Die Bedeutung eines Wortes erkennt ein Kind nach und nach. So können Sie als pädagogische Fachkräfte vorgehen, um die Zuordnung von Benennungen und Begriffen zu unterstützen.
Die Bedeutung der Wörter
Jedes Kind begegnet den Dingen in seiner Umgebung von Geburt an auf unterschiedliche Weise. Sein ,Spielraum‘ für Entdeckungen und die Intensität seiner Wahrnehmungserfahrungen sind hierbei von entscheidender Bedeutung.
Zu Beginn entwickelt das junge Kind über Nachahmungsprozesse erste geistige Bilder, auch Vorstellungen genannt, von Lauten und Bewegungen. Es ahmt die Klanggestalt der Wörter über einzelne, wahrgenommene Lautverbindungen nach, aber das Wort hat für das Kind noch keine Bedeutung in einem inhaltlichen, spezifischen Sinn. Erst im Verlauf zunehmender Differenzierungsleistungen - als Ergebnis vorausgegangener Lernerfahrungen - werden an das einzelne Wort Bedeutungen gebunden. Diese Merkmalszuweisungen zu Gegenständen, Handlungen und Ereignissen sind allerdings noch nicht eindeutig festgelegt, sondern entsprechen vielmehr dem momentanen Erkenntnisstand des Kindes. Da die Bedeutungen in diesem Stadium veränderbar sind, muss das gleiche Wort - vom Kind und vom Erwachsenen gebraucht - jeweils nicht auch das Gleiche bedeuten.
Zum Weiterlesen
Kinder machen im Verlauf ihrer Entwicklung eine Reihe von Erfahrungen mit Bällen, wodurch sie ihr Wissen über den Gegenstand kontinuierlich erweitern. Die nachstehend gelisteten Beobachtungen sind nicht auf alle Kinder einer Altersgruppe übertragbar, zeigen aber Erfahrungszusammenhänge auf, die für die Zielgruppe im Hinblick auf Begriffsbildung und Bedeutungsentwicklung wesentlich sind:
- Das fünf- bis sechsjährige Kind kennt Bälle als Spielgegenstand.
- Es weiß, dass die meisten Bälle rund sind; aber es hat auch schon Bälle gesehen, die eine andere Form haben.
- Es hat gelernt, dass nicht jedes runde Ding ein Ball ist.
- Es kennt große und kleine, einfarbige und bunte Bälle.
- Es weiß, dass man einen Ball werfen, rollen, treten und springen lassen kann.
- Es hat festgestellt, dass große Bälle sich leichter fangen lassen als kleine.
- Es kennt Bälle aus Stoff, aus Leder, aus Gummi, Holz, Plastik und Schaumstoff.
- Es hat beobachtet und auch schon an sich selbst erfahren, dass man mit einem Ballwurf andere Personen verletzen kann.
- Das Kind kann Bälle nach bestimmten Arten unterscheiden, wie Fußbälle, Schwimmbälle, Tennisbälle, Hopsbälle.
- Es kennt eine Reihe von Ballspielen; einige davon hat es schon selbst oder mit anderen ausprobiert.
- Es hat beobachtet, dass ein Ball in einem abschüssigen Gelände oder über eine Schräge besonders schnell rollt.
- Die Erwachsenen haben ihm verboten, auf dem Bürgersteig mit einem Ball zu spielen, weil er von dort auf die Straße und vor ein Auto rollen kann.
- Das Kind hat schon mehrmals allein einen Wasserball aufgepustet und damit im Wasser gespielt.
- Es kann sagen, welche Bälle auf dem Wasser schwimmen können und welche nicht.
- Das Kind hat schon des Öfteren im Fernsehen bei einem Fußballspiel zugeschaut. Es weiß seitdem, was „Ecke“ und „Abseits“ bedeuten.
Im Blick auf die genannten Beobachtungen wird deutlich, dass das vom Kind erworbene Erfahrungswissen die inhaltliche Weite oder Enge seiner Begriffe begründet. Ein Begriff versteht sich dabei als ein Netz aus einzelnen Wissenselementen, die man auch als Begriffsmerkmale bezeichnen kann und die sich im Verlauf seiner Entwicklung stetig erweitern und verfeinern.
Wörter oder Begriffe?
Die Forschung unterscheidet zwischen ,Wort‘ und ,Begriff ‘. Demnach wird ein Wort als Klangsymbol für einen Begriff verstanden, während ein Begriff das gesamte Wissen der Person über einen Gegenstand darstellt. Die Beziehung zwischen dem Wortsymbol und dem Begriff ist die Bedeutung des Wortes.
