Portfolios als Verbindung zwischen Familie und KitaEin Bilderbuch über die Entwicklung des Kindes

Portfolios ermöglichen den Eltern, etwas über die Interessen und Lernentwicklungen ihres Kindes in der Kita zu erfahren. Wie in einem Bilderbuch können sie gemeinsam mit dem Kind schauen, erzählen, lesen und neue Beiträge hinzufügen. Ein wertschätzender und erkenntnisreicher Prozess für alle Beteiligten.

„Schaust du mit mir meinen Ordner an?“ Giulia, 6 Jahre, legt ihr mittlerweile gut gefülltes Portfolio auf den Tisch im Gruppenraum und zeigt ihrer Mutter die neuen Seiten, die sie selbst eingefügt hat. Giulias Mutter richtet sich die „Ordnerzeit“ beim Bringen oder Abholen ihrer Tochter so oft wie möglich ein. So manches Blatt hat sie auch mitgestaltet. Durch das Portfolio hat sie während der dreijährigen Kindertagesstättenzeit im Dialog mit ihrer Tochter und den pädagogischen Fachkräften viel über Giulias Lern- und Entwicklungsprozesse erfahren. Wichtig ist, im Team und mit den Kindern zu besprechen, wie die Zusammenarbeit mit Familien gestaltet werden soll, wie Eltern sinnvoll in die Portfolioarbeit einbezogen werden können und wofür das Portfolio eingesetzt werden kann.
Die gemeinsamen Entscheidungen werden dann schriftlich festgehalten:

  • Die familiäre Perspektive bietet Einblick in die Lebenswelt der Kinder, die im Alltag der Kindertagesstätte berücksichtigt wird.
  • Eltern bringen ihr Wissen über ihr Kind mit ein und erfahren, dass pädagogische Fachkräfte ihre Wünsche, Ängste und Sorgen ernst nehmen.
  • Familienmitglieder erfahren, was im Kindertagesstättenalltag geschieht. Die Arbeit wird transparent.
  • Das Portfolio dient als Grundlage für Elterngespräche. Pädagogische Fachkräfte, Eltern und Kind tauschen sich über die Lern- und Entwicklungsprozesse des Kindes aus.
  • Die Gestaltung von Übergängen, z. B. „das Kind kommt in die Einrichtung“ oder „das Kind kommt in die Schule“ werden im Portfolio dokumentiert und besprochen.

Die Familienmitglieder sind dazu eingeladen, eigene Beiträge hinzuzufügen. Die Gestaltung und der Aufbau des Portfolios werden in der Kindertagesstätte entschieden. Das Kind bestimmt letztendlich, was wer dazu beitragen darf.

Das Portfolio unterstützt den Übergang

Bei jeder Anmeldung, der Vorstellung der Einrichtungskonzeption und am ersten Elternabend werden Eltern mit den Zielen der Bildungsphilosophie und der Umsetzungsform der Portfolioarbeit vertraut gemacht. Sie werden gebeten, gemeinsam mit ihrem Kind einen Ordner zu besorgen und Vorder- und Rückseite individuell zu gestalten. Die ersten Seiten können ebenfalls von Eltern und Kind eingeordnet werden. Ein Babybild, Familienfotos, Menschen, die dem Kind wichtig sind, Lieblingsplätze, an denen sich das Kind gerne aufhält, Spielsachen und Gewohnheiten können hier fotografiert oder aufgeschrieben werden. Auch Fotos und Namen von den Menschen, die abholberechtigt sind, haben im Portfolio ihren Platz. So können die Kinder sich selbst vorstellen und der pädagogischen Fachkraft zeigen und berichten, wer zum Abholen kommt.
Bei der Beschäftigung mit diesen Themen bewegen sich Eltern und das Kind gemeinsam auf die Kindertageseinrichtung zu und bereiten den Übergang vor. Manche Eltern und Geschwister schreiben gute Wünsche auf, die sie ihrem jungen Familienmitglied mitgeben.

Für den ersten Tag in der Evangelischen Kindertagesstätte „Am Kiefernhain“ in Hainburg erhielt Jaron einen Brief von seiner Familie. Darin wünschten sie ihm unter anderem alles Gute für den spannenden, neuen Lebensabschnitt und viel Freude beim Entdecken neuer Freundschaften. Sie teilten ihm mit, wie stolz sie auf ihn sind und wie sehr sie ihn lieb haben.
Jaron kam gestärkt in die Einrichtung. Immer wieder zeigte er den pädagogischen Fachkräften seinen Ordner und erklärte ihnen die einzelnen Personen. Und immer wieder musste seine Erzieherin ihm den Brief seiner Familie vorlesen. Beim Betrachten seines Babybildes stellte er fest, wie groß er heute schon ist und was er schon alles kann. Er hat viel gelernt. Das haben seine Eltern im Brief bereits vermerkt.
„Früh hast Du mit dem Sprechen angefangen und füttern durften wir Dich auch schon bald nicht mehr, da Du auch das alleine versuchen wolltest. Hat auch geklappt.“

