Traditionell lag in Italien die Erziehung der kleinen Kinder in den Händen der Kirche. Bereits vor dem zweiten Weltkrieg, aber vor allem danach gab es Initiativen mit der Denkweise, die Erziehung von kleinen Kindern als Aufgabe der Gemeinschaft zu begreifen und selbst umzusetzen. Unter dem Einfluss der Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs nutzten die Frauen im Frühjahr 1945 die „Stunde Null“, um eine neue Erziehung zu Humanität und Gerechtigkeit zu begründen. Der erste kollektiv begründete und geleitete Kindergarten entstand. Wegen geringer finanzieller Ressourcen arbeiteten Eltern von Anfang an an der Entstehung der pädagogischen Konzeption und der strukturellen Ausstattung mit.
Weitere Einrichtungen wurden gegründet und durch eine veränderte Gesetzeslage konnten die Kommunen ab 1968 die Verantwortung und Trägerschaft der Kindertagesstätten übernehmen. So kamen die Einrichtungen, die heute als Reggio-Einrichtungen bezeichnet werden, in kommunale Trägerschaft der Stadt Reggio Emilia. Im Jahre 1970 erhielt das Koordinationsbüro der Tageseinrichtungen mit Loris Malaguzzi einen koordinierenden Leiter. Um die gleiche Zeit wurden durch die Einstellung von Werkstattleitern/ -innen und des hauptamtlichen Puppenspielers Mario Dolci besondere konzeptionelle Schlüsselpositionen geschaffen, die die Idee der Reggio-Pädagogik in ihrer eigenen Ausprägung unterstützten.
Wer war Loris Malaguzzi?
Er gilt als prägender Kopf der Theorie und Praxis der Kindertagesstätten und stand bis 1985 dem pädagogischen Zentrum vor. Die wichtigsten Aufgaben dieser Institution sind die Konzeptionsentwicklung und Auswertung der pädagogischen Praxis, die Begleitung der Umsetzung in den Einrichtungen und die Weiterbildung. Malaguzzi postulierte die Rechte der Kinder und er maß der ästhetischen Bildung eine große Bedeutung bei. 1985 ging Malaguzzi in den Ruhestand, 1994 verstarb er im Alter von 73 Jahren.
Trotz der unbestrittenen Verdienste und seiner nicht hoch genug einzuschätzenden Bedeutung für die Entwicklung des Konzeptes ist die Reggio-Pädagogik keine Malaguzzi-Pädagogik. Eine solche Verkürzung auf eine Person würde dem Gedanken des kollektiven Wirkens und Schaffens an dieser Geschichte widersprechen. Auch Malaguzzi würde dem widersprechen. Er selbst schrieb: „Die Frauen von Villa Cella (Anm.: Gründerfrauen der ersten Kindertagesstätte, B.G.) wurden zu den eigentlichen Protagonisten einer neuen Erziehung für Kinder, die bisher nicht in den hohen Schriften der Pädagogik verzeichnet war, weil sie vor allem den Dialog und die Kommunikation in den Mittelpunkt stellte und zusammenfügen wollte, was sonst in den Kindergärten getrennt war, das Kind, seine Familie und seine Umgebung“ (Dreier 2012, S. 19). Malaguzzis Arbeit war geprägt von Dialog und Kooperation. Erst das Zusammenwirken innerhalb eines gesellschaftlichen Rahmens ließ das Projekt Reggio zu dem werden, was es geworden ist. Das gemeinsame Wirken der Fachkräfte, der Eltern und des Gemeinwesens ist das besondere Kennzeichen der Reggio- Pädagogik.
Über das Leben und Lernen von Kindern
Es scheint mit der Haltung und mit Grundannahmen über das kindliche Leben und Lernen zusammenzuhängen, dass sich in den Kindertageseinrichtungen dieser Stadt eine einzigartige pädagogische Kultur entwickeln konnte.
