Nach der Einführung von PiA wurde schnell klar, dass es sich um ein attraktives Ausbildungsmodell handelt, das auch bei Menschen, die den Erzieher/-innen-Beruf bisher nicht im Blick hatten, auf großes Interesse stößt. Das führte dazu, dass sich bei baden-württembergischen Ausbildungsstätten Interessent(inn)en aus dem ganzen Bundesgebiet auf einen PiA-Ausbildungsplatz bewarben. Doch was ist das Besondere an dieser Ausbildung? Nach mehr als vierjähriger Erfahrung in Baden-Württemberg und ersten Erfahrungen in anderen Bundesländern ist eine Bestandsaufnahme angebracht. Wegen der engen Verbindung der Ausbildungsorte Schule und Praxis stellt sich in den Bundesländern und Regionen, die die praxisintegrierte Ausbildung anbieten, für jede Einrichtung, ihren Träger und das Team die Frage, was an Chancen, Überlegungen zum Personaleinsatz, Anleitungsaufgaben etc. mit einem PiA-Ausbildungsplatz verbunden ist. Deshalb wird im Folgenden dargestellt, für wen PiA gedacht und wie die Ausbildung strukturiert ist – gerade auch im Unterschied zur herkömmlichen Erzieher/-innen- Ausbildung. Und es geht um die Frage, was PiA den Beteiligten bringt und was sie ihnen abverlangt: den Trägern, anleitenden Fachkräften, den Fachschulen und Fachakademien und natürlich den Auszubildenden.
Ziel von PiA und Maßnahmen zur Umsetzung
„Ziel ist es, zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen und gleichzeitig zusätzliche Zielgruppen für die Erzieher/-innen-Ausbildung zu gewinnen.“1 Zu diesem Zweck wurde eine Ausbildungsform mit Vergütung entwickelt:
- Baden-Württemberg/Bayern: € 888,– bis € 984,– monatlich je nach Ausbildungsjahr (Stand 2016) in Anlehnung an die Ausbildungsvergütung Verwaltungsfachangestellter.
- NRW: € 350,– bis € 500,–, z.T. bis € 1.100,– je nach Träger, Region und Ausbildungsjahr (Entgeltgruppe für Praktikant[inn]en). Zur Umsetzung des Ausbildungsmodells wurden folgende Maßnahmen durchgeführt:
Neuorganisation von Unterrichts- und Praxiszeiten: Die Praxiszeit der herkömmlichen Erzieher/-innen-Ausbildung einschließlich Berufspraktikum ist gleichmäßig in die drei Ausbildungsjahre integriert (daher der Name), ebenso die Unterrichtszeit: Sie wurde von zwei Fachschuljahren auf drei Jahre aufgeteilt. Es handelt sich also nicht um eine verkürzte oder reduzierte Ausbildung. Lehrplaninhalte und Stundentafel entsprechen der herkömmlichen Fachschulausbildung.
Kooperation zwischen Fachschule und Träger sozialpädagogischer Einrichtungen: PiA funktioniert nur, wenn ein Schul- und ein Praxisplatz vorliegen. Trotz der Nähe zu dualen Ausbildungsformen handelt es sich jedoch nicht um eine solche im Sinne des Berufsbildungsgesetzes. Denn die Gesamtverantwortung bleibt bei der Fachschule.
Regelmäßiger Wechsel von Schul- und Praxistagen bzw. -wochen: Der Unterricht erfolgt i.d.R. an drei Tagen pro Woche, die restlichen Tage einschließlich Schulferien sind Praxiszeiten (abzüglich des gesetzlichen Urlaubsanspruchs).