S. dazu: Szagun, Gisela: Bedeutungsentwicklung beim Kind. Wie Kinder Wörter entdecken. Urban & Schwarzenberg, 1983.
Durch die Interaktion mit dem Erwachsenen zum Begriffsverständnis
Über die Kommunikation mit dem Erwachsenen wird es dem Kind schrittweise möglich, sein Begriffsverständnis zunehmend dem der Erwachsenensprache anzunähern. Allerdings hängt die Wichtigkeit, die der sprachlichen Interaktion dabei zukommt, nicht zuletzt davon ab, um welche Art von Begriffen es sich handelt. Gegenstände und konkrete Handlungen, die für Kinder ‚greifbar‘ sind oder anschaulich dargestellt werden können, benötigen weniger eine sprachliche Interaktion bei ihrer Bildung als Begriffe über Unanschauliches, Nicht-selbst-Erlebtes wie auch über komplexe Sachbereiche. Hier braucht das Kind für sein Verstehen eine sprachliche Brücke bzw. Anbindung an bereits vorhandene Erfahrungen, damit nicht „ein leeres Wortwissen“ entsteht, bei dem es zwar die Wörter in richtigen Zusammenhängen anwendet - so wie es sie sich dem Erwachsenenbeispiel folgend angeeignet hat - aber inhaltlich wenig oder gar nichts von dem gebrauchten Begriff versteht.
Beispiel:
»Mama, zeig mal, wie groß ist riesig?« Luis hat im Kindergarten ein Bilderbuch über einen Riesen angeschaut, der so groß war, dass er mit dem Kopf über die Hausdächer ragte und die Bäume auf der Wiese wie kleine Sträucher mit einem schnellen Hopser überspringen konnte.
Mama zeigt vom Autofenster aus auf die Windräder, die auf einer Anhöhe stehen.
»Schau mal, Luis« meint sie, »die Windräder da! Ich finde, die sind wirklich riesig!«
»Hm!« Luis sieht eine Weile nachdenklich aus dem Fenster. Dann sagt er - fast ein bisschen vorwurfsvoll: »Aber ein Riese ist ja ein Mensch, Mama, keine Maschine! … Ich will wissen wie groß so ein Riese ist.«
Da ist Mama erst einmal ziemlich ratlos. Aber zu Hause nimmt sie Papas große Arbeitshandschuhe und seine warmen Winterstiefel und dann legt sie den einen Handschuh in die Küche und den anderen nach draußen auf die Terrasse und den einen Stiefel in den Flur und den anderen in Luis’ Kinderzimmer. Und dazwischen auf dem Boden ist ganz viel Platz für einen Riesenkörper mit Armen und Beinen. »So!«, sagt Mama zufrieden. »Siehst du wie groß er ist! Ein Riese passt jedenfalls nicht in unser Haus. Da würden die Wände und Fenster und Türen wackeln und zusammenbrechen.« »Stimmt!«, meint Luis. »Ich glaub, ein Riese, der braucht ein Hochhaus, … ganz für sich allein!«
Die Übersetzung von abstrakten Wörtern
Um dem Kind Begriffe wie verlassen, eng, unsichtbar, stolz, rau, winzig oder auch Liebe, Mut, Angst, Gewalt, Krieg, Tod, … und viele andere von ihrer inhaltlichen Bedeutung her zu erschließen, braucht es anschauliche Darstellungen, die für das Kind „anfassbar“ und darüber auch gedanklich nachvollziehbar sind. Der didaktische Anspruch besteht somit immer wieder darin, eine ‚Übersetzung‘ von etwas Abstraktem auf die konkrete Verstehensebene des Kindes zu leisten und ein gesichertes Grundwissen aufzubauen, das das Kind vor vordergründig-oberflächlichen sprachlichen Manipulationen schützt.
Beispiel:
Im Garten hinter der Kindertagesstätte gibt es nicht nur Sandkästen und verschiedene Klettergeräte, sondern auch Büsche und Bäume, mit Moos bewachsene Steine, mannshohe Sträucher, hinter denen sich die Kinder wunderbar verstecken können und die im Sommer grünen und blühen. Auch gibt es dort einen schmalen Trampelpfad, der in ein Rondell aus Kieselsteinen mündet sowie Grasflächen mit Gänseblümchen und Löwenzahn und einem kleinen Kräuterbeet. Die Erzieherinnen planen zusammen mit den Eltern weitere Ecken und Plätze anzulegen, die die Kinder zu Erkundungen veranlassen und ihre Sinneswahrnehmungen auf vielfältige Weise anregen können.
Zunächst einmal haben sie in diesem Jahr verschiedene, an Holzstäbchen befestigte Hinweisschilder an den betreffenden Stellen in die Erde gesteckt, auf denen unterschiedliche Symbole wie z. B. eine Hand oder ein Fuß, ein Augenpaar oder ein Ohr, eine Nase oder eine Zunge zu sehen sind. Die Bildzeichen geben an, wie das Kind an den gekennzeichneten Haltepunkten - riechend, schmeckend, tastend, hörend - auf Spurensuche gehen soll. Manchmal können die Kinder auch mehrere Sinne ausprobieren, sodass schon fast ein zusammenhängendes Wahrnehmungsbild entstehen kann. Im Gruppenraum finden sich die Erkundungsobjekte auf einem Erzähltisch wieder. In kleinem Kreis, zu dritt oder zu zweit, können die Kinder hier gemeinsam mit der Erzieherin noch einmal ganz intensiv riechen, schmecken und betrachten.