Vielleicht hilft ein Satz von Loris Malaguzzi weiter, dieses Phänomen zu beschreiben: „Das Vergnügen am Lernen, Kennenlernen und Verstehen ist ein erstes, grundlegendes Gefühl, das jedes Kind sich aus den Erfahrungen erhofft, die es allein, mit Gleichaltrigen oder Erwachsenen macht. In diesem Gefühl müssen Kinder unbedingt bestärkt werden, damit das Vergnügen auch dann noch fortbesteht, wenn sich Lernen, Kennenlernen und Verstehen als anstrengend und mühsam erweisen. Andauerndes Vergnügen wiederum kann in Freude übergehen“ (Malaguzzi in Reggio Children 1996, S. 34). In diesem programmatischen Satz Malaguzzis steckt ein Bild vom Leben und Lernen von Kindern, das ihnen von Geburt an Eigenkompetenz und Wille zur Entwicklung unterstellt. Kinder sind schon immer vollwertige Menschen, „die auf eigene Art sehen, fühlen, denken und sich äußern und dadurch eine eigene Kultur schaffen“ (Ullrich/ Brokschnieder 2009, S. 31). Gleichzeitig lebt jedes Kind aber in sozialen Zusammenhängen, die es wahrnehmen kann und die es als Quelle und Ausgangspunkt seiner neuen Erfahrungen braucht. Im Dialog mit gleichaltrigen Kindern erfährt das Kind Kontrolle, Anregung und neue Sichtweisen. „Die Kinder müssen das Glück und das Privileg haben, mit anderen Kindern (…) zusammen sein zu können. Dann entsteht ganz von selbst ein fruchtbares Feld für Ideen, Gedankenaustausch und kooperative Konflikte, das kein Erwachsener jemals initiieren und realisieren könnte“, schreibt Malaguzzi an anderer Stelle (Reggio Children: Alles hat einen Schatten 2002, S. 25). Dem Lernen miteinander und voneinander wird viel Raum eingeräumt. Kinder brauchen Partner ungefähr gleichen Alters, mit denen gemeinsam in Spielhandlungen und Projekten emotionale, soziale, sinnliche und gegenständliche Erfahrungen gemacht und Deutungsmuster ausgetauscht werden (vgl. Knauf 2000, S. 184).
Die Erwachsenen spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Sie geben Rückhalt und Anregung, sie ermuntern und stabilisieren, sie stellen Fragen und geben Kindern Raum und Zeit. Oder mit Malaguzzis Worten: „… so bedarf es eines Erwachsenen als Zeugen, der das Spiel mitspielt, Interesse und Erstaunen zeigt, der Spaß daran hat, sich Fragen zu stellen und sich in einen Detektiv und Forscher zu verwandeln, um den abenteuerlichen Entdeckungen … Wert und Gewicht zu verleihen.“ (Reggio Children: Alles hat einen Schatten 2002, S. 25). Die Lernvorstellung in Reggio Emilia ist eine optimistische, die sich an den Theorien der Lernpsychologie und der Konstruktivismusforschung orientierte. Jedes Kind ist Entdecker und Forscher und möchte auf eigenen Wegen und in eigenem Tempo neue Erkenntnisse produzieren. Und so wird den Wegen, den Fragen und den Ausdrucksformen der Kinder große Beachtung geschenkt und damit dem individuellen Weg jeden Kindes größtmöglicher Entwicklungsraum gegeben.
„Die Vorteile des entdeckenden Lernens bestehen darin, dass es zu einem besseren Verständnis des Wissens, zu einer Vergrößerung der intrinsischen Motivation, zu einer differenzierteren Beherrschung der Methoden des Wissenserwerbs und zu einer Verbesserung der Gedächtnisleistung führt“ (Ullrich/Brokschnieder 2009, S. 40).