Erweiterung der Zugangsvoraussetzungen: Alle Abschlüsse, die zur Aufnahme in die dreijährige FSP berechtigen, ermöglichen auch den Zugang zu PiA. Darüber hinaus gibt es weitere Zugangsmöglichkeiten vor allem für Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung anderer Bereiche. Liegt keine einschlägige berufliche Vorerfahrung vor, wird ein Praktikum in einer sozialpädagogischen Einrichtung verlangt (240 bis 900 Stunden – je nach Bundesland)
Bisherige Erfahrungen mit PiA2
Das Ziel, neue Personengruppen für die Erzieher/- innen-Ausbildung zu gewinnen, wurde erreicht: Die Zahl der Absolvent(inn) en stieg durch die praxisintegrierte Form um etwa 30%. Mehr als ein Viertel der PiA-Auszubildenden ist älter als 26 Jahre und bringt häufig Abitur, z.T. auch Hochschulabschlüsse oder eine Berufsausbildung mit. Der Männeranteil liegt mit ca. 15% um 5% über dem der herkömmlichen Ausbildung. Die mit Einführung von PiA bestehende Sorge um die Ausbildungsqualität hat sich nicht bestätigt. Der Evaluationsbericht des baden-württembergischen Kultusministeriums stellt fest, dass die Auszubildenden, Lehrkräfte und Träger das Konzept durchschnittlich mit der Note 2,0, die Praxisanleiter/-innen mit 2,6 bewerten. 84% der befragten Lehrkräfte und 69% der Praxisanleiter/-innen bejahen die Frage nach einer Verbesserung der Ausbildungsqualität durch PiA.3
Chancen und Herausforderungen
Den folgenden Ausführungen liegen die Erfahrungen mit PiA in Baden-Württemberg zugrunde:
Für die Auszubildenden: Zwei Faktoren sind hier vor allem zu nennen: Zum einen erleichtert das bezahlte Ausbildungsverhältnis besonders denjenigen die Entscheidung für PiA, die einen eigenen Haushalt zu finanzieren haben. Für die einen knüpft das Modell an vorhandene Arbeitnehmererfahrungen an, für die anderen ist es gerade nach langer Schulzeit attraktiv. Zum anderen begünstigt die enge Theorie-Praxis-Verzahnung, also der regelmäßige Wechsel zwischen den beiden Lernorten Schule und Praxis, die Anwendung des in Theorie Gelernten und schafft ein hohes Aufmerksamkeitspotential in der Fachschule. An beiden Lernorten wird kritisch geprüft, ob die Theorie umsetzbar ist und die Praxis den fachlichen Ansprüchen genügt. Um die Anforderungen beider Ausbildungsorte gut zu bewältigen, müssen die Auszubildenden belastbar und gut organisiert sein.
Für die Schule: Fachschulen arbeiten schon immer eng mit Praxisstellen zusammen, neu ist bei PiA die intensive Zusammenarbeit direkt mit den Trägern, die in Baden-Württemberg in einer Kooperationsvereinbarung formuliert ist und Rechte bzw. Pflichten beider Ausbildungsorte festhält. Träger sind nicht mehr nur „Abnehmer“ ausgebildeter Erzieher/-innen, sondern Ausbildungspartner. Für die Schulen ist das Gewinn und Verpflichtung zugleich: Die unterschiedlichen Perspektiven/Interessen sind abzugleichen und Lösungen zu finden. Dazu veranstaltet etwa die Ev. Fachschule für Sozialpädagogik Stuttgart jährliche Trägertreffen, bei denen aktuelle Themen und Probleme der Ausbildungsgestaltung und Kooperation besprochen werden können. So wurde beispielsweise vereinbart, dass die Praxistage während der Ausbildung nicht immer an denselben Wochentagen liegen, sondern gewechselt werden, um den Auszubildenden die Teilnahme an feststehenden Terminen (Teamsitzungen, Waldtage etc.) zu ermöglichen. Oder es wurde überlegt, wie den Auszubildenden Zeiten zur Prüfungsvorbereitung gegeben werden können. Die Bandbreite schulischer, auch akademischer Vorbildung und beruflicher Vorerfahrung erfordert den differenzierten Blick auf die Lerngruppe sowie erwachsenenpädagogische Unterrichtsmethoden. Zudem sind die Auszubildenden in unterschiedlichen Arbeitsfeldern eingesetzt, die bei den theoretischen Inhalten ebenfalls mitzudenken sind. Es hat sich gezeigt, dass sich die Vielfalt in Vorbildung, Leistungsstärke, Lebensalter und Erfahrung eher positiv auf Motivation und Leistungsbereitschaft der Auszubildenden auswirkt.
