Kinder lernen, mit Feuer umzugehenDas Feuerdiplom

In der Lernwerkstatt der Kita St. Michaelis werden Kinder mit einem ‚Feuerdiplom' ausgezeichnet. Zuvor eignen sie sich bestimmte Kenntnisse und Fertigkeiten an. Das setzt voraus, Kindern im Umgang mit Feuer einiges zuzutrauen. Ein Erfahrungsbericht.

Ausstattung der Feuerstation

Zwei Tische, Keramik- und Metallschalen mit Sand, unterschiedlich große und farbige Kerzen, Teelichter, Streichhölzer, kleine Glasschale für abgebrannte Streichhölzer, Wasserschale, Zangen, verschiedene Materialien zum Experimentieren wie Gläser, Steine, Holzstäbchen, Dokumentationen in Wort und Bild, Bilder- und Sachbücher zum Thema.

„Es riecht, als würde es brennen“, bemerken manche Eltern oder Besucher, wenn sie in die Kita kommen. „Das tut‘s auch“, antworten die Kinder, „oben in unserer Feuerstation“. Wer schon beim Betreten der Kita den Geruch von Feuer wahrnimmt, wird von den Kindern aufgeklärt und erfährt, dass es in unserer Lernwerkstatt eine Feuerstation gibt. Täglich nutzen die Kinder diesen Ort zum Experimentieren, Beobachten und Erzählen. Im Gegensatz zu den anderen Spiel- und Lernbereichen in der Lernwerkstatt ist die Feuerstation nicht ständig für alle Kinder geöffnet. Für viele beginnt die Annäherung an das Element Feuer mit einer Beobachtungsphase. Jüngere Kinder schauen in gebührendem Abstand den Älteren neugierig beim Experimentieren zu, aber auch Gleichaltrige nehmen am Tun der anderen interessiert teil.

Faszination Feuer - die Phase der Vorbereitung

Vor dem sogenannten Feuerdiplom liegt eine mehrwöchige Vorbereitungszeit. Die eigentliche Prüfung besteht aus einem praktischen und einem theoretischen Teil. Bis es soweit ist, trifft sich das jeweilige Kind viele Male mit mir an der Station. Es erhält Anleitungen für den verantwortungsbewussten Umgang mit Streichhölzern, Kerzen, Teelichtern und anderen dazugehörigen Materialien, erlebt die Faszination des Feuers und lernt seine Gefahren kennen. Diese immer wiederkehrenden Handlungen unterstützen das Kind beim Erwerb der erforderlichen Kompetenzen. Während des Übens wird schnell klar, dass den vorgegebenen Regeln eine große Bedeutung zukommt und die Regeln eingehalten werden müssen. Fünf bis sechs Vorbereitungstreffen sind Pflicht, danach wird gemeinsam mit dem Kind das Feuerdiplom geplant. Fast immer stimmt meine Einschätzung mit der des Kindes überein. Selten muss ich allein die Entscheidung für weitere erforderliche Übungszeiten treffen. Die meisten Kinder sind sich der eigenen Unsicherheit bewusst und signalisieren, dass sie meine Nähe und Unterstützung an der Station noch brauchen. Das führte in den letzten Jahren dazu, dass jedes Kind nach der Vorbereitungsphase die Prüfung bestanden hat. Immer wieder aufs Neue vermitteln wir den Kindern, dass Angst auf jeden Fall berechtigt ist und dass der Respekt vor dem Feuer uns schützt.
Während der Vorbereitungszeit entwickeln sich oft Gespräche, die Aufschluss über die bisherigen Erfahrungen der Kinder mit dem Element Feuer geben. Bei einigen sind sie geprägt von angenehmen Erlebnissen wie Osteroder Lagerfeuer, bei anderen auch von traumatischen Erlebnissen und verbliebenen Ängsten verursacht durch einen Wohnungsbrand oder eine Brandverletzung. Ich erlebe, wie Kinder sich offensichtlich ganz bewusst für den Lernweg an der Feuerstation entscheiden, um auf diese Weise die eigene Angst zu begrenzen.

In den Gesprächen an der Station geht es daher selbstverständlich auch um den Umgang mit Feuer außerhalb der Kita und das Verhalten in Gefahrensituationen. Wenn nötig, lenke ich ein Gespräch in diese Richtung, sodass jedes Kind sein Wissen erweitert und schließlich selbst die vorgegebenen Fragen der Prüfung beantworten kann. Wenn sich ältere Kinder sogar zutrauen, die Feuerwehr selbst zu benachrichtigen und die Notrufnummer bereits kennen, verändern wir den theoretischen Teil des Feuerdiploms entsprechend. Die Kinder verstehen, dass dies der letzte Schritt ist, nachdem der schützende Abstand zum Feuer geschaffen wurde.