100 Sprachen hat das Kind
Die bekannteste Veröffentlichung aus Reggio Emilia ist das Gedicht über die „Hundert Sprachen des Kindes“ mit dem Titel „Und es gibt Hundert doch“ von Loris Malaguzzi (Reggio Children 1996, S. 1). Dieser Titel soll aufrütteln, sensibel machen für die Vielfalt des Ausdrucks für Kinder, so schreibt Malaguzzi (Reggio Children 1996, S. 28). Und er „soll eine Einladung sein, auf die Ernsthaftigkeit des kindlichen Spiels einzugehen.“
Der Begriff der Sprache, der im Mittelpunkt steht, unterstreicht zunächst das bereits erwähnte Grundprinzip des Dialogs und der Kommunikation zwischen allen Beteiligten unter Einschluss der Kinder. Jede Äußerung, jede Sichtweise hat ihr Gewicht und trägt zum Erreichen des gemeinsamen Ziels bei. Die Reggio-Pädagogik „will die Entwicklung zur Kritikfähigkeit, die Urteilskraft, das experimentelle Denken, die Kreativität, das kooperative, das soziale Verhalten unterstützen und die Gleichberechtigung zwischen Mädchen und Jungen sowie das Zusammenleben von Kindern ohne und mit Behinderungen fördern“ (Krieg 2004, S. 32). Dazu werden Kinder gehört, ihre Fragen ernst genommen, ihre Vorschläge und Wünsche finden Eingang in die weitere Planung. Fragen werden oft als wichtiger angesehen als Antworten, weil sie den Dialog in Gang halten und die Auseinandersetzung mit Themen nicht durch fertige Antworten langweilig machen. Gleichzeitig drückt das Bild der hundert Sprachen die Vielfalt der kindlichen Ausdrucksformen aus. Nicht allein das gesprochene oder geschriebene Wort steht im Mittelpunkt, sondern jede Äußerung von Kindern wird respektiert. So sind die vielen Werke, Skulpturen und Bilder in Reggio-Einrichtungen Dokumente, „die die Prozesse der Suche nach Weltverstehen und nach Ausdruck und Mitteilung von Gefühlen, nach individueller Unverwechselbarkeit und sozialer Zugehörigkeit dokumentieren“ (Knauf 2000, S. 186).
Der Raum als dritter Erzieher
Malaguzzis Gedicht von den 100 Sprachen des Kindes handelt auch davon, dass Kindern oft 99 ihrer 100 Sprachen geraubt würden. Dies zu verhindern ist eine der Grundhaltungen der Reggio- Pädagogik. So soll ihnen in Krippen und Kindergärten Raum zur Entfaltung möglichst vielfältiger Ausdrucksmittel geboten werden (vgl. Dreier 2004, S. 138). Räume und Materialien rücken damit in den Fokus besonderer pädagogischer Aufmerksamkeit. Das Prinzip heißt Öffnung und Dialog. Zentrum jeder Einrichtung ist die sogenannte „piazza“, ein zentraler Treffpunkt für alle, die den Kindergarten betreten: Kinder, Eltern, Erzieherinnen und Besucher. So wie jedes Dorf und jede Stadt ihren zentralen Platz mit wichtigen Funktionen hat, so dient dieser Ort in der Kindertageseinrichtung als Spielort, als Ausstellungsfläche, als Treff der Generationen, als Ort für Absprachen, als Platz zum „Sehen und Gesehenwerden“ (vgl. Ullrich/ Brockschnieder 2009, S. 77).
Die Kinder sind in der Gestaltung der Räume präsent. Es ist ihr Gruppenraum, ihr Kindergarten. So wird versucht, alle Bedürfnisse der Kinder nach Wohlbefinden, Bewegung, Ruhe und Entspannung, aber auch nach Erfahrung und Exploration zu erfüllen. Die Erkenntnisse und Ergebnisse der kindlichen Forschungsarbeit finden Platz an den unterschiedlichsten Ausstellungsflächen in der gesamten Einrichtung. In der Regel hat jeder Gruppenraum einen Intensivraum („Mini-Atelier“), alle Räume sind zueinander offen und haben als gemeinsamen Ausgangspunkt die Piazza.
Eine zentrale Bedeutung hat in jeder Einrichtung das Atelier, das auch mit einer „atelierista“, einer Kunstpädagogin, besetzt ist. Die Werkstätten sollen das schöpferische und kreative Potenzial der Kinder und ihren Forscherdrang herausfordern: „Räume dienen dem Ziel, das Staunen über die Vielfalt, die Geheimnisse und den Zauber der alltäglichen Phänomene wiederzuentdecken. Unsere Einrichtungen sind vor allem Werkstätten, in denen Kinder die Welt untersuchen und erforschen“, sagt Malaguzzi (zitiert nach Ullrich/Brockschnieder 2009, S. 78).
