Der Ursprung der Idee
In unserer Einrichtung beziehungsweise in unserem Garten können die Kinder viel mit verschiedenen Materialien arbeiten. Dazu gehören beispielsweise Stöcke, Stangen, Hölzer und Bretter. Die Kinder kommen auf die Idee, sich damit unterschiedliche Wippen zu bauen, unter anderem auch auf der Schaukel. Leon, 6 Jahre, ist besonders begeistert und bringt seinen Wunsch nach einer „richtigen“ Wippe für den Garten in einer Kinderkonferenz im Herbst 2013 ein. Begeistert stimmen viele Kinder zu.
Viele Überlegungen im Vorfeld
Nun steht die Frage im Raum: „Wie können wir diesen Wunsch umsetzen?“ Bei einer gemeinsamen Gartenbegehung überlegen wir, wo eine Wippe stehen könnte. Ein Standort ist schnell gefunden, nachdem die Vorüberlegungen besprochen sind, nämlich wie viel Platz die Wippe braucht beziehungsweise wie groß sie sein soll. Die Kinder messen den möglichen Platz mit Zollstöcken aus. Wir überlegen außerdem, welche Zufahrtswege nicht blockiert werden dürfen, beispielsweise für den Lkw bei einem Sandwechsel. Wir prüfen auch die Bodenbeschaffenheit, da wir sehr steinigen Boden haben. Schaffen wir es selbst, die Löcher auszugraben, oder muss ein Bagger diese Arbeit übernehmen?
Es ergeben sich noch mehr Fragen: Wie soll die Wippe aussehen? Aus welchem Material soll sie sein – Holz, Metall oder Kunststoff? Laura, 5;5 Jahre, erklärt sich bereit, in Katalogen nach Wippen zu schauen. Die Kinder finden heraus, dass Wippen für zwei Kinder und Wippen für vier Kinder angeboten werden. Und wir haben einen Kostenpunkt: circa 1.000 Euro. Eine Riesensumme!
Woher kommt das Geld (1)?
Die Kinder haben viele Ideen. Eine: von der Bank! Doch leider haben wir kein Konto bei der Bank. Die Kinder bringen ihr erspartes Geld ins Gespräch – allerdings sollen die Erzieherinnen auch ihr Geld dazugeben. Diese halten das aber für keine gute Idee. Lil, 6 Jahre, sagt: „Es gibt reiche Leute, die könnten wir fragen, ob sie was abgeben. Der Mann, der Opas Haus gekauft hat, ist sehr reich, den kann ich fragen!“ Dadurch kommen die Kinder auf die Idee, alle Großeltern zu fragen: Welche Oma, welcher Opa könnte etwas abgeben? Im Verlauf der Gespräche entsteht eine weitere Idee: Wir verdienen uns das Geld! Wir können Plätzchen backen und sie verkaufen. Die Kinder kennen „Verkaufen“ schon aus früheren Projekten. Sie haben zum Beispiel in der Herbstzeit selbst gemachtes Pflaumenmus verkauft. Einige Kinder wollen gern mit Holz und Papier arbeiten und die gefertigten Sachen ebenfalls verkaufen. Viele Gedanken machen sich die Kinder um die Verkaufsstelle. Wo kommen die meisten Menschen vorbei und wie können wir sie auf uns aufmerksam machen? Janek, 6 Jahre, macht folgenden Vorschlag: „Wir müssen dort verkaufen, wo die meisten ‚Abholmenschen‘ vorbeikommen.“ Im Flur bauen die Kinder einen Verkaufsstand auf. Als Werbung malen sie Plakate und werden beim Schreiben durch die Erzieherinnen unterstützt. Beim Plätzchenbacken probieren wir verschiedene Rezepte aus. Eltern und Großeltern steuern Teig oder Plätzchen für den Verkauf bei. Die Plätzchen verpacken die Kinder in Tüten und verzieren sie, um sie dann eigenständig zu bestimmten Zeiten zu verkaufen. Der Umgang mit Geld fordert sie heraus: Wie sehen zum Beispiel 50 Cent, ein Euro oder zwei Euro aus? Wie viel muss ich rausgeben, wenn ich zum Beispiel einen 5-Euro-Schein bekomme? Immer wieder zählen wir das eingenommene Geld, aber der Weg zu den 1.000 Euro ist noch sehr weit.
Woher kommt das Geld (2)?