Rund um die Prüfung und danach

Nach der gemeinsamen Vorbereitungs- und Übungszeit vereinbaren wir einen Termin für die Prüfung. Die Prüfungssituation wird von allen Kindern, die dann gerade in der Lernwerkstatt sind, sehr ernst genommen. Es ist leiser als sonst, niemand will die wichtige Aktion stören und die meisten verfolgen genau, was an der Feuerstation geschieht. Sobald der praktische und der theoretische Teil der Prüfung erfolgreich beendet ist, nimmt das Kind sichtlich erleichtert und stolz sein „Feuerdiplom“ in Form einer Plakette zum Umhängen entgegen. Zusätzlich gibt es noch eine Urkunde mit den erfüllten Prüfungsaufgaben, die gleichzeitig als Information für die Eltern dient. Mittlerweile erwarten viele Eltern den Tag des Feuerdiploms mindestens ebenso gespannt wie ihre Kinder! An regelmäßig stattfindenden Themenabenden haben sie sich mit der Konzeption der Lernwerkstatt und dem Sinn der Feuerstation vertraut gemacht. Anfängliche, verständliche Ängste verschwinden recht schnell, wenn sie selbst das Geschehen an der Feuerstation beobachten können. Eine Ablehnung haben wir nie erlebt. Mit einer Unterschrift auf einer gut sichtbaren Liste signalisieren die zukünftigen FeuerforscherInnen abschließend, dass sie nun endlich das Diplom und die damit verbundenen Rechte erworben haben: Jeder, der dort unterschrieben hat, darf allein an der Station aktiv werden - immer vorausgesetzt, ein Erwachsener hält sich im Raum auf und alle Regeln werden auch weiterhin eingehalten. Wenn ein Kind die wichtigen Regeln außer Acht lässt, greife ich ein, weise auf die Gefahren hin und versuche, im Gespräch noch einmal das Erlernte zu verdeutlichen. In seltenen Fällen muss ich auf eine „Feuerpause“ bestehen, weil zu diesem Zeitpunkt ein achtsamer Umgang mit dem Feuer - aus unterschiedlichen Gründen (z. B. Unruhe beim Kind oder im Raum) - nicht möglich ist.

Feuerdiplom

Theoretische Prüfung

1. Frage: Wer muss dabei sein, wenn du etwas mit Feuer ausprobierst?
Antwort: Mama, Papa, Oma, Opa, Erzieherinnen (nur Erwachsene)
2. Frage: Weißt du, was brennen kann? Kann dein Pulli brennen? Können deine Haare brennen? Kann der Sand brennen? Kann dieses Papier brennen? usw.
Antworten: ja oder nein
3. Frage: Womit darfst du Feuer auslöschen?
Antwort: mit Wasser (Ausnahme: nicht bei brennendem Öl, Fett, o.Ä.) und Sand
4. Frage: Wo findest du hier Wasser und Sand?
Antwort: Der Wassereimer steht hier unter der Station und Sand ist in der Schale.
5. Frage: Womit kann ich im Notfall hier ein Feuer löschen?
Antwort: auch mit Wasser hier aus dem Eimer (Ausnahme s.o.), mit Schaum aus dem Feuerlöscher oder einer dicken Wolldecke
6. Frage: Wo ist der nächste Feuerlöscher?
Antwort: neben unserer Tür
7. Frage: Stell dir vor, du bist ganz allein in der Wohnung und es fängt ganz gefährlich an zu brennen. Was musst du zuerst tun? Und danach?
Antwort: Vom Feuer weglaufen und mich selbst in Sicherheit bringen. Laut um Hilfe rufen („Hilfe, es brennt!“). Die Feuerwehr mit dem Handy anrufen, wenn das möglich ist.
8. Frage: Wie lautet die Telefonnummer der Feuerwehr?
Antwort: 112

Praktische Prüfung

Bei den praktischen Aufgaben müssen die „FeuerforscherInnen“ sich an alle Regeln halten, die in der Übungszeit erlernt wurden.

