Arbeiten Menschen in einem Team, entwickeln sie aus ihren Verhaltensmustern und Charakterzügen ein individuelles Rollenverhalten. Im Idealfall können sie sich mit ihrem Rollenverhalten und den damit verbundenen Stärken und Schwächen ergänzen. Oder die Zusammensetzung der Gruppe kann dazu führen, dass es zu Missverständnissen, Spannungen oder Konflikten kommt.
Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen den Funktionen innerhalb des Teams und dem individuellen Rollenverhalten der Mitglieder. Funktionen, wie beispielsweise die der Erst-, Zweit- oder sogar Drittkraft, wurden den Personen zugewiesen: Sie haben sich auf diese Position beworben oder sind vielleicht auch „reingerutscht“. Das individuelle Rollenverhalten hingegen ist die Art und Weise, wie ich mit meinen Kolleg*innen zusammenarbeite und wie ich mich im Team verhalte. Dazu einige Beispiele: Maria hat ständig neue Ideen, es fällt ihr jedoch schwer, eine Idee zu Ende auszuführen. Petra ist eine Macherin und wird ungeduldig, wenn ihre Kolleg*innen nicht dieselbe Betriebsamkeit erkennen lassen. Suse ist von der eher leisen Sorte, beteiligt sich kaum an Diskussionen; aber wenn sie mal den Mund aufmacht, sind alle erstaunt über ihren lösungsorientierten Redebeitrag.
Der britische Psychologe Raymond Meredith Belbin, ein Experte auf dem Gebiet der Team- und Führungsentwicklung, hat in den 1970er-Jahren ebendieses Rollenverhalten in Teams untersucht.1 Sein Forschungsinteresse lag darin, wie gut Teams in Abhängigkeit von ihrer Zusammensetzung arbeiten. Nach Belbin gibt es neun unterschiedliche Rollentypen2, die hier skizziert werden sollen:
Handlungsorientierte Rollen
Macher*innen
arbeiten sehr gut unter Druck und übernehmen schnell Verantwortung. Sie sind dynamisch und energiegeladen und lenken die Aufmerksamkeit des Teams auf das Wesentliche. Ihnen ist es wichtig, Lösungen zu finden, die auch in der Praxis funktionieren. Zuweilen üben sie dadurch Druck auf das Team aus, neigen zu Provokationen und sind ungeduldig.
Umsetzer*innen
liegt die konkrete Umsetzung von Plänen und Ideen am Herzen. Dabei achten sie stets darauf, was wichtig und unwichtig ist. Sie sind organisiert, verlässlich und setzen auf klare Konzepte und feste Strukturen. So arbeiten sie sehr diszipliniert und methodisch. Umsetzer*innen reagieren zögerlich bei Veränderungen und zeigen wenig Flexibilität bei neuen Lösungsvorschlägen.
Perfektionist*innen
achten auf Details, arbeiten genau und halten Termine ein. Sie widmen sich 100% ihren Aufga ben. Am wohlsten fühlen sie sich, wenn sie hierfür ausreichend Zeit bekommen. Sie sind ängstlich – manchmal sogar überängstlich – und kontrollieren Dinge mehrfach. Anstatt Aufgaben zu delegieren, erledigen sie sie lieber selbst.
Wissensorientierte Rollen
Erfinder*innen
sind sehr kreativ und fantasievoll. Ihnen fällt es leicht, spontan neue Ideen und ungewöhnliche Alternativen zu entwickeln. Ob dies tatsächlich umsetzbar ist, bedenken sie dabei oftmals nicht. Indem sie dazu neigen, Details und Nebensächlichkeiten zu ignorieren, unterlaufen ihnen häufig Flüchtigkeitsfehler. Erfinder*innen sind mit ihren Gedanken oft woanders und können mit Kritik schlecht umgehen.
Beobachter*innen
haben ein gutes Urteilsvermögen, sind nüchtern, analytisch und skeptisch. Sie schaffen sich aus der Distanz einen guten Überblick. Dabei überlegen sie, welche der Möglichkeiten umsetzbar sind. Sie sind eher introvertiert und ergreifen selten ohne Aufforderung das Wort. Zuweilen mangelt es ihnen an Begeisterung, wodurch es ihnen schwerfällt, andere in ihrem Umfeld zu motivieren.
Spezialist*innen
verfügen über ein umfangreiches Expertenwissen, Hintergrundinformationen oder Fähigkeiten in einem bestimmten Fachgebiet. Sie engagieren sich sehr in diesem Fachgebiet, verlieren sich jedoch oft in technischen Einzelheiten.
Kommunikationsorientierte Rollen
Koordinator*innen
sind selbstsicher, entschlusskräftig, kommunikativ und gute Zuhörer*innen. Sie koordinieren den Arbeitsprozess und achten hierbei auf die Einhaltung externer Ziel- und Zeitvorgaben. Schnell erkennen sie die Stärken ihrer Kolleg*innen und delegieren Aufgaben effektiv – manchmal jedoch auch Aufgaben, die sie selbst nicht gerne erledigen möchten. Daher werden Koordinator*innen von ihrem Umfeld zuweilen als manipulierend empfunden.
