Kolumne: Tines praktische TheorieHeute gibt es Fibonacci zu Mittag

„Heute gibt’s Fibonacci zu Mittag!“
© privat

Als ich das erste Mal vom Philosophieren mit Kindern hörte, war mein erster Gedanke: „Das auch noch? Wann soll ich das denn machen?“ Dann packte mich aber die Neugier. Wenn man 43-mal in Folge „Mama Muh schaukelt“ vorgelesen hat, ist man ja durchaus offen für etwas Neues.
Ich setzte mich also voller Tatendrang zu einem Arbeitskreis aus Menschen unterschiedlichster Fachrichtungen. Da saßen Grundschullehrer*innen, Uniprofessor*innen, Philosoph*innen, Mathematiker*innen, Kita-Leitungen und, na ja, ich, damals einfache Erzieherin im Gruppendienst.
Man fachsimpelte über den Wert und die Bedeutung der Philosophie, es lagen hochphilosophische Bücher aus, und nun überlegten alle, wie man dieses kostbare Gut den Kindern nahebringen könnte.
Die Mathematikerin fragte in die Runde, ob nicht die Fibonacci-Zahlen was wären. Na klar, Fibonacci! (Äh, wer? Ich googelte unauffällig: eine ansteigende Zahlenfolge, die sich auch in einigen Wachstumsvorgängen in der Natur zeigt. Aha.) Während des cleveren Vortrags voller Bildungsträume nickte ich wissend, dachte aber insgeheim, dass die Philosophie wohl doch ein Elfenbeinturm ist, zu dem popelnde 5-Jährige keinen Zutritt haben.
Doch dann fiel mir plötzlich die Situation ein, als Theo neulich eine verwelkte Sonnenblume mitgebracht und uns im Morgenkreis gezeigt hatte. Wir pulten die Kerne gemeinsam mit einer Pinzette heraus und staunten, dass sie spiralförmig angeordnet waren. Der Name Fibonacci fiel nicht, sonst wären wir vermutlich schnell ins Thema Nudeln abgedriftet. Wie viele Schnecken haben die größte Reise ihres Lebens angetreten, weil Kinder sie entdeckt und begeistert der nächsten Person in ihrer Nähe gezeigt haben? Auch darin steckt der goldene Schnitt, dem die Fibonacci-Zahlen zugrunde liegen! Mir wurde klar, dieses „Philosophieren mit Kindern“ ist nicht einfach nur ein Bildungsauftrag, den schlaue Menschen ohne Praxiserfahrung in den Orientierungsplan gewürfelt haben. Sondern es ist im Grunde das, was passiert, wenn wir Zeit und Raum für die Kinder haben. (Ja, ich weiß. Man wird doch noch träumen dürfen, oder?) Die Gespräche, die ans Eingemachte gehen. Wenn Kinder erzählen, wir ihnen aufmerksam zuhören und sie mit Fragen füttern. Ein „Was glaubst DU, warum das so ist?“ kann eine ganze Welt in Bewegung setzen! In unserem Gesprächskreis überlegten kluge Menschen an Konzepten und Programmen herum. Aber eigentlich sind es doch die Kinder, die die Philosophie wie Schneckenhäuser zu uns tragen.
Das nächste Mal habe ich also kein schlechtes Gewissen, weil ich mich mit Lasse festgequatscht habe, der nämlich festgestellt hat, dass in der Mitte des Körpers alles nur einmal vorkommt, an den Seiten dann aber mehr wird. Dabei muss doch der Tisch noch gedeckt werden und ach, das Pflaster für Mia muss ich noch ins Verbandbuch eintragen. Und hatte Casper nicht eben einen Wachsmalstift in der Hand, als er in den Waschraum ging?
Ja gut, immerhin haben wir philosophiert!

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