Kinder entwickeln ihre geschlechtliche Identität im Alter von 3 bis 6 Jahren. Während ihrer Entwicklung ahmen sie unterschiedliche soziale Identitäten nach, übernehmen hierbei Denkweisen und damit auch die gesellschaftlichen Bewertungen, z. B. Männer können nicht kochen, Frauen nichts reparieren. Sie zeigen Geschlechterdifferenzen deutlicher, denn das erleichtert ihnen die Zuordnung. Die Normen der Geschlechtszugehörigkeiten und Regeln der Geschlechterunterscheidung1 sind nicht angeboren, sie werden erst erlernt. Hierfür nutzen Kinder zunächst äußere Symbole, z. B. Kleidung, später dann Verhaltensweisen und Gefühlsäußerungen.
Insbesondere im Alter von 4 bis 5 Jahren zeigen Kinder verstärkt klischeehafte Vorstellungen von Weiblichkeit bzw. Männlichkeit. Wenn sich dabei jemand geschlechtsuntypisch verhält, wird er/sie darauf hingewiesen. Das zeigt, dass Kinder lernen, was als typisch weiblich oder typisch männlich gilt. Indem ein Verhaltensrepertoire und Regeln angeeignet werden, entsteht kategoriales Denken. Eine geschlechtstypische Erziehung könnte zur Folge haben, dass sich Kinder nicht als vollwertiges Individuum entwickeln können. Auch scheint es eher unwahrscheinlich, dass Kinder Fähigkeiten erlernen, die untypisch für ihr Geschlecht sind. Außerdem können Diskriminierung, Ausgrenzung, soziale Ungleichheit oder ein verringertes Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl Folgen einer geschlechtstypischen Erziehung sein.
Um eine genderbewusste Pädagogik in der Einrichtung zu implementieren, benötigen pädagogische Fachkräfte die Fähigkeit, Handlungskonzepte und Methoden zu entwickeln, bei denen Kinder vorurteilsbewusst und geschlechterreflektiert wahrgenommen werden. Wichtig ist, sich dabei an der Haltung einer sozialen Gerechtigkeit und der Inklusion zu orientieren. Dazu empfiehlt sich, im Team die Rahmenbedingungen kritisch unter die Lupe zu nehmen (siehe hierzu S. 32).
So gelingt die Umsetzung3
Wenn das Bewusstsein vorhanden ist, kann das Team damit beginnen, etwas zu verändern:
- In der Einrichtung sollten alle Familienformen und Geschlechtsidentitäten Platz finden und dargestellt werden. Das vermittelt Wertschätzung gegenüber den Familien und dem einzelnen Kind. Außerdem zeigt es ihnen, dass sie in der Einrichtung willkommen sind, fördert gleichzeitig aber auch die Toleranz gegenüber allen Familienformen und Geschlechtsidentitäten. Es können Eltern eingeladen werden, die von ihren geschlechtsuntypischen Berufen erzählen, z. B. eine Feuerwehrfrau.
- Die Räume sollten nicht nach geschlechtstypischen Bereichen geteilt werden, z. B. können Puppen und Autos zusammen auf einem Teppich Platz finden. Hierbei ist auch darauf zu achten, dass die Lernumgebung der Kinder möglichst keine Geschlechtsstereotype zeigt. Es sollte sowohl Platz fürs Toben als auch fürs Entspannen vorhanden sein.
- Bei den Spielmaterialien sollte darauf geachtet werden, dass diese geschlechtsneutral sind, z. B. Puppen, die weder Mädchen noch Junge darstellen, oder Spielzeug, das nicht rosa oder blau ist. Es sollten Bilderbücher bereitgestellt werden, die die Vielfalt von Familienformen und Geschlechtsidentitäten vermitteln, z. B. Familien mit zwei Müttern oder Vätern. Bücher mit stereotypen Inhalten können abgeändert werden, z. B. können Märchen in umgekehrter Rollenverteilung vorgelesen werden (Prinz wird von der Prinzessin gerettet). Außerdem sollten Bücher für die Erzieher*innen zur Verfügung stehen, die zur kritischen Auseinandersetzung mit Geschlechtsstereotypen und Vorurteilen anregen.
- Verhalten: Die Erzieher*innen sollten sich selbst und das Verhalten anderer reflektieren: Behandeln sie die Kinder gleich? Welche Verhaltensweisen werden von Mädchen und welche von Jungen mehr gefördert und welche werden unterbunden? Werden geschlechtstypische Äußerungen gemacht? Wie gehen sie selbst mit Gefühlen um? Werden auch geschlechtsuntypische Tätigkeiten ausgeführt? Wie ist der Umgang untereinander im Team? Wie ist der Umgang mit den Müttern und Vätern? Gibt es da Unterschiede? Wenn Kinder geschlechtstypisches Spielzeug in die Einrichtung mitbringen, kann das als Möglichkeit genutzt werden, um mit den Kindern über Geschlechterbilder zu sprechen.
Wie bei allen Konzepten gibt es natürlich auch an der genderbewussten Pädagogik Kritik: Einerseits besteht die Sorge, dass die Kinder in der Gesellschaft nicht zurechtkommen, da diese eben mehrgeschlechtlich67 ist und die Geschlechtsneutralität nur in der Einrichtung vorherrscht. Andererseits befürchten Kritiker*innen, dass Mädchen und Jungen ihre Identität nicht entwickeln können, da sie keine Vorgaben haben.