Ein Interview mit Dörte Weltzien über die Bedeutung von Interaktionen„Kinder fühlen sich angenommen, verstanden und unterstützt“

Mit Kindern im Gespräch zu sein, tut ihnen nachweislich gut. Dennoch bleibt diese Chance oft ungenutzt. Dörte Weltzien hat mit GInA ein Verfahren entwickelt, das in den Kita-Alltag passt.

Kinder fühlen sich angenommen, verstanden und unterstützt
© privat

Wie nehmen Sie die Interaktionsqualität in Kitas wahr?

Wie in der gesamten Qualitätsfrage haben wir auch bei der Interaktionsqualität eine sehr große Bandbreite: Wir erleben Einrichtungen, die trotz wirklich unbefriedigender Rahmenbedingungen fantastisch mit Kindern arbeiten. Wir erleben dort eine große Zugewandtheit zu jedem einzelnen Kind, einen sehr feinfühligen Umgang mit der Vielfalt der Kulturen, die sich ja auch und gerade in der Interaktion ausdrückt, und schlicht eine Freude, jeden Tag aufs Neue mit den Kindern im Kontakt zu sein. Wenn wir das Glück haben, einen Tag in einer solchen dialogorientierten Einrichtung verbringen zu dürfen, sind wir immer wieder begeistert von der pädagogischen Kraft gelingender Interaktionen.
Leider sehen wir auch immer noch das Gegenteil: Ausgelaugte und überforderte Teams, unglückliche oder schlicht übersehene Kinder, die nirgendwo einen Anker haben. Übervolle oder langweilige Tagesabläufe. Oder auch verletzendes Verhalten gegenüber Kindern, das sich in subtilen Abwertungen, Ausgrenzungen oder auch Übergriffigkeit zeigt. Leider ist es so, dass die besten Fachkräfte aus solchen Einrichtungen weggehen, weil sie die Arbeitsatmosphäre nicht mehr aushalten.
Glücklicherweise ist das Interesse von Trägern, Teams, Leitungen oder auch einzelnen Fachkräften an einer Verbesserung der Interaktionsqualität sehr groß, und es gibt viele Anfragen, wie sich Dialogorientierung und Partizipation im konkreten Alltag umsetzen lassen.

Wie arbeitet die Praxis mit dem Verfahren GInA?

GInA ist ein Verfahren, das sich leicht im Alltag umsetzen lässt. Das Wichtigste ist die Bereitschaft, sich selbst in dem eigenen Interaktionsverhalten zu beobachten und zu reflektieren. Wenn man sich einmal klargemacht hat, wie man auf andere – insbesondere auf Kinder, aber natürlich auch auf Eltern und die eigenen Teammitglieder – wirkt, dann hat man die „GInA-Brille“ schon auf. GInA ist die Abkürzung für „Gestaltung von Interaktionsgelegenheiten im Alltag“. Das bedeutet, dass man nicht irgendetwas gezielt planen oder vorbereiten muss, sondern dass man ganz alltägliche Gelegenheiten zur Interaktion erkennen lernt und diese dann so gestaltet, dass Kinder viel Positives daraus mitnehmen können: beispielsweise das gute Gefühl, gleich beim Ankommen in der Garderobe gesehen, begrüßt und angelächelt zu werden, oder in eine schon laufende Aktivität eingeladen zu werden. Beim Frühstück oder Mittagessen können Gespräche über den bisherigen Tag oder die nächsten Vorhaben der Kinder stattfinden. Alle Bildungsangebote und -räume, auch draußen, bieten Momente intensiver Interaktion. Ziel ist dabei immer, den Kindern Beziehungsangebote zu machen, sie zu einem gemeinsamen Nachdenken oder Gespräch über Ideen, Wünsche und Gefühle einzuladen und sie in ihrer Lebenswelt verstehen zu lernen. Kinder entwickeln über diese Momente mit ihren Fachkräften ein positives Selbstkonzept. Sie fühlen sich angenommen, verstanden, unterstützt und empfinden ein stärkeres Wirgefühl in der Gruppe. Leider sind die Bedingungen mit hoher Lautstärke, engen Räumen und vielen Personen auf einem Fleck oft nicht besonders entspannt, sodass man sich bewusst dafür entscheiden muss, den GInAMomenten immer wieder Platz zu geben. Nützlich ist es dann, gelingende Interaktionen rückblickend noch einmal analysieren und reflektieren zu können. Das hilft Teams zu erkennen, wie wertvoll diese „kleinen Momente“ aus der Perspektive der Kinder sind. Wer das einmal erkannt hat, möchte gar keinen anderen Alltag mehr erleben. Dann hat es GInA geschafft, dauerhaft im Alltag verankert zu sein. Oftmals erkennt man GInA-Kitas bereits nach fünf Minuten.

