Bislang wurde die Qualitätsinitiative, also der „qualitative Ausbau“ der Betreuung unter Dreijähriger, vom „quantitativen Ausbau“ überschattet. Verständlich, da allein schon der Bund für die Schaffung neuer Einrichtungen und Gruppen innerhalb bestehender Kitas bereits über fünf Milliarden Euro zahlt.
Ein qualitativer Ausbau würde Bund, Länder und Kommunen ein Vielfaches davon kosten. Um nur die Personalsituation auf ein gutes Niveau zu heben, wären laut aktueller Hochrechnung der Bertelsmann Stiftung 120.000 Erzieherinnen zusätzlich erforderlich (vgl. Bertelsmann Stiftung). Hinzu kämen enorme Kosten für mehr und besser ausgestattete Räumlichkeiten, für die Freistellung von Leitungen, für mehr Verfügungszeit der Fachkräfte und für Qualifizierungsmaßnahmen der Teams.
Ursachen für unzureichende Qualität
Tatsächlich ist die Qualität der Krippengruppen und insbesondere der altersgemischten Gruppen mit Kindern unter drei Jahren meist nur mittelmäßig, zu einem geringen Prozentsatz gut und in 12% bzw. 18% der untersuchten Gruppen sogar unzureichend. So lautet ein alarmierendes Ergebnis der ersten Nationalen Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK), erhoben an etwa 570 deutschen außerfamiliären Betreuungssettings. Eine Ursache liegt in dem Konstruktionsfehler des föderalen deutschen Bildungssystems. Zahlungsstärkere Bundesländer leisten sich bessere Standards und Richtlinien, zahlungsschwache Bundesländer verankern in ihren Richtlinien nur das Allernötigste. Die stark divergierenden Regelungen führen in der Praxis zu einem bundesweiten Qualitätsgefälle: In Bremen z.B. ist eine Erzieherin in der Krippe durchschnittlich für drei Kinder zuständig, in Sachsen- Anhalt hingegen für mehr als sechs. Aber auch wohlhabende Bundesländer verzichten bisweilen - getrieben vom Ausbauzwang - ganz auf die Regelung bestimmter struktureller Qualitätsaspekte. So gibt etwa Bayern keine Mindestquadratmeterzahl an Gruppenraumfläche für ein Kind unter 3 Jahren in außerhäuslicher Betreuung vor, um dem Ausbau weniger Hürden in den Weg zu stellen. Wissenschaftler, Trägerverbände, GEW und andere Organisationen fordern schon lange hohe, einheitliche Qualitätsstandards, die in einem Bundes-Kitagesetz verankert werden sollen. Die Forderung ist zwar mittlerweile im Bundesfamilienministerium angekommen, wurde dort auf Inhalte und Finanzierbarkeit überprüft, aber dann von Ministerin Schwesig aus Kostengründen erst einmal auf Eis gelegt.
Mangelhafte Strukturen sind aber nur die halbe Wahrheit, wenn es um die bislang noch oft unzureichende Qualität im Krippenalltag geht. Pädagogisches Geschick der Fachkraft, ihr Wissen um entwicklungsgemäße Begleitung dieser Altersgruppe, ihre pädagogische Haltung und das Teamklima sind weitere elementare Ansatzpunkte für verbesserte Interaktionsqualität zwischen Erzieherin und Kind: Werden Wickel-, Hygiene-, Ruhe- und Essenssituationen für den Beziehungsaufbau mit und zwischen den Kindern und für sprachbegleitende Handlungen genutzt? Ist der Umgang mit den Kindern achtsam und nimmt kindliche Autonomie- und Teilhabebedürfnisse wahr? Wird Inklusion in der ganzen Bandbreite an Verschiedenheit in den Blick genommen, also nicht nur spezielle körperliche oder geistige Bedarfe, sondern unterschiedliche Kulturen, familiäre Hintergründe, Alter, Entwicklungsstand, Geschlecht usw.? Und wird diese Diversität bei der Raum- und Interaktionsgestaltung und Anregungsvielfalt berücksichtigt? Um solch anspruchsvolle Prozessqualität zu etablieren, sind langfristige Teambegleitungen notwendig, bei denen mit Echtbeobachtung im Alltagsgeschehen durch geschulte Experten immer wieder vorhandene Ressourcen und Ausbaupotenziale überprüft werden müssen.
Positive Entwicklungen
Die Qualitätsentwicklung im Bereich frühester Pädagogik für Kinder in den ersten drei Jahren zeigt aber nicht nur bedenkliche Tendenzen und große Baustellen auf. Einiges hat sich auf inhaltlicher und konzeptioneller Ebene vielversprechend weiterentwickelt. Inzwischen existieren ein umfangreiches Fortbildungsangebot und trägereigene Weiterqualifikationsmaßnahmen für den U3-Bereich. Viele Fachtagungen fokussieren den frühen Entwicklungsbereich als Kernthema. Experten aus Praxis, Fachberatung und Forschung haben sich in einem bundesweiten, höchst aktiven Netzwerk zusammengefunden. Neue Aus- und Weiterbildungscurricula wurden konzipiert, z.B. durch die „Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF)“. Neue kindheitspädagogische Studiengänge wurden geschaffen, die die Kinder in den ersten drei Jahren endlich verstärkt in den Blick nehmen. Krippenpädagogische Hand- und Fachbücher repräsentieren das gestiegene Interesse und den theoretischen Zugewinn an pädagogischen Zugängen und Konzepten. Sie belegen die Weiterentwicklung durch fachliche Bausteine wie geeignete Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren, Raumkonzepte und erweiterte Eingewöhnungskonzepte für diese Altersgruppe. Das Wissen um eine professionelle und entwicklungsgemäße Begleitung außer Haus wächst und zeigt eine zunehmend klarere Zielperspektive von Krippe als Bildungseinrichtung für Kinder in den ersten drei Lebensjahren. Die Bildungspläne einiger Länder wurden mittlerweile für diese anfänglich kaum oder gar nicht mitgedachte Altersgruppe erweitert oder um Handreichungen für U3-Kinder ergänzt.
Es gibt also Bemühungen verschiedenster Art, die Bedürfnisse von Kindern unter 3 zu berücksichtigen, sowie konzeptionelle Einzelbausteine für die verschiedenen Bereiche. Nichtsdestotrotz existieren keine verbindlichen, einheitlichen Standards zur Entwicklung von Qualität und keine ausreichenden Systeme zu deren Sicherung. So bleibt es letztlich den Trägern und Kommunen überlassen, entweder ihre Einrichtungen zu echten Bildungsinstitutionen für Kinder unter drei Jahren weiterzuentwickeln und Team und Leitung räumlich, personell und konzeptionell gut aufzustellen oder aber sie lediglich mit dem Nötigsten auszustatten, sodass nicht mehr als simple Betreuung übrigbleibt.
Papier ist geduldig, das gilt auch für die Bildungspläne. Solange die Absichtserklärungen unverbindlich bleiben und nicht wie etwa in Berlin durch externe und interne Evaluation auf ihre Umsetzung hin überprüft werden, bleibt die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit in der pädagogischen Qualität für U3-Kinder bestehen.