In unserer Einrichtung frühstücken wir freitags immer gemeinsam, das heißt, wir richten mit den Kindern zusammen das Frühstück für alle her. Oft gibt es ein Büfett, an dem sich jede/-r bedienen kann. Die Eltern sehen morgens unser schönes Frühstück und manche würden gerne bleiben und mitfrühstücken. Deshalb überlegen wir, die Eltern zu einem Elternfrühstück einzuladen. Von den Kindern kommt die Idee, sich das Frühstück von den Eltern bezahlen zu lassen. Wenn man im Café frühstückt, muss man ja auch dafür bezahlen! Eine Spendenbox soll aufgestellt werden, in die die Eltern das Geld hineinwerfen können. Michel, 4;5 Jahre, baut dafür ganz allein zu Hause eine Spendenbox und sammelt schon einmal Geld in seiner Nachbarschaft. Doch das Geld reicht auch nach dem Elternfrühstück noch lange nicht, und in der nächsten Kinderkonferenz geht es wieder um das Thema: Wen könnten wir noch nach Geld fragen? Leon kommt auf die Idee, den Bürgermeister zu fragen. Während des Gesprächs stellt sich heraus, dass er den Ortsvorsteher meint. Dieser hat einen engen Bezug zu unserem Kindergarten und folgt prompt der Einladung zu einer Kinderkonferenz. Als er von den Kindern erfährt, mit welcher Freude und welchem Eifer sie an ihrem Projekt arbeiten, spendet auch er spontan einen Geldbetrag. Die Eltern beschließen, auch einen Teil der Kosten zu übernehmen. Das alles macht uns mutiger und unser Ziel rückt immer näher.
Die nächste Hürde nehmen
Ein Spielgerät darf nicht ohne die Erlaubnis des Trägers in den Garten gebaut werden. Nachdem wir die Kinder über diese Tatsache informiert haben, kommen bei ihnen die folgenden Fragen auf: Wen müssen wir fragen? Wer ist dafür zuständig? Nachdem wir im Büro auf unserer Telefonliste der Verwaltung den zuständigen Fachdienst ausfindig gemacht und eine Telefonnummer abgeschrieben haben, erklären sich drei Kinder bereit, das Telefongespräch mit Frau M. vom Amt für Grünflächen zu führen. Sie überlegen sich vorher, was sie sagen wollen, wählen und stellen den Lautsprecher an, während sie Frau M. von ihrem Vorhaben erzählen. Sie laden Frau M. zu einer Kinderkonferenz ein und sie sagt zu! Die Terminabsprache übernehme ich. Als Frau M. zur Kinderkonferenz erscheint, berichten die Kinder von ihrem Wippenwunsch und davon, was sie dafür bereits alles getan haben. Frau M. ist sehr begeistert und gibt das Einverständnis für das Aufstellen der Wippe. Und nicht nur das, sie hat auch noch verschiedene Prospekte dabei, damit wir da noch mal reinschauen können. Zudem hat sie sich überlegt, wie sie das Projekt noch unterstützen kann, und bietet an, die Bestellung der Wippe als Großabnehmer aufzugeben – so könnte sie noch kostengünstiger werden. Und dann kommt die Überraschung. Da wir bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht das ganze Geld erwirtschaftet haben, sagt sie: „Den Rest der Summe ergänzt der Fachdienst.“ Außerdem wird sie sich um die Beauftragung der Arbeiter, die die Wippe aufstellen werden, kümmern. So hat alles seine vorgeschriebene Ordnung und wieder sind wir einen entscheidenden Schritt in Richtung Wippe weiter. Hurra!!!
Die Zeit des Wartens
Nun müssen wir noch über das Motiv der Wippe entscheiden. In der Kinderkonferenz stimmen die Kinder ab und die Entscheidung fällt für eine Viererwippe mit einem Fischmotiv. Nach der Bestellung beginnt die Zeit des Wartens. Die Lieferung verzögert sich und da es mittlerweile schon Ende Februar/Anfang März ist, werden die ersten Kinder etwas ungeduldig. Die Schulanfänger/-innen sind der Meinung, dass sie auch noch ausreichend Zeit zum Wippen haben müssen. Verständlicherweise, denn gerade sie haben sehr engagiert an dem Projekt mitgearbeitet. Sie telefonieren noch mehrmals mit den Mitarbeiter(inne)n vom Bauhof, um nachzufragen, wann es endlich losgeht.
Es ist so weit – die neue Wippe kommt
Dann endlich erhalten wir den ersehnten Anruf und die neue Wippe wird geliefert. Die Kinder sind aufgeregt! Es kommt sogar ein kleiner Bagger zum Einsatz. Es gibt viel zu schauen und die Arbeiter müssen eine Menge Fragen beantworten. Die Kinder nutzen jede Chance, mitzuhelfen. Wir sind sehr stolz auf das neue Spielgerät und auf den zufriedenstellenden Verlauf dieses Partizipations- Projektes. Auch die Kinder spüren die Besonderheit.
Das Wippenfest kann gefeiert werden!
