Faultier Frieda im Gespräch mit Autorin Anke Elisabeth BallmannMehr Faultier für die Kita

Was denkt sich wohl ein Faultier, wenn es auf unsere Frühpädagogik schaut? Psychologin Anke Elisabeth Ballmann ist nach der Veröffentlichung ihres Buches „Das Faultier-Prinzip“ erneut im Austausch mit Frieda.

Ich sitze an meinem Schreibtisch, als sich Frieda zu mir setzt. Nachdenklich schaut mich mein Faultier an.„Was beschäftigt dich?“, frage ich Frieda.
„Ich habe den Eindruck, dass ihr euch immer wahnsinnig stresst, warum ist das so? – In der Ruhe liegt doch die Kraft, aber das ist wohl ein Faultiergeheimnis.“ Frieda lächelt verschmitzt und fährt fort:. „Weißt du, Anke, ich wünsche Kindern mehr Ruhe, wenigstens in der Kita.“
Ich stimme meinem Faultier zu: „Ja, wir geben unsere Hektik oft an Kinder weiter. Deshalb wünsche ich hauptsächlich Fachkräften mehr Ruhe.“

Ruhe ins unruhige Leben bringen

„Weißt du, Frieda, in vielen Familien ist es gerade morgens stressig“, erkläre ich. „Es ist wichtig, bestimmte Uhrzeiten einzuhalten, sei es das Eintreffen in der Kita, das Erreichen des Arbeitsplatzes und später auch das Abholen der Kinder. Alles folgt einem festen zeitlichen Rahmen. Ganz klar, das strengt an. Von Eltern wird erwartet, dass sie flexibel sind, Familien sollen funktionieren und Kinder möglichst freundlich und unauffällig sein. Aber wieso das alles? Für wen ist das gut?

Und, Frieda, in der Kita sollen Kinder viel lernen, weil es eine Bildungsinstitution ist. Allerdings laufen wir Gefahr, Kinder zu überlasten. Auch Fachkräfte sind am Limit, sie stemmen einen Programmpunkt nach dem anderen, versuchen den Anforderungen gerecht zu werden, und das verursacht enorm viel Stress. Ich frage mich immer, ob das richtig ist. Werden damit nicht viel eher die Erwartungen anderer erfüllt oder orientieren sich die Angebote wirklich an den Bedürfnissen und Themen der Kinder? Wenn Kinder nämlich kein Interesse zeigen und nicht motiviert sind, daran teilzunehmen, lernen sie definitiv nicht das, was sie nach Meinung der Erwachsenen lernen sollen. Ich habe die Sorge, dass es mehr darum geht, für schöne Wochenrückblicke zu sorgen, damit die Kita ihre Pflicht erfüllt und Eltern beruhigt sind. Das wird den Fähigkeiten von Fachkräften und der Entwicklung von Kindern gar nicht gerecht.“ 

Was ist wirklich wichtig?

„Für Kinder ist es bedeutsam, die Welt zu entdecken, Neues auszuprobieren, zu forschen, die Sinne auszubilden, den Körper mit all seinen wunderbaren Funktionen kennenzulernen. Es geht um Bewegung, um Sprechen lernen, um Freude haben und am besten all das zusammen durch Spielen in einer gut vorbereiteten Umgebung. Wenn Fachkräfte Kinder dabei begleiten und es mehr Fragen als Antworten gibt, dann gehen wir endlich neue Wege.“

„Ja, Fragen sind viel wichtiger als Antworten“, ruft Frieda dazwischen. „Philosoph*innen wissen das, und Philosophieren mit Kindern findest du gut, das hast du neulich mal gesagt. Weil es darum geht, denken zu lernen.“

„Das hast du dir gemerkt?“, frage ich überrascht und Frieda nickt stolz.