Teamarbeiter*innen
sorgen für ein angenehmes Arbeitsklima und Harmonie. Oftmals kennen sie die privaten Hintergründe der Kolleg*innen. Sie sind sympathisch, diplomatisch und beliebt. Teamarbeiter*innen vermeiden Rivalitäten, sind in kritischen Situationen unentschlossen und tendieren dazu, Entscheidungen anderen zu überlassen.
Wegbereiter*innen
können gut netzwerken, sind extrovertiert und kommunikativ. Ihnen fällt es leicht, Kontakte – auch außerhalb – aufzubauen und für die Vorhaben der Einrichtung zu nutzen. Sie tendieren dazu, bei neuen Ideen „zu viel“ zu erzählen, und verlieren nach anfänglichem Enthusiasmus schnell das Interesse.
Rollen sind beweglich
Wichtiges vorweg: Nur wenige Menschen haben nur eine Rolle inne, die meisten entwickeln jedoch ein bestimmtes Verhalten im Team, das Tendenzen zu zwei bis drei der vorgestellten Rollen aufweist. Zum obigen Beispiel: Petra ist zwar in erster Linie Macherin, aber an zweiter Position Koordinatorin und an dritter Position Wegbereiterin. Rollen können sich zudem verändern. Jedes Teammitglied hat seine individuellen Rollenschwerpunkte, die sich im Laufe des Lebens verschieben können. Eine Erzieherin ist beispielsweise Teamplayerin, Spezialistin und ein bisschen Macherin. Die eigentliche Macherin im Team ist aber ihre Kollegin. Verlässt diese Kollegin allerdings die Gruppe, ist es zuweilen möglich, dass die Rolle der Macherin für sie wichtiger wird.
Für das Team ist jede Rolle wichtig, keine an sich ist konstruktiv oder destruktiv. Je vielfältiger die Zusammenstellung im Team, desto effektiver die Arbeit, so Belbin.3
Konflikte im Team
Doch nicht immer ergänzen sich die Rollen optimal. Das Rollenmodell von Belbin bietet eine gute Möglichkeit zur Analyse und Bearbeitung von Spannungen in Gruppen. Denn es gibt immer Konstellationen, die die Zusammenarbeit erschweren, und solche, die sie bereichern. Hier vier Teamzusammenstellungen mit Konfliktpotenzial:
- Homogene Rollen
Zwei gleiche oder zumindest ähnliche Rollenkonstellationen bieten die Gefahr, dass die Kolleg*innen sich nicht gegenseitig ergänzen: Sie stehen entweder in Konkurrenz zueinander oder ihre Schwächen potenzieren sich. Gibt es beispielsweise zwei Teamplayer*innen im Kleinteam, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Konflikte langjährig schwelen, weil beide die vermeintliche Harmonie nicht zerstören möchten. Gibt es dagegen zwei Umsetzer*innen im Team, kann es sein, dass beide parallel Pläne für die Umsetzung von Ideen machen, die jeweils andere Idee aber abwerten.
- Fehlbesetzte Positionen
Manchmal werden Positionen mit Personen besetzt, die diese (z. B. die Gruppenleitung) zwar wollen, aber nicht – oder zumindest nur mit großen Schwierigkeiten – ausführen können. Einer Teamplayerin als Gruppenleitung z. B. fällt es schwer, klare Ansagen an das Team zu machen, Aufgaben zu delegieren und Entscheidungen zu treffen. Als Zweitkraft wäre sie eine ideale Besetzung, als Gruppenleitung jedoch stößt sie immer wieder an ihre Grenzen.
Angenommen in der oben beschriebenen Konstellation wäre die Ergänzungskraft eine Umsetzerin und Macherin, kann dies langfristig zu Frust und Resignation führen. Sie selbst kann ihre Ressourcen nicht ausschöpfen, erlebt jedoch regelmäßig, dass letztendlich diejenige, die Entscheidungen fällen sollte, nicht dazu in der Lage ist. Eine mögliche Folge: Die Ungeduld der Macherin in Kombination mit der mangelnden Fähigkeit zur schnellen Entscheidungsfindung der Teamarbeiterin könnten dazu führen, dass Erstere sich über die Gruppenleitung hinwegsetzt.