Portfolios - Grundlage für Entwicklungsgespräche

Jarons Mutter hat die Entwicklung ihres Sohnes nachvollzogen und dokumentiert. Im Portfolio wird dies in der Kindertageseinrichtung für jedes Kind begonnen und fortgeführt. In ihm befinden sich Dokumente, die die Lern- und Entwicklungsprozesse des Kindes deutlich machen. So wird unter anderem die lernmethodische Kompetenz des Kindes gestärkt und die Erwachsenen erfahren, wie das Kind am besten lernt und wo seine Stärken und Interessen liegen. Das Portfolio ist deshalb eine hervorragende anschauliche Grundlage für Entwicklungsgespräche zwischen pädagogischen Fachkräften und Eltern. Es ist sinnvoll, dass das Kind an den Gesprächen teilnimmt. Es stellt selbst ihm wichtige Seiten seines Portfolios vor. Damit werden sprachliche Kompetenzen erworben. Außerdem zeigt es seine selbstreflektorischen Fähigkeiten und die Erwachsenen erkennen, was das Kind besonders interessiert.
Maja präsentiert ein Foto, das sie mit einer Kleberflasche zeigt. Sie sagt: „Als ich noch klein war, habe ich nicht gewusst, wie der Kleber aus der Flasche kommt. Dann habe ich ganz fest draufgedrückt und es kam ganz viel Kleber raus, viel mehr als ich wollte. Jetzt weiß ich: Du musst fest auf die Flasche drücken und dann gleich wieder loslassen, sonst ist alles voller Kleber.“ Maja hat gelernt, ihre Kraft gezielt einzusetzen. Bis sie erkennt, dass der Druck nachlassen muss, damit der Kleber nicht weiterläuft, wird eine Menge Kleber aus der Flasche fließen - was auch zu einer Herausforderung für die Fachkraft werden kann. Im nächsten Schritt entwickelt sie ein Wissen über das, was sie gelernt hat: „Du musst fest auf die Flasche drücken und dann gleich wieder loslassen, sonst ist alles voller Kleber.“ Sie weiß nun über die Handhabung Bescheid. Wenn sie später erklärt, „als ich in den Kindergarten kam, habe ich ganz lange auf die Flasche gedrückt und ganz viel Kleber verbraucht und das Papier war ganz glitschig, heute weiß ich, dass ich nur wenig Kleber nehmen muss, damit das Papier gut klebt“, hat sie den Umgang mit dem Kleber verstanden.
Im Entwicklungsgespräch wird Majas Eltern klar, was ihre Tochter gelernt hat und wie sie mithilfe des Portfolios ihren Lernprozess reflektieren kann.
Am Ende des Entwicklungsgespräches werden Ziele für die weitere Arbeit mit dem Kind festgelegt. Mit Maja wurde beschlossen, dass sie in der Kindertagesseinrichtung wie auch zu Hause viel Raum zum Experimentieren bekommen wird und dass sie ihre Erfahrungen zu Hause und in der Kindertageseinrichtung mitteilt und „aufschreibt“.

Für Entwicklungsgespräche mit Kindern und Eltern mit wenig deutschen Sprachkenntnissen hat das Portfolio eine besondere Bedeutung. Die Dokumentation der Bildungsprozesse des Kindes veranschaulichen Spielsituationen. Das Kind kann den Eltern in der Muttersprache berichten, mit was es sich im Kindertagesstättenalltag beschäftigt. Dadurch wird zusätzlich sein Selbstbewusstsein gestärkt. Für die Eltern wird das Lernen ihres Kindes sichtbar. Für den Austausch mit den Pädagogen und für die weitere Zielvereinbarung ist es sinnvoll, eine Vertrauensperson hinzuzuziehen, die beide Sprachen beherrscht.

Eltern beteiligen sich aktiv an der Dokumentation

Tobias’ Erzieherin Martina hat aufgrund ihrer Beobachtungen eine Lerngeschichte für ihn geschrieben. Tobias möchte sie zum einen in seinen Ordner einheften, zum anderen auch mit nach Hause nehmen. Martina und Tobias diskutieren, wie beides möglich ist, und Tobias schlägt vor, die Lerngeschichte zu kopieren. Er berichtet Martina, dass er weiß, wie es geht, da er es schon oft bei Karola im Büro gesehen hat. „Man muss das Blatt ganz verkehrt herum reinlegen und dann kommt es doch richtig herum raus.“
Im Portfolio wird nicht nur Tobias’ Lerngeschichte dokumentiert, sondern auch sein Umgang mit dem Kopiergerät, bei dem Tobias Medienkompetenz beweist.
Tobias erzählt dazu: „Martina hat geschrieben, was ich gemacht habe. Das heißt Lerngeschichte. Ich habe dabeigesessen und geguckt, ob es stimmt. Sie hat mir alles vorgelesen und jetzt bin ich im Büro und kopiere alles. Ich kann das schon. Ich habe alles bei Karola abgeguckt.“ Für die Eltern wird sichtbar, wie Tobias in der Kindertageseinrichtung lernt und dass er weiß, das er lernt, was und wie er gelernt hat.
Die Erzieherin regt die Eltern an, auch zu Hause zu beobachten, wann und bei welchen Gelegenheiten Tobias medienkompetent handelt. Sie werden gebeten, Lern- und Entwicklungsprozesse zu fotografieren oder aufzuschreiben, die dann ihren Platz im Portfolio haben können. Das Beispiel der frühen Medienbildung kann auf alle anderen Bildungsbereiche übertragen werden. Wann beschäftigen sich Kinder zu Hause mit naturwissenschaftlichen und technischen Phänomenen? Wie nutzen sie ihre sprachlichen Fähigkeiten? Welche fantasievollen, künstlerischen Lernerfahrungen machen sie außerhalb der Kindertageseinrichtung?