Freispiel garantiert Freude beim Lernen

„Frieda, Bildungs- und Hirnforscher*innen sind sich einig: Lernen in der frühen Kindheit gelingt nur ganzheitlich und nur in einer Umgebung, in der sich Kinder sicher und wohl fühlen. Im Freispiel lernen Kinder aus ihrer intrinsischen Motivation heraus, der schönsten Form des Lernens. Vielerorts versuchen Fachkräfte noch, utopische Anforderungen zu erfüllen, was gar nicht gelingen kann, und geraten dadurch in Stress. Sie geben diesen Stress an die Kinder weiter, die am wenigsten etwas für die Situation und das Klima in der Gruppe können. Klingt das fair? Die Bedürfnisse der Kinder wahrzunehmen, dafür zu sorgen, dass es ihnen in der Kita gut geht, hat oberste Priorität. Die Kita darf sich diesen Druck nicht machen lassen, dass sie die Erwartungen anderer erfüllen muss – denn das ist das Gegenteil von Partizipation.“

Frieda nickt nachdenklich, als ich fortfahre: „Kinder brauchen natürlich Rhythmen und Regeln, sie geben ihnen Sicherheit und Geborgenheit – und genau dafür benötigen Erwachsene innere Ruhe, Empathie und Flexibilität. Doch dafür fehlt die Zeit, weil die Perspektive verrutscht ist.“

„Wie meinst du das genau?“, hakt Frieda nach.

Ein selbstbestimmter Kita-Alltag

„Weißt du, es wäre gut, all die Programmpunkte zu streichen, die im Kita-Alltag fehl am Platz sind. Angebote, die Kinder aus ihrem Spiel herausreißen, zum Beispiel, um Muttertagskarten zu basteln oder mal kurz ein Lied oder zwei zu singen. Angebote, die dem Wohl der Erwachsenen dienen, aber nicht dem Wohl der Kinder. Oder Angebote, die durchgeführt werden, weil sie von außen diktiert werden. Kinder haben ein Recht auf ihre Kindheit und auf Zeit zum Spielen. Wir wären doch auch gerne anders – nämlich gelassener, freudvoller und entspannter. Und deshalb sollten wir Kindern und ihrer Entwicklung vertrauen. Wenn Umgebungen die Fantasie anregen, zum Wohlfühlen einladen und Pädagog*innen die Interessen der Kinder aufgreifen, finden Kinder Bedingungen vor, die ihnen nachweislich guttun. Sie profitieren von dem Austausch, der Möglichkeit, Fragen zu stellen und gemeinsam Antworten zu finden – und von Erwachsenen als Impulsgeber*innen, die bereit sind, sich selbst weiterzuentwickeln. Das können Fachkräfte, das beweisen sie immer wieder, und das wollen sie auch (vor-)leben.“

Nutzt die Zeit zum Reden

Ich ergänze noch: „Durch eine dialogische Grundhaltung wäre der Kita-Alltag entspannter, es gäbe mehr Freude an der Arbeit und gleichzeitig eine sehr effektive Form sprachlicher Bildung. Bei dieser kindgerechten Pädagogik würde es viele Stressoren gar nicht mehr geben, die alle so deutlich belasten.“ Ich blicke erwartungsvoll zu Frieda.

„Es könnte so einfach sein“, meint Frieda. Sie klimpert mit ihren langen Wimpern, was sie immer tut, wenn sie vorhat, etwas besonders Wichtiges zu sagen:

„Die Kernfrage ist doch: Wie sollen Kinder aufwachsen? Das könnt nur ihr Erwachsenen beantworten, weil ihr für die Gestaltung der Kindheit verantwortlich seid – und ihr kennt die Antwort, ihr seid schlau. Jetzt geht es nur um das Umsetzen. Lasst all das weg, was euch schon lange nervt, und nutzt die Zeit zum Reden, zum Fragenstellen, zum Antwortensuchen. Klingt das nicht wunderbar entschleunigend? Ich finde ja, in jeder Kita sollte ein Faultier sein, das euch hilft, gelassener zu sein.“

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