- Nicht vergleichbare Teams
Zwei Elementargruppen, gleiche Kinderanzahl, gleiche Arbeitszeiten, gleiche Räumlichkeiten – und doch sind Ergebnisse und Arbeitsweise dieser beiden Gruppen nicht miteinander vergleichbar. Kleinteams bringen, dem Rollenverhalten der Teammitglieder entsprechend, unterschiedliche Arbeitsergebnisse hervor. Eine Gruppe ist vielleicht ständig unterwegs, macht Ausflüge und Projekte. Die zweite Gruppe bestreitet routiniert und den Jahreszeiten entsprechend den Kita-Alltag. Beide Gruppen arbeiten gut, sie lassen sich jedoch nicht miteinander vergleichen. Die erste Gruppe hat vielleicht eine Erfinderin und eine Koordinatorin, wohingegen die zweite Gruppe über eine Beobachterin und eine Teamplayerin verfügt. Zu erwarten, dass sich eine Gruppe der anderen angleicht, wäre a) nicht erfolgsversprechend und würde b) den Ressourcen der Teammitglieder nicht gerecht werden.
- Teammitglieder beteiligen sich nicht Es gibt sie in fast jedem Team: Jene, die sich bei Diskussionen oder Entscheidungsfindungen enthalten oder der Mehrheit anschließen. Vielleicht handelt es sich hier z. B. um eine Teamplayerin? Diese scheut den Konflikt, meidet klare Entscheidungen und ihr ist ein positives Arbeitsklima wichtiger als ihre eigene Meinung. Oder ist es eine Beobachterin, die noch dabei ist, die Situation zu analysieren? In diesem Fall sollten die Teammitglieder sich fragen, weshalb sich die Kollegin so verhält, und für sich herausarbeiten, wie wichtig ihre Fähigkeiten für das Team sind.
Weniger bevorzugte Rollen
Inwiefern hilft mir dieses Analysetool? Was, wenn ich nun weiß, welche Rolle ich bevorzugt einnehme? Behalte ich sie bei oder kann ich gezielt etwas daran verändern, wenn es zu meiner Funktion und meinem Aufgabenfeld nicht passt?
Wie bereits beschrieben, haben die meisten Menschen nicht nur eine Rolle inne, sondern eine Reihe von bevorzugten oder auch natürlichen Teamrollen. Neben diesen natürlichen, in denen sie sich bevorzugt bewegen, haben sie auch sogenannte handhabbare Rollen. Solche, die nicht ihr natürliches Wesen widerspiegeln, die sie aber annehmen können, wenn es erforderlich ist.4
So habe ich beispielsweise schon einige Kita-Leitungen begleitet, die die der Perfektionistin/des Perfektionisten mit ihrer Leitungsfunktion ablegen mussten, um den Anforderungen gerecht werden zu können. Mit dem Wissen darüber, was ich kann (durch die Analyse meiner Teamrollen), dem, was ich muss (den Anforderungen an meine Stelle), und dem, was ich will, ist es möglich, gezielt Rollen auszubauen, die nicht primär meine Lieblingsrollen sind. Dies hat jedoch Grenzen: Niemand sollte Rollen annehmen, in denen er oder sie gegen das eigene Wesen ankämpfen müsste. Denn das Ergebnis wäre – trotz aller Anstrengung – mangelhaft. Sind bestimmte Rollen für die Arbeit erforderlich, die man selbst nicht oder nur schwer ausfüllen kann, ist es viel effektiver, gezielt mit Kolleg*innen zusammenzuarbeiten, die diese Rolle natürlicherweise ausfüllen.5
Vorteile, die Teamrollen zu kennen
Natürlich ist es nicht möglich, immer alle Teams optimal zu besetzen. Zu wissen, wer im Team welche Rolle hat, hilft dagegen, die einzelnen im Verhalten besser zu verstehen. Kommunikation, Erwartungen, aber auch Lob und Anerkennung können besser auf das Gegenüber abgestimmt werden. Eine Analyse hilft, Schwächen zu akzeptieren und Stärken gezielter einzusetzen und wertzuschätzen:
- Sie lenkt den Fokus nicht auf das, was ein anderes Teammitglied nicht gut macht, sondern auf das, was es an Stärken mit ins Team bringt.
- Sie hilft zu verstehen, dass man trotz unterschiedlicher Teamrollen gut miteinander arbeiten kann.
- Sie führt zur Reflexion der eigenen Rolle im Team: Das bin ich und das kann ich. Dies stärkt das (Selbst-)Bewusstsein der Teammitglieder.
- Die gemeinsamen Gespräche über die unterschiedlichen Teamrollen fördern die Feedback- Kultur im Team.
- Schwelende Konflikte können benannt und so besser bearbeitet werden.
- Kita-Leitungen können die Teammitglieder adäquater einsetzen und in Einstellungsverfahren besser auf die noch fehlenden Rollen achten.6
Fazit:
Im Team kommt es darauf an, wer mit wem zusammenarbeitet und vor allem WIE die Mitglieder zusammenarbeiten. Ein erster Schritt ist, ressourcenorientiert aufeinander zuzugehen und sich die Frage zu beantworten: Wodurch bereichert jede einzelne Kollegin, jeder einzelne Kollege die Gruppe?