Die Diskussion über frühkindliche Tagesbetreuung wurde jahrzehntelang ideologisch geführt. Viele Fachleute vertraten die Ansicht, dass das Kind in den ersten drei Lebensjahren in die Obhut der Mutter gehöre. Mütter, die Berufstätigkeit und Kindererziehung miteinander vereinbart und ihr sehr junges Kind in einer Tageseinrichtung betreuen ließen, hatten oft ein schlechtes Gewissen.
Eine enge Verzahnung zwischen Wissenschaft und Praxis hat viel dazu beigetragen, dass die Debatte nicht mehr ausschließlich auf die Defizite bzw. unausreichende Qualität öffentlicher Bildung, Erziehung und Betreuung fokussiert, sondern andere wichtige Fragen stellt. Gefragt wird zum Beispiel, welche Vorteile eine familienergänzende Tagesbetreuung für junge Kinder haben könnte. Seit sich das Bild vom Kind und die Vorstellung über die frühkindliche Entwicklung radikal verändert haben, kommt es auch zur Neubewertung frühkindlicher Tagesbetreuung.
Kinder sind von Geburt an neugierig und suchen sozial-emotionale Kontakte nicht nur zu ihren Eltern, sondern auch zu anderen Erwachsenen und Kindern ihrer engsten Umgebung. Ihre Welt ist nicht egozentrisch und nicht auf einige wenige Personen bezogen. Kinder werden heute als Mitgestalter ihrer eigenen Entwicklung wahrgenommen, wofür sie eine anregungsreiche Umwelt mit vielfältigen Erfahrungsmöglichkeiten benötigen. Eine räumlich, materiell und personell gut ausgestattete sowie auf den Grundbedürfnissen von jungen Kindern aufgebaute Kindertageseinrichtung kann vielfältige Angebote für die Selbstentwicklung jedes Kindes bieten.
Befürchtungen, dass frühkindliche Tagesbetreuung die sozial-emotionale Entwicklung von Kindern im Vergleich mit den ausschließlich familiär betreuten Kindern beeinträchtigt, konnten durch empirische Untersuchungen nicht bestätigt werden. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass auch die Qualität der Mutter-Kind-Bindung nicht beeinträchtigt wurde.
Von einer prinzipiellen Gefährdung der seelischen, emotionalen oder körperlichen Entwicklung von Kindern in der frühkindlichen Tagesbetreuung kann nicht die Rede sein. In der Debatte über die Vorteile scheint der sozioökonomische Status der Familien eine gewisse Rolle zu spielen. Empirische Daten weisen darauf hin, dass Kinder aus bildungsnahen Familien weder Vornoch Nachteile aus der außerfamiliären Tagesbetreuung haben. Kinder aus bildungsfernen Familien oder aus Familien mit Risikobelastungen profitieren allerdings von einer frühen Betreuung hinsichtlich der sozial-emotionalen Entwicklung, Sprache und Kognition.
Eltern sollten ohne Ideologisierung professionelle Unterstützung in ihrer Entscheidung erfahren, ob sie ihr Kind zu Hause selbst betreuen wollen oder es vorziehen, ihr Kind einer geteilten Betreuung mit hoher Qualität teilhaben zu lassen.