Experimentieren entwickelt, evaluiert und den Kindertagesstätten zur Verfügung gestellt werden.
9. Erzieherinnen und Erzieher leisten die wesentliche Arbeit bei der Umsetzung dieser Prinzipien. Sie brauchen dafür entsprechende berufliche Kompetenzen.
10. Die Bereiche Naturwissenschaften und Technik müssen fester Bestandteil der Aus- und Fortbildung der Erzieherinnen und Erzieher werden.
11. Die pädagogischen Fachkräfte sollen in der Ausbildung selbst die motivierende Erfahrung mit eigenständigem Experimentieren machen. Dies ist wesentlich für die erfolgreiche Arbeit mit Kindern.
* Positionspapier der Forscher- und Projektgruppen zum Abschluss der Fachtagung „Am Phänomen lernen - Naturwissenschaftliche Förderung im Elementarbereich" an der Universität Flensburg am 04.03.2009.