»Wie hat sich das angefühlt, Emira, als du mit den Füßen über die Kieselsteine gelaufen bist?« oder »Schau mal, Gustav, hier habe ich einen Pfefferminzbonbon, den du probieren kannst. Jetzt such mal mit deiner Nase, an welcher Pflanze du den Geruch wiederfindest.«
Die Kinder überlegen und vergleichen, kombinieren neu, suchen und fahnden in ihrer Vorstellung nach Parallelerfahrungen. Dabei wird zugleich auch ihr vorhandenes, sprachliches Repertoire aktiviert. (»Das Moos hier ist ganz weich und kuschelig … ein bisschen wie mein Schmusetuch.« oder: »Die Blätter riechen ganz, ganz scharf, … das mag ich nicht!«
Durch das intensive Nacherleben und die umfassenden Gespräche mit den Kindern werden die Wörter wiederholt und die Kinder können die neu erworbenen Begriffe allmählich auch in ihren eigenen Sprachbestand übernehmen. Sie haben hier auf mehreren Erfahrungsebenen begriffen, wovon die Rede ist.
Bilder im Kopf des Kindes
Im Umgang mit den Dingen und in den darauf bezogenen verbalen Interaktionen erkennt das Kind die Bedeutung der Wörter. Dieser Prozess des zunehmend differenzierenden Spracherwerbs befähigt das Kind, auf Erzähltes mit verinnerlichten Vorstellungsbildern zu antworten. So z.B. durch ein Gedicht von Josef Guggenmos1
Es gingen drei Kinder durch den Wald.
Die Kinder waren jung, der Wald war alt.
Da haben die drei unter Fichten versteckt
ein steinernes uraltes Haus entdeckt.
© Josef Guggenmos
Sie können gemeinsam mit den Kindern - wenn sie an das Erfinden von Geschichten aus der Vorstellung gewöhnt sind - den Weg bis zum Haus zusammen gehen … über Steine und Moos, durch raschelndes Laub … mit knackenden und knisternden Zweigen unter den Schuhen … manchmal ist der kurze Gesang eines Vogels zu hören und dann wieder nur noch das Rauschen des Windes in den Bäumen … Solche meditativen Erzählwege entwickeln sich assoziativ, wenn die Bilder aus dem Buch sich mit den Erfahrungen der Kinder verbinden, Erlebtes berühren und im Dialog miteinander wieder lebendig werden lassen …
Ältere Kinder können um das Haus herumgehen … ausgetretene Steinstufen führen zu einer schweren Eingangstür aus Holz. Vielleicht lässt sie sich knarrend öffnen oder erst wenn man einen alten, verrosteten Schlüssel dreht … Kinder lassen sich einfangen, von solchen sprachlichen Bildern, versuchen sie mitzudenken und in ihrem Kopf weiter ‚auszumalen‘. Das steinerne Haus im Wald wird zu ihrem Bild, denn jedes Kind erlebt und sieht es ein wenig anders - so wie es sich aus den eigenen Vorstellungen fügt.
Wie Wörter zu Begriffen werden
Bilderbücher bieten immer wieder auch sehr anschauliche Erzählbeispiele dafür, wie sich der Prozess der Bedeutungsfindung vollzieht.
Beispiel:
Ein kleiner Bär mit Namen Nicke2 entdeckt eines Tages außerhalb seines Waldes etwas Seltsames - ein Ding mit Stöcken oben und unten.
»Ist das Ding vom Himmel gefallen, oder ist es aus dem Boden gewachsen? « fragt sich Nicke.
Nicke hat für das Ding weder ein Wort noch einen Begriff, daher versucht er auf vielfältige Weise mit dem komischen Gegenstand seine Erfahrungen zu machen, um herauszufinden, wozu man ihn gebrauchen kann. Als ein Mann mit seinen Hunden vorbeikommt, nennt dieser das Ding beim Namen. »Das ist doch ein Stuhl«, sagt der Mann. »Siehst du das nicht?«
Nicke hat zwar jetzt ein Wort für sein Ding, aber das reicht nicht, um zu wissen, was ein Stuhl ist. Erst als der kleine Bär nach vielen vergeblichen Versuchen schließlich gezeigt bekommt, wie er sich auf einen Stuhl setzen kann, weiß er endlich Bescheid - und kann nun in Ruhe am Waldrand Himbeeren pflücken gehen, weil er - genau wie das Kind bei seiner Suche nach den inhaltlichen Bedeutungen der Dinge - sich ein neues, kleines Stück Welt erobert hat.