Musikalische Aktivität im Kita-Alltag begleitenDenken Sie Musik einfach

Wie können Kinder in Kitas musikalisch explorieren und gestalten? So selbstverständlich wie sie malen und bauen? Unsere neue Artikelreihe gibt konkrete Anregungen für die tägliche Praxis.

Denken Sie Musik einfach
© Claudia Scholl, Berlin

Die Möglichkeiten, die sich Kita-Kindern beim musikalischen Spiel erschließen, sind abhängig davon, wie Erzieher*innen über Musik denken. Mein Impuls für sie ist, musikalische Aktivität als eine einfache menschliche Handlung und Interaktion zu denken, wie Gehen und Sprechen. Außerdem gilt es das Thema Musik von der Vorstellung zu befreien, es müsste erarbeitet werden und dies könnten nur ausgewiesene Musikexpert*innen tun. Musikalische Aktivität als ein Moment der frühpädagogischen Entwicklungs- und Bildungsbegleitung in Kitas beginnt bereits mit der Aufmerksamkeit für Geräusche. Kinder und Erzieher*innen erzeugen permanent Geräusche und sind musikalisch aktiv, wenn sie akustische Ereignisse bewusst wahrnehmen und wenn sie Geräusche, Klänge, Töne, Rhythmen bewusst erzeugen. Diese Vorstellung von musikalischer Aktivität wird als erweiterter Musikbegriff bezeichnet.

Was rauscht und rappelt

Jede*r erzeugt Geräusche mit jeder alltäglichen Handlung. Niemand muss dies erlernen oder gelehrt bekommen. Musikalische Aktivität entwickelt sich, indem Kinder und Fachkräfte auf das reagieren, was sowieso schon rauscht und rappelt, klingt und schwingt, zischt und pulsiert. Waches Hinhören und neugieriges Erzeugen von Geräuschen reicht für musikalische Momente völlig aus. Ein Kind läuft gut hörbar über die Treppe. Dies wahrzunehmen, kann weiteres Forschen und Erkunden anregen: „So unterschiedlich können deine Schuhe auf dieser Treppe klingen.“ Diese Sichtweise verengt „Musik“ nicht auf eine rein künstlerische Disziplin, in der spezielle (musikalische) Regeln gelten, die zunächst erlernt und geübt werden müssten, um mitwirken zu dürfen und teilhaben zu können.
Geräusch und klangvoll zu handeln, ist jedem Menschen von Geburt an möglich und damit als eine menschliche Ausdrucksbewegung zu verstehen. Musikalische Aktivität in diesem erweiterten Verständnis ist eine unter mehreren Weisen, wie Menschen in Kontakt treten und miteinander interagieren. Diese Sichtweise ermöglicht es, über die Geräuschwelten des Eimer-mit-Sand-Füllens, Einen-Reißverschluss-Öffnens oder Rassel-Schüttelns mit dem Kind und dessen Wahrnehmungs-, Fühl-, Denk- und Handlungsweisen in Kontakt zu kommen.

Musik finden und erfinden

Jedem Kind ist die Fähigkeit zu musikalischer Ausdrucksbewegung gegeben. Lenken Sie Ihren Blick und Ihr Hören darauf, wie bewusst und unbewusst Kinder ihre alltägliche Geräuschwelt wahrnehmen und gestalten. Mit dem Bewusstsein für alltägliche Geräusche und Rhythmen kann je - de Aktivität eines Kindes als Ausgangspunkt für musikalisches Forschen wahrgenommen werden: die Jacke ausziehen, die Holzeisenbahn schieben, die Anwesenheitsliste ausfüllen. Erlauben Sie sich hinzuhören. Welche Geräusch- und Klangwelt entsteht durch die Aktivität des Kindes? Fühlen Sie sich in das Kind ein. Fragen Sie sich: Ist die - se klingende Seite des Tuns für das Kind bedeutsam? Reflektieren Sie: Was kann dem Kind eröffnet werden, wenn Sie es auf diese klingende Seite seines Handelns aufmerksam machen? 