Die Kinder wissen, dass jedes Projekt bei uns in der Einrichtung mit einem kleinen Event endet, und in der nächsten Kinderkonferenz sagt Lil: „Wir müssen noch ein Wippenfest feiern!“ Ein Picknick auf dem Rasen – ganz in der Nähe der Wippe – soll es werden. Die Kinder überlegen, wen sie alles dazu einladen wollen. Alle, die am Projekt beteiligt waren und durch ihre Unterstützung geholfen haben, sollen kommen. Ich lege einen Termin fest und die Kinder entwerfen Einladungskarten, malen und schreiben. Die Gäste müssen beim Wippenfest begrüßt werden! Wer übernimmt das? Was sollen wir sagen? Spricht ein Kind oder sprechen mehrere? Die Begrüßungsrede teilen sich Leon, Lil und Janek untereinander auf. Danach singen alle gemeinsam ein selbst gedichtetes Wippenlied nach einer bekannten Melodie, das mit den Kindern entstanden ist. Dafür haben wir mit Reimwörtern gespielt und den Text dann zusammengestellt. Alle Beteiligten haben viel Spaß und das Wippen-Projekt endet mit einer großen Zufriedenheit.
Nachüberlegungen und Fazit
Das Projekt hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, Kinder bei Planungen, Entscheidungen und Durchführungen zu beteiligen, ihnen zuzuhören und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen. Aus einer für die Kinder bedeutsamen Spielsituation heraus hat sich ein Projekt entwickelt.
Wir sehen unsere Rolle als ermutigende und unterstützende Begleiterinnen. Wenn es notwendig wurde, haben wir den Kindern Telefonnummern herausgesucht, Kataloge zur Verfügung gestellt, sie bei Fragen beraten oder beim Rechnen unterstützt. Unsere Aufgabe war es auch, Absprachen, Ziele, Zuständigkeiten und Änderungen zu notieren, beispielsweise im Protokollbuch der Kinderkonferenz. Partizipation darf nicht nur eine Begrifflichkeit sein, sondern muss gelebt werden. Die Kinder lernen dabei unter anderem, ihre Bedürfnisse zu äußern, demokratische Entscheidungen zu akzeptieren, aber auch Eigeninitiative und Kreativität zu entwickeln.
Seit einer Teamfortbildung zum Thema Situationsansatz nimmt die Bedeutung der Partizipation in unserer täglichen Arbeit zu. Als Team fühlen wir uns in unserer Rolle, unserem Handeln und in unserer Haltung zum Kind bestätigt. Und lernen immer mehr, uns zurückzunehmen, Entscheidungen der Kinder zu akzeptieren und ihnen Verantwortung zu übergeben.
Die Kinderkonferenz
ist in der Kita Allnatal ein fest installiertes Instrument und bietet den Kindern die Möglichkeit, sich an Prozessen und Projekten zu beteiligen. Sie lernen dabei, entsprechend ihrem Entwicklungsstand Wünsche, Bedürfnisse und Meinungen zu äußern. Es werden gemeinsam Strategien entwickelt, Regeln verabredet, es wird nach Umsetzungsmöglichkeiten und nach Lösungen, zum Beispiel bei Konflikten, gesucht. Demokratische Entscheidungen verdeutlichen den Kindern, dass nicht immer der Wunsch des Einzelnen im Vordergrund steht, sondern es darauf ankommt, das gemeinsame Ziel zu erreichen.
Für Sie in den Bildungs-und Orientierungsplan geschaut
Unter Kooperation und Beteiligung steht: „Kinder haben ein Recht, an allen sie betreffenden Entscheidungen entsprechend ihrem Entwicklungsstand beteiligt zu werden. Beteiligung heißt, Kinder als Betroffene in Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen und ihnen ernsthaft Einflussnahme zuzugestehen. Kinderbeteiligung ist von zentraler Bedeutung für den Bestand von Demokratie. Die geschützte Öffentlichkeit der Kindertageseinrichtung bzw. der Schule ist ein ideales Lern- und Übungsfeld für gemeinsames und gemeinschaftliches Handeln, für das Einüben demokratischer Kompetenzen. Eingebettet in Alltagsbezüge ist sie demokratische, soziale und lebenspraktische Bildung und Erziehung zugleich. Sie ist auch politische Bildung insofern, als Kinder erfahren, wie öffentliches Leben in einer Demokratie funktioniert. Kinderbeteiligung bedeutet Mit- und Selbstbestimmung. Dem einzelnen Kind wird die Möglichkeit zur Gestaltung der eigenen Aktivitäten eingeräumt, soweit sich dies mit seinem und dem Wohl anderer vereinbaren lässt. Dabei können den Kindern eigene Verantwortungsbereiche übertragen werden. Sie lernen somit, Mitverantwortung zu übernehmen, und leisten zudem einen Beitrag zur Verbesserung kindlicher Lebensräume, indem sie als ‚Experten in eigener Sache‘ agieren.“
Hessisches Ministerium für Soziales und Integration/ Hessisches Kultusministerium (Hrsg.) (2016): Bildung von Anfang an. Bildungsund Erziehungsplan für Kinder von 0 bis 10 Jahren in Hessen. Wiesbaden: o.A., S. 106.