Was bisher in Deutschland nur ganz vereinzelt angeboten wird, soll es nach dem Willen der Ministerin künftig bundesweit in größerem Umfang geben: Betreuungszeiten rund um die Uhr. Damit sollen vor allem solche Eltern unterstützt werden, die im Spät- oder Schichtdienst arbeiten und auf die Betreuung ihrer Kinder in den Abend- und Nachtstunden angewiesen sind.
Maximale Obergrenzen bleiben
Konkret soll es jedoch nicht darum gehen, dass ein Kind insgesamt länger oder sogar rund um die Uhr in der Kita betreut wird, sondern flexibler, d. h. zu anderen Zeiten. Bisherige Obergrenzen von acht bis zehn Stunden sollen also auch mit den neuen Betreuungsangeboten nicht überschritten werden. Das Horror-Szenario einer quasi sozialistisch verordneten Endlosbetreuung von Kindern, das von den Gegnern an die Wand gemalt wird, entbehrt also bei genauerem Hinsehen einer ernsthaften Grundlage. Dennoch werden 24-Stunden-Einrichtungen kontrollieren müssen, dass Eltern das neue Angebot nicht dazu nutzen, ihr Kind bequem und über den wirklichen Bedarf hinaus in der Kita betreuen zu lassen.
Das Vorhaben des Ministeriums
Vorgesehen ist, dass im Zeitraum 2016 bis 2018 vom Bundesfamilienministerium insgesamt 300 Projekte zum Ausbau von 24-Stunden-Angeboten finanziell gefördert werden. Das Geld hierfür stammt aus zusätzlichen Investitionsmitteln des Bundes. Schon jetzt scheint das Interesse ausgesprochen groß zu sein, wie zahlreiche Anfragen belegen. An eine flächendeckende Versorgung ist allerdings nicht gedacht, sondern nur an zusätzliche Angebote. Immerhin gibt es auch erste Beispiele dafür, dass 24-Stunden-Kitas mit Übernachtungsbetrieb nicht „funktionieren“ wie etwa eine Einrichtung in Berlin, weil sich das Angebot nach Angaben des Trägers finanziell nicht gerechnet habe. Hinzu kommt, dass sich die Arbeitszeiten der Kita-Fachkräfte, die meistens selbst Familie haben, nicht ohne Weiteres entsprechend organisieren lassen werden.
Zweifellos will die Familienministerin mit ihrem Vorstoß einen zusätzlichen Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf leisten. Doch werfen ihr Kritiker vor, die Bedürfnisse der Familien und vor allem der Kinder allzu unkritisch den Interessen der Wirtschaft unterzuordnen. Fachlicher Konsens dürfte wohl darüber bestehen, dass sich nicht die Kinder dem Arbeitsmarkt anzupassen haben, sondern umgekehrt. Insofern haben also Kinder gleichermaßen Anspruch auf eine entsprechende Lobby für ihre Interessen. Zudem darf ein Angebot von 24-Stunden-Kitas nicht dazu führen, dass sich der Druck auf Familien erhöht, dieses auf jeden Fall zu nutzen.
Der größere Kontext
Ganz offensichtlich aber trägt die Bundesfamilienministerin mit ihrem neuen Förderprogramm in erster Linie den faktischen Gegebenheiten Rechnung, um so den betroffenen Eltern Erleichterung zu verschaffen. Andererseits arbeitet Manuela Schwesig schon seit Längerem daran, in puncto Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch die Arbeitgeber stärker in die Pflicht zu nehmen. Vor allem im Unternehmensprogramm „Erfolgsfaktor Familie“ setzt sich ihr Ministerium zusammen mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft und dem DGB dafür ein, familienbewusste Personalpolitik zu praktizieren und Familienfreundlichkeit zum Markenzeichen der deutschen Wirtschaft zu machen. Angesichts des schon länger prognostizierten Fachkräftemangels, der Deutschland in den kommenden Jahren und Jahrzehnten drohe, ist das Engagement der Arbeitgeber in diesem Bereich deshalb auch nicht uneigennützig.
Breite Unterstützung
Dass sich anfänglich angemeldete pädagogische Bedenken bislang in dieser Form nicht erfüllt haben, zeigen die Erfahrungen, die schon bestehende 24-Stunden-Kitas bereits mit ihrem Betreuungsangebot gemacht haben. So erhält die Familienministerin Rückendeckung für ihre Pläne nicht nur von der eigenen Partei, sondern auch vom Koalitionspartner CDU, zumal „Ganztagsbetreuung in Kindertageseinrichtungen“ im gemeinsamen Koalitionsvertrag als Ziel formuliert ist. Einzig die Schwesterpartei CSU kann sich mit dem Vorhaben aktuell (noch) nicht anfreunden.