Für Praxis und Anleitung: Nach dem baden-württembergischen Modell kann eine Praktikantin drei Jahre lang in derselben Tageseinrichtung arbeiten – mit Ausnahme des sogenannten Fremdpraktikums. So ist die Thematisierung der Ausbildungsform für das ganze Team wichtig: Was bedeutet eine PiA-Praktikantin für die Einrichtung? Das Team erlebt, dass sich ihre Kompetenzen über drei Jahre ständig erweitern und ihr zunehmend mehr Verantwortung übertragen werden kann. Abläufe und konzeptionelle Ansätze werden von ihr übernommen und angewendet. Die Mühe der Einarbeitung lohnt sich also. Natürlich spielen auch persönliche Voraussetzungen eine Rolle: Bringt die/der Auszubildende Erfahrungen aus sozialpädagogischen Arbeitsfeldern mit und ist selbstständiges Arbeiten gewohnt? Oder ist dies die erste Berufsausbildung? Das Team hat die Aufgabe, der/dem Auszubildenden zunehmend mehr zuzutrauen. Gleichzeitig ist es eine Gratwanderung zwischen Erwartungen an sie/ihn und Berücksichtigung des Ausbildungsstatus. Besonders deutlich wird dies im dritten Ausbildungsjahr: Ausgerechnet wenn die/der Auszubildende viel Handlungskompetenz einbringen könnte, sind die Anforderungen in der Fachschule aufgrund von Prüfungen am höchsten. Das unterscheidet PiA-Praktikant(inn)en von Berufspraktikant(inn)en, die die schulischen Prüfungen schon hinter sich haben. Am Lernort Praxis kommt der Anleitung auch bei PiA eine wichtige Rolle zu, jedoch ist hier von Anfang an die gesamte Ausbildungsdauer in den Blick zu nehmen. Es gilt also, genau zu überlegen und in einem individuellen Ausbildungsplan festzuhalten, was in jedem Jahr erwartet werden kann und wie die Anforderungen in der Einrichtung gestaltet sein sollen. Da die Anleitung während der Fremdpraktika bei anderen Fachkräften liegt, ist es wichtig, diese Phasen in die Gesamtplanung mit einzubeziehen und die Übergabe entsprechend zu gestalten. Anleiter/-innen werden in den drei Jahren wesentlich stärker zu Ausbildungsbegleiter(inne)n als in der herkömmlichen Ausbildung. Ihre Position wird aufgewertet, gerade auch in der Zusammenarbeit mit den Fachschulen. Der enge Kontakt mit der Fachschule intensiviert die Partnerschaft zwischen Anleiter(inne)n und Lehrkräften. Dies braucht jedoch auch zeitliche Freiräume und Qualifizierungsmaßnahmen. Baden-Württemberg bietet eine Zusatzqualifikation an4, ebenso haben einzelne Fachschulen Mentor(inn)en-Qualifikationsprogramme entwickelt.5
Für den Träger: Im Vergleich zur herkömmlichen Ausbildung bringt PiA dem Träger zusätzliche Aufgaben und Herausforderungen. Die Beschäftigung von PiA-Auszubildenden stellt eine finanzielle Belastung dar, was zumindest in Baden- Württemberg zu einem Stadt-Land-Gefälle beim Angebot solcher Ausbildungsstellen führt. Bei ohnehin knappen Mitteln erscheint es zunächst nachvollziehbar, dass nicht in eine neue Ausbildungsform investiert wird, wenn vorhandene Stellen auch so besetzt werden können (vor allem im ländlichen Raum). Die Kooperation mit Fachschulen und -akademien ist aufwändiger, angefangen bei der Personalauswahl für PiA-Stellen, da diese an einen Schulplatz geknüpft sind. Ausbildungskonzeption und -organisation sind mehrfach abzusprechen, da die Träger meist mit mehreren Fachschulen mit je eigenem Ausbildungskonzept zusammenarbeiten. Und was haben die Träger davon? Träger vor allem in Städten mit hohem Bedarf an Betreuungsplätzen haben PiA rasch als erfolgreiches Instrument der Personalplanung erkannt und nutzen es auch so. Mit PiA-Stellen will man eigenen Nachwuchs ausbilden, der bei der anschließenden Übernahme bereits mit der trägerspezifischen Konzeption vertraut ist. Im Laufe der Ausbildung kann also eine Bindung an den Träger gelingen, wenn der sich als attraktiver Arbeitgeber zeigt. Dazu trägt bei, wenn der Träger seine Rolle als Ausbildungspartner bewusst wahrnimmt bzw. wahrnehmen kann. Etwa indem er auf die Anrechnung der Auszubildenden auf den Personalschlüssel ganz oder anteilig verzichtet und so Freiräume für Auszubildende und Anleitende schafft und indem Letztere für Qualifizierungsmaßnahmen freigestellt werden. Da Träger und Fachschulen über die Kooperationsvereinbarung zu Vertragspartnern werden, eröffnet sich dem Träger auch die Möglichkeit, an der Fachschulausbildung mitzuwirken, z.B. durch Rückmeldungen bei jährlichen Treffen oder umgekehrt, indem die Träger die kooperierenden Fachschulen über das eigene Konzept informieren.
