Ein Kurzinterview mit Maike Rönnau-Böse zum Thema„Resilienz ist kein Allheilmittel“

Statt nur stressresistent sollen Fachkräfte jetzt resilient werden. Doch die Fähigkeit, Ressourcen auch unter schwierigen Bedingungen zu nutzen, lenkt von widrigen Rahmenbedingungen ab. Im Interview spricht Maike Rönnau-Böse über die Kehrseite des Begriffs.

Kurzinterview:
© Rönnau -Böse, Maike (privat)

Frau Rönnau-Böse, der Begriff „Resilienz“ ist zurzeit in aller Munde. Was halten Sie von dieser Entwicklung?

Ich sehe das durchaus kritisch. In allen möglichen Bereichen wird inzwischen von Resilienz gesprochen. Leider oft ohne zu definieren, was damit genau gemeint ist. Teilweise wird so getan, als sei Resilienz ein Allheilmittel. Die zahlreichen Seminare und Ratgeber zum Thema suggerieren: „Wenn du nur genug trainierst und resilienter wirst, dann wird alles gut.“ Hier zeigt sich auch die zunehmend individualisierte Sichtweise. Dem Individuum wird auferlegt, selber für seine Resilienz zu sorgen. Das führt dazu, dass zu wenig auf die Rahmenbedingungen geachtet wird. Vielerorts geht es am Arbeitsplatz mehr um Verhaltensprävention als um Verhältnisprävention. Als sei Resilienz eine Charaktereigenschaft, die unabhängig von äußeren Faktoren wirkt – das trifft nicht zu.

Was bedeutet das für pädagogische Fachkräfte?

Es reicht nicht aus, einzelne Fachkräfte zum Resilienz-Training zu schicken. Natürlich ist es gut, wenn Fachkräfte sich über ihre seelische Gesundheit Gedanken machen. Doch wenn sie, zurück in der Kita, wieder auf die gleichen Rahmenbedingungen treffen, ist nicht viel gewonnen. Hoher Krankenstand, kein Ruheraum, fehlende Schalldämpfung und viele Überstunden – so sieht vielerorts die Realität aus. Zu kurz kommt außerdem der fachliche Austausch, z.B. in Form von kollegialer Fallberatung oder Supervision. Es reicht nicht aus, die Fachkräfte auf ihre persönliche Work-Life-Balance zu verweisen, ohne die äußeren Bedingungen miteinzubeziehen. Die Resilienz eines Menschen ist von vielen Faktoren abhängig.

Welche sind das?

Im Kontext Kita halte ich vor allem zwei Aspekte für wichtig: zum einen die Stärkung der personalen Schutzfaktoren, zum anderen die der sozialen Schutzfaktoren. Das gilt für Erwachsene ebenso wie für Kinder. Kinder sollten z. B. darin unterstützt werden, ihre Selbstwahrnehmung zu schulen und sich als selbstwirksam zu erleben. Gleichzeitig brauchen Kinder im Hinblick auf die sozialen Schutzfaktoren die Möglichkeit, sichere Bindungen einzugehen. Wenn die Eltern das nicht leisten können, sind pädagogische Fachkräfte umso mehr gefragt. Womit wir wieder bei den Rahmenbedingungen wären. Wenn ständig Personalknappheit herrscht, ist es schwierig, eine stabile Beziehung anzubieten. Wir wissen aus unseren Forschungen aber, dass Beziehung der wichtigste Schutzfaktor für Resilienz ist. Das wird oft nicht ausreichend berücksichtigt.

Was fehlt Ihnen als Resilienzforscherin in der gegenwärtigen Diskussion?

Häufig wird der Fokus nur darauf gerichtet, dass Menschen „es schaffen“. Zur Stärkenorientierung gehört aber auch der Blick darauf, wie Schwierigkeiten bewältigt wurden. Auch resiliente Menschen haben einen schmerzhaften Bewältigungsprozess hinter sich, das wird zum Teil vergessen. Ich habe den Eindruck, dass wenig Platz für Gefühle wie Wut und Verzweiflung bleibt. Natürlich ist Stärkenorientierung wichtig. Aber man muss Menschen zugestehen, dass sie traurig sein dürfen, bevor sie den Blick nach vorn wenden und überlegen, was sie aus der Krise lernen können. Erst mal geht es um das gemeinsame „Aushalten“.

Resilienz wird als die Fähigkeit von Menschen verstanden, in Krisenzeiten auf persönliche und soziale Ressourcen zurückzugreifen. Es handelt sich dabei nicht um eine angeborene Eigenschaft, sondern um eine im Kontakt mit der Umwelt erworbene dynamische Fähigkeit. Als wichtigster Schutzfaktor für psychische Widerstandsfähigkeit gelten stabile Beziehungen.
Weiterführende Literatur: Fröhlich-Gildhoff, K./Rönnau-Böse, M. (2019): Resilienz. 5. Auflage, München: Reinhardt/UTB.

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