Weil alles Lernen ästhetisches Lernen ist, weil Kinder sich ihre Welt über sinnliche Wahrnehmungen erschließen, wird der Gestaltung der Räume besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Der Blick nach draußen ist durch große Glasflächen stets präsent, die Offenheit der Räume zueinander lässt Kommunikation und Dialog auf verschiedenen Ebenen zu. Spiegel in verschiedenen Ausprägungen lassen die Kinder sich in Beziehung zur räumlichen Umwelt selbst wahrnehmen. Die Materialien sind aus dem Alltag gewählt und stellen keine künstliche Kinderwelt dar.
Von den Rechten der Kinder und von den Rechten aller Beteiligten
Hinter der Entscheidung, die Bedürfnisse der Kinder als Ausgangspunkt jeder pädagogischen Initiative zu setzen, steht eine Grundhaltung, die in den Rechten von Kindern festgehalten worden sind. Diese Rechte sind nicht ausschließlich aus der Feder von Erwachsenen entstanden, sondern Ergebnis von Dialogprozessen, die in den 1980er-Jahren mit Kindern in den Kindergärten geführt wurden (vgl. Sommer 1999, Lingenauber 2002).
Die Kinder haben das Recht
- auf Anerkennung als Individuen
- alle ihre Potenziale zu verwirklichen und zu erweitern
- auf Kommunikation und Interaktion
- Liebe und Vertrauen zu bekommen
- auf Ausbildung des Selbst
- auf Erfahrungen mit Gleichaltrigen
Erzieherinnen haben das Recht
- an der Erarbeitung des Konzeptes mitzuarbeiten
- auf aktive Beteiligung am gemeinschaftlichen Erziehungsprozess
- auf Professionalisierung und Fortbildung
- auf Beratung und Praxisforschung
Eltern wiederum haben das Recht
- an der Betreuung und Bildung innerhalb der Konzeption der Einrichtung mitzuwirken
- sich aktiv an den Erfahrungen des Wachsens, des Sorgens und der Bildung der eigenen Kinder zu beteiligen
- auf Austausch und Kommunikation
Diese Rechte bedingen sich gegenseitig und sind getragen von der Grundannahme des Dialogs aller Beteiligten auf Augenhöhe. Wenn jeder im täglichen Miteinander spürt, wie wichtig und produktiv er in der Zielsetzung des Aufwachsens von Kindern ist, so scheint das die Atmosphäre und den Geist der Erziehungskultur positiv zu bestärken. Ein Begriff wie „Elternarbeit“, der im deutschen Sprachgebrauch gängig ist, wirkt hier völlig fehl am Platz, weil er beispielsweise die Eltern zu Objekten macht.
Erzieherinnen, die diese Rechte ernst nehmen und umsetzen, entwickeln eine Kultur der Begleitung von Kindern, die Knauf u.a. (2007, S. 139) zusammengefasst haben:
- Vertrauen: Kinder spüren die grundsätzliche Bejahung und Anerkennung ihres eigenen Weges durch die Erwachsenen und erfahren in täglichen Gegebenheiten, dass man ihnen etwas zutraut. Sie können sich dadurch in jeder Situation des Alltags herausgefordert fühlen.
- Freiheit: Kinder lernen dann, wenn sie sich der Sache von innen heraus zuwenden. So können Kinder in Reggio sich frei für ihre Tätigkeiten, Interessen und Projekte entscheiden. „Wahlmöglichkeiten sind das Tor zur Freiheit. Auf immer neue Art bemühen sich Erzieherinnen, Situationen zu schaffen und zu pflegen, die den Kindern Raum zu freien Entscheidungen eröffnen“ (Sommer 1999, S. 35).
- Zeit: Jedes Kind hat ein eigenes Entwicklungstempo und seinen eigenen Weg, seine Lern- und Lebensprozesse zu gestalten. So beinhaltet das Recht auf Zeit einerseits, den Kindern einen sicheren Zeitrahmen und einen rhythmisierten Alltag zu geben. Andererseits verlangt es aber auch, das Tempo jedes Kindes zu erkennen, seine Wünsche nach Aufenthalt, Vertiefung und Muße zu achten und individuelle Wege für jeden Jungen und jedes Mädchen zu finden. „Das sind die wunderbaren Angebote der Kinder. Die von ihnen beanspruchte Zeit, ihre Zeit, bedarf großen Respektes“ (Reggio Children 1996, S. 30).