Eltern berichten über das Portfolio ihres Kindes

„Die Portfolios find ich toll. Beim Abholen denke ich oft nicht dran reinzugucken. Aber bei Aktionen und Festen, wenn wir länger hier im Kindergarten sind, schauen mein Mann und ich immer rein und entdecken viele Dinge, die Collin gemacht hat. Das ist toll und wir stehen unbedingt dahinter. Von meinen Mädchen, die in einem anderen Kindergarten waren, kenne ich das nicht - schade.“
Antje Blumör, Mutter von Collin, 3,5 Jahre

„Im Portfolio, im Ordner meines Sohnes, wird seine gesamte Kindergartenzeit für ihn und für uns wunderbar dokumentiert. Es werden Momente aufgegriffen, die Leif wichtig sind, und es werden Themen transparent gemacht, die ihn zu gewissen Zeitabschnitten beschäftigen. Wir Eltern erkennen oft nicht den Lerneffekt von Spielsituationen. Durch das Portfolio werden für mich neue Wertigkeiten geschaffen. Ich hätte beim Betrachten des „Krickselbildes“ am Anfang des Ordners auch nicht vermutet, dass mein Sohn dabei erste Versuche machte Formen darzustellen. Im Gespräch mit ihm sagte er mir, dass er die Weltkugel gezeichnet hat. Die Entwicklung der Kinder wird in ihrem Portfolio kontinuierlich aufgezeigt. Es macht großen Spaß, mit meinen Söhnen in ihren Ordnern zu blättern. Sie sind sehr stolz auf ihre Briefe, Fotos und Werke. Oft entstehen dabei anregende Gespräche.“
Isabell Roßmann, Mutter von Luca, 8 Jahre, und Leif, 5 Jahre - selbst Erzieherin

„Man sieht, was gemacht wird. Die Briefe an die Eltern werden beim Elterngespräch verwendet. Marie ist jetzt von der Krippe in die Kita gewechselt. Ihren Krippen-Ordner hat sie mit nach Hause genommen. Marie guckt jeden Abend in den Ordner. Sie nimmt ihn zum Trauern und zum Sprechen über die neue Gruppe. Für mich, Maries Papa und Marie ist er ein Andenken, man vergisst doch viel.“
Melanie Kremer, Mutter von Marie, 3 Jahre

„Wir nehmen den Ordner unserer Tochter öfter übers Wochenende mit nach Hause und können so sehen, was Natalie alles in der Kita gemacht hat. Wir sitzen lange zusammen und erzählen. Oft schreiben wir dann gemeinsam etwas hinein oder Natalie malt ein „Zuhausebild“, das sie dann montags in der Kita zeigt. Der Ordner ist eine super Verbindung von Kita und Eltern. Danke.“
Maria und Hannes Hartmann, Eltern von Natalie, 5 Jahre

Geschafft-Gelernt-Geschichten

In der Katholischen Kindertagesstätte Sankt Sebastian in Eppertshausen gibt es die „Geschafft-Gelernt- Geschichten“. Diese Geschichten werden nicht nur von den pädagogischen Fachkräften aufgeschrieben, sondern auch von den Eltern im Laufe eines Elternabends. Eltern überlegen, was ihr Kind in den letzten Wochen zu Hause geschafft hat und wie es selbst und die Familie gemerkt haben, wann und wie Lernen stattfindet. Diese Geschichten finden ihren Platz im Portfolio. Durch die Beschäftigung mit dem Portfolio wird Eltern der Entwicklungsprozess ihres Kindes deutlich. Eine Vielzahl von Kompetenzen wie z. B. lernmethodische Kompetenzen, Sprachkompetenz, Teamfähigkeit, Verhandlungsgeschick, Feinmotorik werden dadurch gestärkt und tragen zu einem positiven Selbstwertgefühl des Kindes bei.
Das Portfolio stellt sozusagen das Bilderbuch des Lernens dar, das beim gemeinsamen Betrachten mit dem Kind und den pädagogischen Fachkräften an Aussagekraft gewinnt.

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