Herr Giesow, Kita-Kinder in Norwegen verbringen mehr Zeit draußen als in Deutschland üblich. Was findet im Kita-Alltag alles draußen statt?
Es gibt eigentlich fast nichts, was nicht draußen stattfindet. Morgenkreise und andere Versammlungen, Essen, Projektarbeit, geplante Aktivitäten, Geburtstagsfeiern, Spiel und Spaß, offene Werkstätten usw. Getreu dem Motto „Es gibt schlechte Kleidung, aber kein schlechtes Wetter“ sind dem Draußensein kaum Grenzen gesetzt. Gerade jetzt, während der Pandemie, haben wir zum Beispiel auch Eltern- oder Vorstellungsgespräche draußen, ab und zu mit Lagerfeuer, durchgeführt.
Wird auch bei schlechtem Wetter oder im Winter draußen gespielt, gegessen oder geschlafen?
Absolut! Wetter und Jahreszeiten spielen eher eine untergeordnete Rolle. So schlafen zum Beispiel die jüngsten Kinder ganzjährig in ihren Kinderwagen draußen auf der Veranda. Insbesondere in den Wintermonaten sieht man im städtischen Raum zahlreiche Kindergartengruppen ums Feuer sitzen. Oslos Lage am Wasser und die „grüne Umgebung“ machen es möglich. Es ist aber nicht so, dass es kein Kindergartenleben drinnen gibt, im Gegenteil. Das Draußensein ist allerdings hierzulande ein gleichwertiger Bestandteil der täglichen Kita-Kultur. Natürlich gibt es auch hier gewisse Grenzen, zum Beispiel, wenn es doch mal einige Tage am Stück 10 Minusgrade sind o. ä.
Wie ist es in ihrer Kita? Ist das Außengeländer für alle Kinder immer frei zugänglich?
Ja, das Außengelände nutzen unsere drei Gruppen ganzjährig. Trotz der sehr zentralen, städtischen Lage unseres Kindergartens (das Königspaar wohnt nur zwei Steinwürfe von hier entfernt) haben wir ein sehr naturbelassenes Außengelände, mit zahlreichen Buchen, Birken, Büschen und viel Wiese. Für die Kinder gibt es hier viele Möglichkeiten, die Natur zu entdecken und zu erleben.
Sie arbeiten in der Großstadt Oslo. Wie können Kita Kinder auch im städtischen Umfeld Naturerfahrungen sammeln?
Oslo ist für norwegische Verhältnisse eine große Stadt, aber sicher keine Großstadt, wie wir dies aus Deutschland oder von anderswo kennen. Die Wege an den Fjord, in den nächsten Wald, an einen der vielen Seen und in einen Park sind von überall relativ kurz. Ganztägige Ausflüge ins Grüne sind hier keine Seltenheit. Viele Kindergärten nehmen an der Friluftskole („Schule im Freien“) teil oder haben eigene Waldwochen, Naturforschertage usw.
Aus Ihrer ganz persönlichen Perspektive, welchen Einfluss hat ein häufiger Aufenthalt im Freien auf das Wohlbefinden der Kinder?
Die meisten Kinder bewegen sich gern, sind neugierig, lieben kleine und große Herausforderungen, gehen gern auf Entdeckungsreise. Das „Draußensein“ kommt ihnen sicher entgegen. Als ich 2013 von Deutschland hier hergezogen bin, ist mir als erstes aufgefallen, wie selten die Kinder krank sind.
Sie haben in Deutschland Ihre Ausbildung als Erzieher absolviert. Wie können Kitas in Deutschland für etwas „Friluftsliv“-Kultur sorgen?
Ihre Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Ich denke, dass es auch in Deutschland viele Kindergärten gibt, die ihren konzeptionellen Schwerpunkt aufs Naturerleben legen und vielerorts wird sicherlich die Draußen-Kultur bereits gelebt. Die lokalen Gegebenheiten (Großstadt oder Land) sind natürlich ein nicht zu unterschätzender Faktor. Doch ich denke, dass sich überall Möglichkeiten für eine Draußen-Kultur schaffen lassen: Naturforschertage, Waldwochen, Ganztagesausflüge, Weiterbildungen zum Thema, Schwerpunkte bereits während der Berufsausbildung oder ein*e „DRAUSSEN-Beauftragte*r“ im Kindergarten. Auch die Zusammenarbeit mit Naturschutzstationen oder mit dem Forstamt könnte für manche Kita interessant sein.
Welche Erfahrungen können Sie als Kita-Leiter weitergeben?
Meiner Erfahrung nach steht und fällt vieles mit den Interessen und dem Engagement der Mitarbeiter*innen. Es lässt sich vielleicht einiges bewegen, wenn man zum Beispiel Wert auf eine bewusste Gestaltung des Außengeländes legt oder wenn die Kitaleitung das Thema „Draußensein“ forciert und gemeinsam mit dem Team entsprechende Wege einschlägt. Dazu gehört eine Haltung, in der das „Draußensein“ nicht als Zusatzangebot oder eigenes Konzept eines Kindergartens existiert, sondern, dass es als ein Teil des regulären Kitaalltages verstanden wird. Aber natürlich müssen nicht nur die Mitarbeiter*innen, sondern auch die Eltern mit ins Boot.
Abschließend noch an Sie die Frage: Wie haben die Kinder an Ihrer Kita die Corona-Zeit erlebt?
Das müssten wir die Kinder fragen. Auch in unserem Kindergarten gibt es sicher viele Familien und Kinder, für die, die Pandemie eine herausfordernde Zeit darstellt. Insbesondere in den Perioden, in denen wir jede Gruppe nochmal in drei kleinere Gruppen unterteilen mussten, war es, glaube ich, für viele Kinder nicht einfach, weil sie zum Beispiel nicht mehr so viel Kontakt zu ihren Freund*innen oder Spielpartner*innen hatten. Ich habe aber auch den Eindruck, wie übrigens viele meiner Kolleg*innen, dass die Kleingruppenarbeit (ein Erwachsener mit 6 Kindern) andererseits vielen Kindern sehr gut getan hat.
Søren Giesow ist Leiter des „Hydroparken Kindergarten“ in Oslo.