Was wir von Reggio lernen können
Warum gibt es Reggio-Kindergärten eigentlich nur in Reggio Emilia und nicht tausendfach in Deutschland und in der ganzen Welt? Warum ist dieses Modell nicht schon viel häufiger von Tageseinrichtungen kopiert worden? Und warum hält die Faszination Reggio dennoch schon so viele Jahrzehnte an? Die finanzielle und personale Ausstattung allein kann es nicht sein, die dies verhindert. So viel üppiger ist die Besetzung und Arbeitszeitregelung in Reggio Emilia auch nicht. Ein entscheidendes Kriterium jedoch ist sicherlich das Bewusstsein gemeinsamer gesellschaftlicher Verantwortung für die Erziehung von kleinen Kindern. In der Geschichte der Kindertagesstätten ist dieses Konstrukt der gemeinsamen Verantwortung angelegt. Bis heute hat sich dies in den organisatorischen Strukturen und im inhaltlichen Verständnis erhalten. Dieses Verständnis ist in der Tradition und Geschichte der Frühpädagogik in Deutschland so nicht vorhanden.
Etwas optimistischer wird die Sichtweise auf die Inspiration durch die Reggio-Pädagogik aber, wenn wir uns von der inhaltlichen Seite und von anthropologisch-pädagogischen Sichtweisen, die wir aus Reggio Emilia mitnehmen, leiten lassen. Beispielhaft seien genannt:
- Das Bild vom sich selbst bildenden Kind, das angetrieben durch eigene Grundmotivationen das Leben erfahren möchte, hat in den Bildungsplänen der Bundesrepublik mehr oder weniger seinen Ausdruck gefunden. Die Beobachtungs- und Dokumentationsaufgaben sollen uns für die individuellen Interessen und Wege der Kinder sensibel machen und Wahlmöglichkeiten für seine individuellen Bedürfnisse möglich machen.
- Sinnesanregung und Ausdrucksvielfalt: Räume und Material müssen den Kindern dazu den Rahmen bieten. Viele Einrichtungen haben durch Differenzierung des Raum-Konzeptes auch in Deutschland eine beeindruckende Kultur der Vielfalt und der individuellen Möglichkeiten für Kinder geschaffen. Werkstätten und Ateliers, Experimentierräume, Bewegungsbaustellen und Snoezel-Räume sind gute Beispiele, sofern sie auch den inhaltlichen Anspruch erfüllen, dass sie Kindern frei zur Verfügung stehen und individuell genutzt werden können.
- Partizipation und Freiheit ist ebenfalls kein unbekanntes Thema mehr. Die Kunst, die Sprachen der Kinder zu verstehen und Kinder erleben zu lassen, dass ihre Äußerungen wirksam sind, ist sicher eine der schwierigsten Aufgaben. Auch hier setzen ungünstige Rahmenbedingungen wie Gruppengröße und Personalmangel mitunter enge Schranken. Die Projektarbeit, wie sie in vielen Dokumentationen aus Reggio Emilia beschrieben ist, liefert gute Beispiele, wie Kinder selbstbestimmt, zeitlich und inhaltlich frei ihre Interessen in Gruppen verfolgen und Erkenntnisse für sich gewinnen können.
- Die Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Erwachsenen muss sich verändern. Die jeweiligen Interessen und Kompetenzen von Erzieherinnen und Eltern müssen anerkannt werden, es gilt die Kultur der gemeinsamen Aufgabe neu zu überprüfen: „Die zentrale Rolle der Kinder, ihrer Entwicklung, ihres Lernens ist Folge der grundsätzlichen Zusammenarbeit von Kindern, Erziehern oder besser: allen Erwachsenen, die in der Einrichtung arbeiten, sowie den Familien“ formuliert Malaguzzi (Reggio Children 1996, S. 29).
Wo auch immer konkrete Umsetzungen aus verschiedenen Gründen nicht möglich sind, so regen die Ideen und die erlebte Praxis aus Reggio Emilia immer wieder dazu an, Sichtweisen neu zu reflektieren. Und mancher der Sätze aus den charismatischen Texten Malaguzzis kann dazu dienen: „Die Kinder kommunizieren mit der Welt, und es ist unsere Aufgabe, ihnen zu helfen, dies mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, Kräften und Sprachen zu tun“ (Reggio Children 1996, S. 36).