  1. Zünde mit Streichhölzern eine Kerze an und lösche die Kerzenflamme wieder.
  2. Zünde nacheinander mehrere Kerzen und Teelichter in der Sandschale an.
  3. Finde heraus, ob das (Stein, Kastanie, Holzstückchen …) brennen kann.
  4. Bereite ein kleines „Lagerfeuer“ in der Sandschale vor und zünde es an.

Vertrauen auf die Kompetenzen der Kinder

Die anregende Umgebung der Lernwerkstatt, die ermutigende Begleitung und das Vertrauen in die erworbenen Kompetenzen des Kindes bilden eine Basis für die dann folgenden Selbstbildungsprozesse der forschenden Kinder. Manche Kinder bleiben noch länger beim Anzünden und Löschen der Kerzen und Teelichter sitzen. Sie beobachten intensiv die kleinen Flammen und suchen zwischendurch den Austausch mit mir. Andere „brennen“ darauf, zu experimentieren. Sie möchten ausprobieren, was mit den Flammen unter einem umgestülpten Glas passiert, lassen flüssiges Wachs in den Sand laufen oder „kokeln“ mit Holzstäbchen. Ausgehend von ihren Beobachtungen und Fragen möchten Kinder häufig neue Experimente entwickeln. Dazu ist vorab die Absprache mit den Erwachsenen erforderlich. Wer zum Beispiel die Brennbarkeit eines neuen Materials testen will oder wissen möchte, wie sich ein Stein anfühlt, der lange in die Flammen gehalten wurde, muss eine Erzieherin in seine Planungen und oft auch in die Durchführung einbeziehen. Hin und wieder muss akzeptiert werden, dass ein Experiment aus Sicherheitsgründen nicht stattfinden kann.
Die Ideen und Interessen der Kinder tragen ebenso zu Veränderungen an der Feuerstation bei wie die Jahreszeiten und Feste. Die Adventszeit mit ihrer besonderen Atmosphäre prägt beispielsweise das Tun der forschenden Kinder. Man sieht, riecht und hört das Weihnachtliche auch an diesem Ort: Teelichter, die ein Sternenkarussell in Bewegung setzen, Räucherkerzen, knisternde Tannennadeln. Zum Beobachten und Experimentieren kommt das Fantasieren und Geschichtenerfinden hinzu. Im Frühling und Sommer dagegen taucht auch mal der Wunsch auf, die „zündenden Ideen“ draußen in die Tat umzusetzen. Dort darf das Feuer natürlich etwas größer ausfallen und macht andere Erfahrungen möglich.

„In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst“ (Aurelius Augustinus)

Geübt im Umgang mit Feuer mussten wir Erzieherinnen anfangs immer mal wieder die Expertenrolle übernehmen. Gleichzeitig begann durch die Arbeit mit der Feuerstation vor fast fünf Jahren auch für mich ein intensiver Prozess der Selbstbildung. Er hatte Einfluss auf mein Rollenverständnis und somit auf mein alltägliches pädagogisches Handeln. Ich erkannte, dass meine Unsicherheit und übertriebene Angst die Forscherfreude und Lernlust der Kinder hemmten. Und selbst nach dem Feuerdiplom verfolgte ich anfangs noch jede Tätigkeit der FeuerforscherInnen, blieb direkt neben ihnen stehen und meinte, auch dann an die erlernten Regeln erinnern zu müssen, wenn ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Feuer stattfand. Mit jedem Schritt, den ich mich innerhalb des Raumes von der Feuerstation entfernte, lernte ich mehr Zurückhaltung und gewann ein noch größeres Vertrauen in die Fähigkeiten der Kinder. Selbstverständlich war ich trotzdem sofort da, wenn meine aktive Unterstützung oder meine Beratung notwendig wurden. Immer auch dann, wenn ich selbst ebenso fasziniert war vom Element Feuer wie die Kinder und wir unsere Begeisterung miteinander teilten. Eine Mischung aus gelungener Zurückhaltung und gemeinsamem Erleben führte zu viel Nähe. Sie stärkte die Beziehungen zwischen den Kindern und mir und das nach und nach auch in allen anderen Spiel- und Lernbereichen.
Die Begeisterung für das Lernwerkstattprinzip und somit auch für die Feuerstation mit all ihren wertvollen Erfahrungen für Kinder und Erwachsene durften wir in den letzten Jahren mit vielen teilen, auch mit unserem Träger. So werden wir ermutigt, unsere Erfahrungsschätze an andere weiterzugeben und das, was in uns „brennt“, auch in anderen zu „entzünden“.

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