Schöpferische Momente zulassen

Diese Wachsamkeit für die klingenden Anteile des alltäglichen Handelns ermöglicht es, partizipativ mit Kindern und direkt im Moment musikalisch aktiv zu sein. Dies kann im gemein - samen Wahrnehmen sowie im Impulse-Geben und -Aufnehmen geschehen und ist nicht an vorher festgelegte Zeiträume und Vorbereitungen gebunden. Jederzeit und an jedem Ort kann und darf sich in diesem Sinn partizipativ musikalische Aktivität entfalten, muss aber nicht. Die dabei gesammelten (nicht ausschließlich musikalischen) Erfahrungen sind geprägt von hohen Anteilen an Exploration: Erkunden, Entdecken, Weiterforschen, Ausprobieren. All dies kann in Interaktion mit den Kindern stattfinden. Dabei entstehen grundsätzlich schöpferische Situationen, in denen Musik weder gelehrt noch vermittelt wird. Für alle Beteiligten ergeben sich Erfahrungen mit dem Gestalten musikalischer Interaktionen und deren Wirkungen auf die Beteiligten. Es entfaltet sich die eigene Musik der mitwirken - den Kinder und Erzieher*innen.

Die Musik anderer kennenlernen

Der bisher beschriebene allererste Zugang zu musikalischer Aktivität im Kita-Alltag bezieht sich auf das, was Kinder und pädagogische Fachkräfte an musikalischem Handeln aus sich heraus mit - bringen. Daneben existiert eine zweite musikalische Welt, die der kulturell gewachsenen Musik - werke und Musizierweisen: Sprechverse, Lieder, Musikinstrumente, Musikstile in weltweit vielfältigsten Formen. In diese Welt wachsen Kin - der hinein, die dazugehörigen Techniken werden kennengelernt und müssen sich angeeignet wer - den. Dem/der einen gelingt dies leichter, dem/ der anderen schwerer. Die kulturell gewachsene und sich weiterentwickelnde Musikwelt wirkt da - her häufig exklusiv. Viele Menschen beschreiben sich dann als musikalisch unbegabt und meinen damit: „Singend treffe ich Töne nicht so, wie es von anderen erwartet wird.“ Oder: „Der Rhythmus meines Klatschens ist nicht so regelmäßig wie erwünscht.“

Zeigen Sie Ihren eigenen Zugang zu Liedern, Sprechversen und Musikinstrumenten. Singen Sie Lieder, die Sie gerne mit den Kindern singen wollen. Singen Sie diese so, wie Sie gerne singen. Zeigen Sie den Kindern, was Sie selbst erleben, wenn Sie Sprechverse erforschen und Musikinstrumente erkunden. Verzichten Sie darauf zu lehren, lassen Sie stattdessen Kinder teilhaben und erleben, welche Bedeutsamkeit für Sie persönlich entsteht, was diese Musik bei Ihnen bewirkt. Es kommt darauf an, sich selbst authentisch als musikalisch neugieriges und unvollkommenes Wesen zu zeigen. Musik, einfach gedacht, regt Kinder und Erzieher*innen an, 

  • persönlich Neugier auf Geräusch- und Klangwelten zu entwickeln.
  • gegenseitige Inspiration zuzulassen und im Moment (musikalisch) auf das zu reagieren, was der/die andere in seinem/ihrem Tun ausdrückt.
  • sich für das zu interessieren, was dem Kind und dem/der Erzieher*in wirklich persönlich bedeutsam wird.

Dies hat auch eine politische Dimension. Eine all - tägliche Kultur des Zuhörens und Interagierens wird gemeinsam entwickelt. Klänge wahrnehmen und erzeugen ist dann Übungsfeld für gelingendes Zusammenwirken. Dabei wird mit Geräuschen und Klängen „nichts Existenzielles verhandelt“. Genau dadurch entstehen im geschützten Rahmen existenziell sehr bedeutsame Erfahrungen für viele Beteiligte.

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