Welche Verfahren, neben den Lerngeschichten, lassen sich gut mit GInA verbinden?

GInA kann wunderbar mit allen Beobachtungsund Dokumentationsverfahren gekoppelt werden, solange diese die Ressourcen der Kinder in den Blick nehmen. Gerade Portfolios sind eine sehr schöne Möglichkeit, mit den Kindern über ihre Erlebnisse und Gefühle ins Gespräch zu kommen. Schon die 2-Jährigen haben eine reiche innere Sprache, wir müssen uns eigentlich nur die Zeit nehmen, ihnen zuzuhören. Auch jede Form der alltagsintegrierten Sprachbegleitung und -förderung lässt sich mit GInA kombinieren. Da sich das Verfahren sehr gut erlernen lässt, kann jede Fachkraft jederzeit damit anfangen. Allerdings gibt es auch Voraussetzungen, die aus unserer Sicht nicht verhandelbar sind, wenn man mit GInA arbeiten möchte: Das Wohl der Kinder, Kinderrechte und Kinderschutz stehen an oberster Stelle. Wir sehen die Vielfalt als wichtige Ressource und setzen uns aktiv gegen Ausgrenzung, Verletzung und Diskriminierung ein. Eine gute Interaktion ist durch Kongruenz, Empathie und Wertschätzung geprägt. Wenn man diese Bedingungen beachtet, lässt sich GInA sehr gut in die bestehenden Handlungskonzepte und Programme der Kitas einflechten. Aber es ist auch ein durchaus anspruchsvolles Verfahren, weil jedes einzelne Merkmal einen theoretischen Bezug hat, man also immer wieder neue Zusammenhänge erkennt, sein fachliches Wissen erweitern und vertiefen kann. Man ist eigentlich nie fertig mit GInA, sondern mit jeder neuen Interaktionsgelegenheit gibt es wieder etwas Neues zu lernen. Wenn man dazu bereit ist.

Wie geht es nun für Sie weiter?

Wir starten gerade mit einem dreijährigen Forschungsprojekt, bei dem es darum geht, das Interaktionsverhalten besser auf den Bindungsstatus der Kinder abzustimmen. Es geht darum, ihre Bedürfnisse, Ängste und Nöte zu erkennen und ihnen entsprechend feinfühlig Beziehungsangebote zu machen. Hierbei ist das GInA-Verfahren sehr hilfreich, weil es videogestützt eine differenzierte Analyse des Interaktionsverhaltens ermöglicht. Wir werden es daher zur Evaluation des Programms einsetzen, den beteiligten Fachkräften aber ebenso Feedback- und Coaching-Angebote machen. Darauf freue ich mich schon sehr.1 Wir haben auch mit einem Programm zur Prävention von verletzendem Verhalten im Kita-Alltag begonnen. Dabei geht es darum, mit Kindern ins Gespräch zu kommen und zu erfahren, was sie im Kita-Alltag nicht mögen und was ihnen nicht guttut. Hier hilft uns die langjährige Erfahrung in der Interaktionsgestaltung mit Kindern. Unser „Traut euch!“-Kinderkoffer2 ist dabei voller GInA-Momente. Er befindet sich gerade in der Pilotphase und die ersten Erfahrungen sind sehr positiv.3

Die Fragen stellte Hannah Winkler, Redaktion kindergarten heute.

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