Resümee und Ausblick
Die praxisintegrierte Ausbildung – so die Erfahrung in Baden-Württemberg – ist ein Gewinn für alle Beteiligten. Dass das Modell zukunftsfähig ist, zeigt die Ausbreitung auch in andere Bundesländer, die es ihren eigenen Strukturen der Erzieher/-innen-Ausbildung anpassen. Baden-Württemberg will die Ausbildung auch noch für weitere Zielgruppen attraktiv machen, für die die bisherige Vergütung nicht ausreicht. Weitere Herausforderungen warten auf eine Lösung: Wie gelingt die Finanzierung der Ausbildung, ohne dass die Auszubildenden auf den Stellenplan angerechnet werden müssen? In welchem Umfang können Anleitende freigestellt werden? Wie können auch für Träger im ländlichen Raum Anreize zur Einrichtung von PiA-Praxisstellen geschaffen werden? Und welche tariflichen Möglichkeiten gibt es, Erzieher/-innen, die die staatliche Anerkennung im Rahmen von PiA erworben haben, bei der Einstellung genauso einzustufen wie solche, die nach dem Berufspraktikum ihre erste Stelle antreten? Es lohnt sich, Antworten auf diese Fragen zu finden. Denn PiA bleibt sicher noch länger attraktiv und wichtig. Werden weitere Betreuungsangebote geschaffen und der Personalschlüssel verbessert, bleibt der Personalengpass an Fachkräften bestehen.6 Es ist deshalb unverzichtbar, weiterhin unterschiedliche Ausbildungsformen für die verschiedenen Zielgruppen anzubieten.
Durch den kontinuierlichen Wechsel von Unterrichts- und Praxistagen gelingt es gut, schulisches Wissen in der Praxis zu überprüfen und umgekehrt eigene praktische Erfahrungen im Unterricht mit Hilfe von Theorie zu reflektieren. Die Motivation, die eigene pädagogische Arbeit zu verstehen und Wissen anzuwenden, erlebe ich als hoch. Mir macht es deshalb große Freude, in der praxisintegrierten Ausbildungsform zu unterrichten. Regine Böhm, Lehrkraft Evang. FSP Stuttgart
Vor PiA habe ich Germanistik in der Ukraine studiert und bin Deutschlehrerin von Beruf. Im Vergleich zu meinem Studium hat PiA viel mehr Praxis, was mir besonders an diesem Modell gefällt. So kann man seinen Beruf von allen Seiten besser kennenlernen und alles gleich umsetzen, was man in der Schule gelernt hat. Das gibt mir ein Gefühl der Sicherheit, für meinen zukünftigen Beruf als Erzieherin gut vorbereitet zu sein. Oleksandra Erkert, PiA-Auszubildende Evang. FSP Stuttgart
Ich sehe in der PiA-Ausbildung viele Chancen, z.B. die einer engeren Verzahnung von Theorie und Praxis, wovon beide Seiten profitieren. Sowohl die PiA-Auszubildenden als auch der Träger können sich über drei Jahre gut kennenlernen. Es hat sich gezeigt, dass so eine starke Trägerbindung entstanden ist und der überwiegende Teil der Absolvent(inn)en als befähigte Fachkräfte gewonnen werden konnte. Vereinzelt wurde die erhöhte Komplexität belastend empfunden und manche wünschen sich als Erprobungsphase noch ein Anerkennungsjahr ... Doch das Fazit insgesamt: ein bewährtes Modell! Monika Burkhardt, Trägervertreterin, Jugendamt Stuttgart
Ich habe für mich die PiA-Ausbildung als Chance für den beruflichen Wiedereinstieg gesehen. Besonders wichtig war für mich, dass ich gleichzeitig lernen und zum Lebensunterhalt meiner Familie beitragen kann. Die größte Herausforderung war für mich, Schule und Familie zu vereinbaren. Lidia Drozd-Stache, Studierende im zweiten Jahr, Evang. FSP Stuttgart
PiA ist eine gute Idee, insbesondere zur Fachkräftegewinnung. Gut ist auch, dass mit einem kurzen Vorlauf vor Jahren mutig gestartet wurde. Ein Zurücklehnen darf es dennoch nicht geben, denn nicht alles ist so gut, wie es oftmals in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Die PiA-Auszubildenden lösen nicht die Probleme des Fachkräftemangels. Diese Form der Ausbildung stellt uns vor neue Herausforderungen. Neben den Teilzeitkräften müssen nun auch noch PiAs mit ihrer tageweisen Anwesenheit in einen Dienstplan integriert werden. Weiterhin geht es um Fragen wie Einarbeitung, Kontinuität pädagogischer Prozesse, Informationsfluss, Beteiligungsmöglichkeiten und im Hinblick auf die Kinder vor allem um Beziehungsaufbau. Michael Walter, Leiter Kinderhaus Regenbogen, Stuttgart